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Full text of "Die Erkenntnis des Menschenwesens nach Leib, Seele und Geist. Über frühe Erdzustände"

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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE 

VORTRAGE 

VORTRAGE FOR DIE ARBEITER AM GOETHEANUMBAU 



RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE 



Vortrage fur die Arbeiter am Goetheanumbau 

Band 1 Die Erkenntnis des Menschenwesens nach Leib, Seele und 
Geist. t)ber friihe Erdzustande 

Zehn Vortrage, 2. August bis 30. September 1922 (Bibl.-Nr. 347) 

Band 2 Uber Gesundheit und Krankheit. Grundlagen einer geistes- 
wissenschaftlichen Sinneslehre 

Achtzehn Vortrage, 19.0ktober 1922 bis 10. Februar 1923 (Bibl.-Nr. 348) 

Band 3 Vom Leben des Menschen und der Erde. Uber das Wesen des 
Christentums 

Vierzehn Vortrage, 1 7. Februar bis 9. Mai 1 923 (Bibl.-Nr. 349) 

Band 4 Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. Wie kommt 
man zum Schauen der geistigen Welt? 

Sechzehn Vortrage, 30. Mai bis 22. September 1 923 (Bibl.-Nr. 350) 

Band 5 Mensch und Welt. Das Wirken des Geistes in der Natur - 
Uber die Bienen 

Funfzehn Vortrage, 8. Oktober bis 22. Dezember 1923 (Bibl.-Nr. 351) 
Band 6 Natur und Mensch in geisteswissenschaftlicher Betrachtung 

Zehn Vortrage, 7. Januar bis 27. Februar 1 924 (Bibl.-Nr. 352) 

Band 7 Die Geschichte der Menschheit und die Weltanschauungen 
der Kulturvolker 

Siebzehn Vortrage, 1. Marz bis 25. Juni 1924 (Bibl.-Nr. 353) 

Band 8 Die Schopfung der Welt und des Menschen. Erdenleben und 
Sternenwirken 

Vierzehn Vortrage, 30. Juni bis 24 . September 1 924 (Bibl.-Nr. 354) 



RUDOLF STEINER 



Die Erkenntnis des Menschenwesens 
nach Leib, Seele und Geist 

Uber friihe Erdzustande 



Zehn Vortrage 
gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau 
in Dornach 
vom 2. August bis 30. September 1922 



1995 

RUDOLF STEINER VERLAG 
DORNACH /SCHWEIZ 



Nach vom Vortragenden nicht durchgesehenen Nachschriften 
herausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlaflverwaltung 

Die Herausgabe besorgte Paul Gerhard Bellmann 



1. Auflage in dieser Zusammenstellung 
Gesamtausgabe Dornach 1976 

2. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1985 

3. Auflage, Gesamtausgabe Dornach 1995 



Nachweis friiherer Veroffentlichungen 
siehe zu Beginn der Hinweise 



Bibliographie-Nr. 347 

Zeichnungen im Text nach Tafelzeichnungen Rudolf Steiners, 
ausgefiihrt von Leonore Uhlig (siehe auch S. 188) 

Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlaflverwaltung, Dornach/Schweiz 
© 1995 by Rudolf Steiner-Nachlaftverwaltung, Dornach/Schweiz 
Printed in Germany by Greiserdruck, Rastatt 

ISBN 3-7274-3470-8 



Zu den Veroffentlichungen 
am dem Vortragswerk von Rudolf Steiner 

Die Gesamtausgabe der Werke Rudolf Steiners (1861-1925) glie- 
dert sich in die drei grolten Abteilungen: Schriften - Vortrage - 
Kiinstlerisches Werk (siehe die Ubersicht am Schlufi des Bandes). 

Von den in den Jahren 1900 bis 1924 sowohl offentlich wie fiir 
die Mitglieder der Theosophischen, sparer Anthroposophischen 
Gesellschaft zahlreichen frei gehaltenen Vortragen und Kursen 
hatte Rudolf Steiner urspriinglich nicht gewollt, dafi sie schriftlich 
festgehalten wiirden, da sie von ihm als «mundliche, nicht zum 
Druck bestimmte Mitteilungen» gedacht waren. Nachdem aber 
zunehmend unvollstandige und fehlerhafte Horernachschriften 
angefertigt und verbreitet wurden, sah er sich veranlafit, das 
Nachschreiben zu regeln. Mit dieser Aufgabe betraute er Marie 
Steiner-von Sivers. Ihr oblag die Bestimmung der Stenographie- 
renden, die Verwaltung der Nachschriften und die fiir die Heraus- 
gabe notwendige Durchsicht der Texte. Da Rudolf Steiner aus 
Zeitmangel nur in ganz wenigen Fallen die Nachschriften selbst 
korrigieren konnte, mufi gegeniiber alien Vortragsveroffentli- 
chungen sein Vorbehalt berucksichtigt werden: «Es wird eben nur 
hingenommen werden miissen, dafi in den von mir nicht nachge- 
sehenen Vorlagen sich Fehlerhaftes findet.» 

Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde gemafi 
ihren Richtlinien mit der Herausgabe einer Rudolf Steiner Ge- 
samtausgabe begonnen. Der vorliegende Band bildet einen Be- 
standteil dieser Gesamtausgabe. Soweit erforderlich, finden sich 
nahere Angaben zu den Textunterlagen am Beginn der Hinweise. 

Die besondere Stellung, welche die Vortrage fiir die Arbeiter 
am Goetheanumbau innerhalb des Vortragswerkes einnehmen, 
schildert Marie Steiner in ihrem Geleitwort, welches diesem Band 
vorangestellt ist. 

Die Wiedergaben der Original- Wandtafelzeichnungen 
von Rudolf Steiner zu den Vortragen in diesem Band 
(vgl. die Randvermerke und den Text am Beginn der Hinweise) 
sind innerhalb der Gesamtausgabe erschienen in der Reihe 
« Rudolf Steiner, Wandtafelzeichnungen zum Vortragswerk* 

Band XXV 



INHALT 



Geleitwort von Marie Steiner 



DIE ERKENNTNIS DES MENSCHENWESENS 
NACH LEIB, SEELE UND GEIST 

Erster Vortrag, Dornach, 2. August 1 922 

Ober die Entstehung der Sprache und der Sprachen 
Brocas Entdeckung. Gehirnschlag und Sprachverlust. Das Sprechen 
und die Ausbildung der linken Schlafenwindung. Die kindliche 
Sprachentwickelung. Selbstlaute und Mitlaute. Nachahmung beim 
Sprechen. Linkshandigkeit und Rechtshandigkeit. Padagogische Be- 
handlung der Linkshandigkeit. Verschiedenheit der Sprachen nach 
den Gegenden der Erde und nach den Sternbildern am Himmel. 

Zweiter Vortrag, 5. August 1 922 

Vom Lebensleib des Menschen - Gehirn und Denken 
Wodurch ist der Mensch ein denkendes Wesen? Milchernahrung. 
Eselsmilch. Muttermilch. Abtotung und Wiederbelebung der Nah- 
rung. Die weifien Blutkorperchen und die Gehirnzellen. Ohnmachts- 
zustande und Bleichsucht. Das Bewufksein und seine Abhangigkeit 
vom genauen Verhaltnis zwischen weiften und roten Blutkorperchen. 
Regsamkeit des Gehirns wahrend des Schlafzustandes. Bewufitlosig- 
keit im Schlaf. Denktatigkeit wahrend des Schlafes. Atmungsprozeft 
und Gehirntatigkeit. Wahrnehmung der Traume. Denktatigkeit des 
Gehirns am Tage. 

Dritter Vortrag, 9. August 1 922 

Der Mensch in seinem Verhaltnis zur Welt - Gestaltung und 
Auflosung 

Abtotung des Lebens. Herkunft der Gedanken. Kristallbildung. 
Kiesel. Gebirgsbildung. Die Alpen. Zucker und Zuckerauflosung. 
Diabetes. Rheuma und Gicht. Bilden und Auflosen des Gehirnsandes. 
Gehirnschlag. Kranksein heifit nichts anderes, als dafi wir irgend et- 
was zu stark ausbilden. Kaffee und Tee. Stickstoffreiche Nahrung. 
Auflosungsprozefi und Ichbewufitsein. 



VierterVortrag, 9. September 1922 64 

Die Erkenntnis des Menschenwesens nach Leib, Seele und Geist 
Gehirn und Denken - Die Leber als Sinnesorgan 
Das Leben in den Gehirnzellen und in den weiflen Blutkorperchen. 
Schwachsinnigkeit und Gehirnerweichung. Absterben des Lebens im 
Gehirn als Voraussetzung fiir das Denken. Ursachen der Leberver- 
hartung. Die Leber als Wahrnehmungsorgan. Stoffauswechslung im 
menschlichen Korper. Bildung des Menschen im miitterlichen Leib. 
Schlaf des Sauglings. Unbrauchbarwerden desKorpers mit dem Alter. 
Darmkrebs, Magen- oder Pfortnerkrebs. Gedachtnisiiberlastung und 
Organverhartung.Wirkliches, tatsachliches Erkennen. Das Praktisch- 
machen der Wissenschaft. 

FunfterVortr AG, 13. September 1922 82 

Wahrnehmen und Denken innerer Organe 
Muttermilch und Kuhmilch. Abtotung und Wiederbelebung derNah- 
rung. Die Leber als inneres Sinnesorgan. Wahrnehmungstatigkeit 
durch die Niere. Gehirnverhartungen. Zuckerkrankheit. Besonder- 
heiten der Leber. Die Leber: ein inneres Auge. Gallenabsonderung. 
Die Augen des Tieres als Denkorgan. Die Januskopfe der Romer. 

SechsterVortrag, 16. September 1922 99 

DerErnahrungsvorgang, physisch-materiell und geistig-seelisch 
betrachtet 

Ptyalin, Pepsin, Trypsin. Leberfuhlen. Gallenabsonderung. Starke: 
Zucker; Eiweift: flussiges Eiweifi, Bildung von Alkohol; Fette: Gly- 
zerin, Fettsauren; Salze bleiben Salze. Ober den Tod des Paracelsus. 
Aufnahme grower Alkoholmengen. Die Migrane. Das Gehirn im Ge- 
hirnwasser. Hauptunterschied des Menschen vom Tier. Salze und 
Phosphor als die wichtigsten Stoffe im menschlichen Kopf. Salz und 
Denken, Phosphor und Wille. 



UBER FRUHE ERDZU STAND E 

Siebenter Vortrag, 20. September 1922 116 

Uber friihe Erdzustande (Lemurien) 

Erdschlamm und Feuerluft. Drachenvogel, Ichthyosaurier und Ple- 
siosaurier. Die Drachenvogel als Nahrung der Ichthyosaurier und 
Plesiosaurier. Vogel, pflanzenfressende Tiere und Megatherien. Die 
Erde: ein gestorbenes Riesentier. 



Achter Vortrag, 23. September 1 922 132 

Frtihe Erdzustande II 

Scjiildkroten, Krokodile. Tierische Heilungsinstinkte. Sauerstoff und 
Kohlenstoff. Pflanzen und Walder. Fortwahrende Veranderung der 
Erde. Die Riesenaustern und ihr Leben in der «Erdensuppe». Die 
Regenwiirmer. Die Erde im Eizustand. Der Mond als Anreger der 
Phantasie und der Wachstumskrafte. Metschnikows Hinweis auf 
Goethes «Faust». Der Mond im Innern der Erde. Mondenaustritt 
und Zustand danach. Aufbewahrung der alten Mondensubstanz in 
der Fortpflanzungskraft der tierischen und menschlichen Wesen. 

Neunter Vortrag, 27. September 1922 149 

Fruheste Erdenzeit 

Zustand der Erde vor dem Mondenaustritt. Fortpflanzung der Rie- 
senaustern. Herkunft der mannlichen und weiblichen Krafte in der 
Zeit vor dem Mondenaustritt. Elefant, Blattlaus und Vorticelle. Die 
Sonne als Befruchtungskraft. Aufbewahrung der Kartoffeln in Erd- 
gruben. Die Erde gibt die Fortpflanzungskrafte ihren "Wesen dadurch, 
daft sie die Sonnenkrafte in sich wahrend des Winters aufbewahrt. 
Fortpflanzung durch Stecklinge. Pflanzen zum richtigen Wachstum 
bringen. Regenwiirmer, Eingeweidewiirmer. Lebenskraft im Pflan^ 
zensamen. Wirkung der Sonne in der pflanzlichen und tierischen 
Fortpflanzung. Wirkung des Mondes auf das Wetter. Der Fechner- 
Schleidensche Mondenstreit. Die Zeit der Erdenentwickelung, wo 
Erde, Sonne und Mond noch ein Korper waren. Der Plateausche 
Versuch. Die Erde als lebendes Wesen. 

Zehnter Vortrag, 30. September 1922 169 

Adam Kadmon in Lemurien 

Die Erde war einmal ein lebendiger Menschenkopf. Fruhere Ernah- 
rung der Erde aus dem Weltenraum. Julius Robert Mayer. Die Sonne 
«frifit» Kometen. Meteorsteine: zerfallene Kometen. Ernahrung der 
Erde durch die Sonne. Der embryonale Menschenkopf, ein deutliches 
Abbild von der Erde. Die Erde war einmal der Keim eines Riesen- 
menschen. Der Mensch war einmal die ganze Erde. «Das Antlitz der 
Erde» von Eduard Sueft. Entstehung der Tiere. Warum der Mensch 
so klein ist. Wir stammen alle von einem Menschen ab. Der Riese 
Ymir. Falsche Auslegung des Alten Testaments. Ausrottung des alten 
Wissens. 

Hinweise: Zu dieser Ausgabe /Hinweise zum Text . 

Namenregister 

Ubersicht iiber die Rudolf Steiner Gesamtausgabe 



188 
190 
191 



GELEITWORT 
zum Erscheinen von Veroffentlichungen 
aus den Vortragen Rudolf Steiners fur die Arbeiter am Goetheanumbau 
vom August 1922 bis September 1924 

Marie Steiner 

Man kann diese Vortrage auch Zwiegesprache nennen, denn ihr Inhalt 
wurde immer, auf Rudolf Steiners Aufforderung hin, von den Arbeitern 
selbst bestimmt. Sie durften ihre Themen selber wahlen; er regte sie zu 
Fragen und Mitteilungen an, munterte sie auf, sich zu auftern, ihre Ein- 
wendungen zu machen. Fern- und Naheliegendes wurde beruhrt. Ein 
besonderes Interesse zeigte sich fur die therapeutische und hygienische 
Seite desLebens; man sah daraus, wie stark dieseDinge zu den taglichen 
Sorgen des Arbeiters gehoren. Aber auch alle Erscheinungen der Natur, 
des mineralischen, pflanzlichen und tierischen Daseins wurden beruhrt, 
und dieses fiihrte wieder in den Kosmos hinaus, zum Ursprung der 
Dinge und Wesen. Zuletzt erbaten sich die Arbeiter eine Einfiihrung in 
die Geisteswissenschaft und Erkenntnisgrundlagen fur das Verstandnis 
der Mysterien des Christentums. 

Diese gemeinsame geistige Arbeit hatte sich herausgebildet aus ei- 
nigen Kursen, die zunachst Dr. Roman Boos fur die an solchen Fragen 
Interessierten, nach absolvierter Arbeit auf dem Bauplatz, gehalten hat; 
sie wurden spater auch von andern Mitgliedern der Anthroposophi- 
schen Gesellschaft weitergefiihrt. Doch erging nun die Bitte von seiten 
der Arbeiter an Rudolf Steiner, ob er nicht selbst sich ihrer annehmen 
und ihren Wissensdurst stillen wurde - und ob es moglich ware, eine 
Stunde der iiblichen Arbeitszeit dazu zu verwenden, in der sie noch 
frischer und aufnahmefahiger waren. Das geschah dann in der Morgen- 
stunde nach der Vesperpause. Auch einige Angestellte des Baubiiros 
hatten Zutritt und zwei bis drei aus dem engeren Mitarbeiterkreise 
Dr. Steiners. Es wurden auch praktische Dinge besprochen, so z. B. die 
Bienenzucht, fur die sich Imker interessierten. Die Nachschrift jener 
Vortrage iiber Bienen wurde spater, als Dr. Steiner nicht mehr unter 



uns weilte, vom Landwirtschaftlichen Versuchsring am Goetheanum 
als Broschure fiir seine Mitglieder herausgebracht. 

Nun regte sich bei manchen andern immer mehr der Wunsch, diese 
Vortrage kennenzulernen. Sie waren aber fur ein besonderes Publikum 
gedacht gewesen und in einer besonderen Situation ganz aus dem Steg- 
reif gesprochen, wie es die Umstande und die Stimmung der zuhoren- 
den Arbeiter eingaben - durchaus nicht im Hinblick auf Veroffent- 
lichung und Druck. Aber gerade die Art, wie sie gesprochen wurden, 
hat einen Ton der Frische und Unmittelbarkeit, den man nicht ver- 
missen mochte. Man wiirde ihnen die besondere Atmosphare nehmen, 
die auf dem Zusammenwirken dessen beruht, was in den Seelen der 
Fragenden und des Antwortenden lebte. Die Farbe, das Kolorit mochte 
man nicht durch pedantische Umstellung der Satzbildung wegwischen. 
Es wird deshalb der Versuch gewagt, sie moglichst wenig anzutasten. 
Wenn auch nicht alles darin den Gepflogenheiten literarischer Stil- 
bildung entspricht, so hat es dafiir das unmittelbare Leben. 



ERSTER VORTRAG 



Dornach, 2. August 1922 

Guten Morgen, meine Herren! Heute wollen wir die Zeit dazu be- 
niitzen, um zu dem, was wir gehort haben, noch einiges hinzuzufiigen. 
Dann wird uns ja gerade dadurch manches verstandlich werden kon- 
nen von der ganzen Wiirde des Menschen. 

Sehen Sie, ich habe ungefahr gesagt, wie die Ernahrung verlauft und 
wie die Atmung des Menschen verlauft. Wir haben auch gesehen, daft 
die Ernahrung mehr zusammenhangt mit dem Leben des Menschen, daft 
die Ernahrung darinnen besteht, daft wir Nahrungsstoffe aufnehmen, 
die eigentlich in leblosem Zustand in unserem Darm sind, daft diese 
Nahrungsstoffe dann durch die Lymphgefafie lebendig gemacht wer- 
den, und daft sie im lebendigen Zustande dann ins Blut ubergefuhrt 
werden. Dann tritt ja im Blut drinnen, wie wir wissen, diese lebendige 
Nahrung in Beriihrung mit dem Sauerstoff der Luft. Die Luft wird auf- 
genommen von dem Menschen. Das Blut wird verandert. Das ist der- 
jenige Vorgang, der in der Brust vor sich geht. Und wir haben zugleich 
darin dasjenige, was uns unsere Empfindung gibt. 

Also, Leben wird eigentlich zwischen den Darmvorgangen und zwi- 
schen den Blutvorgangen bewirkt. Innerhalb der Blutvorgange wieder- 
um, zwischen den Blutvorgangen und der Luft, wird dasjenige, was 
unser Gemiit ist, bewirkt. Nun mtissen wir uns auch noch um den Ver- 
stand bekummern und mtissen einmal versuchen zu begreifen, wie der 
Verstand beim Menschen zustande gekommen ist. 

Sehen Sie, aufterlich das zu erkennen, ist eigentlich erst seit, man 
konnte sagen, zirka sechzig Jahren moglich. Man hatte ja im vorigen 
Jahre, 1921, eigentlich das Sechzig-Jahr-Jubilaum feiern konnen. Es ist 
ja nicht gefeiert worden, weil in der heutigen Zeit die Menschen wenig 
Interesse haben, gerade rein wissenschaftliche Jubilaumsfeiern zu ver- 
anstalten. Die Entdeckung, die 1861 gemacht worden ist, die als sech- 
zigjahrige Entdeckung hatte gefeiert werden konnen - also erst seit 
fiinfzig, sechzig Jahren kann man so reden iiber die Sache, iiber die ich 
heute reden will -, ist eine wichtige wissenschaftliche Entdeckung. Ich 



erinnere mich an diese Entdeckung schon aus dem Grunde, weil sie just 
so alt ist, wie ich selber. Diese Entdeckung besteht in folgendem. 

Ich habe Ihnen neulich gesagt, wie man beobachten kann am Men- 
schen: Man braucht nicht zu experimentieren, sondern man braucht 
nur achtzugeben auf dasjenige, was die Natur selber experimentiert am 
Menschen, wenn derMensch nach irgendeinerRichtung erkrankt.Wenn 
man dann nachzuschauen versteht, was geschehen ist im physischen 
Menschen, wenn der Mensch in irgendeiner Weise erkrankt ist, dann ist 
ein solches Experiment, ein solcher Versuch von der Natur selber fiir 
uns angestellt worden, und wir konnen aus diesem Versuch heraus eine 
Erkenntnis gewinnen. 

Dazumal nun, 1861, ist gefunden worden, und zwar von Broca, dafi 
bei Leuten, welche Sprachstorungen haben, wenn man sie nach dem 
Tode seziert, dann in der linken dritten Stirnwindung etwas verletzt ist. 

Nicht wahr, wenn wir das Gehirn betrachten, wenn wir also gleich- 
sam abheben die knocherige Schadeldecke, die Knochenhulle, so be- 
kommen wir das Gehirn zu sehen. Dieses Gehirn, das hat ja Windungen : 
Da ist eine Windung, da eine zweite, und da liegt eine dritte Windung 
Wandtafel- (es wird gezeichnet). Man nennt diese Windung, weil sie hier an der 
zeichnung Schlafe liegt, die Schlafenwindung. Nun, jedesmal, wenn der Mensch 
erhalten entwe ^ er einzelne Sprachstorungen hat, oder wenn er gar nicht mehr 
sprechen kann, dann ist in dieser linken Stirnwindung etwas kaputt. 

Das kann geschehen, wenn der Mensch einen sogenannten Gehirn- 
schlag erleidet. Ein Gehirnschlag besteht ja darinnen, dafi das Blut, das 
sonst nur in den Adern fliefien soil, durch die Adern sich durchdriickt 
und dann ausfliefit in die iibrige Masse, die um die Adern herum ist, 
in der das Blut nicht drinnen sein soil. Also ein solcher Blutergufi be- 
wirkt dann den Schlag, die Lahmung. Wenn also das Blut sich unrecht- 
maftig ergieftt m den Menschen, in diese Schlafenwindung hinein, so 
bewirkt das zuletzt, wenn diese Schlafenwindung vollstandig unter- 
graben wird, dafi der Mensch nicht mehr sprechen kann. 

Sehen Sie, das ist ein sehr interessanter Zusammenhang. Wir konnen 
sagen: Der Mensch spricht dadurch, dafi er in seinem physischen Kor- 
per eine gesunde linke Schlafenwindung hat. Und wir miissen jetzt ver- 
j stehen, was das eigentlich heifit: ein Mensch hat eine gesunde linke 

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:347 Seite:12 



Schlafenwindung. Aber urn das zu verstehen, mussen wir noch etwas 
anderes betrachten. 

Wenn kleine Kinder sterben, und wir untersuchen diese selbe Stelle 
im Gehirn, also diese linke Schlafenwindung, dann ist diese Strippe 
Him ein ziemlich gleichmaftiger Brei; namentlich bevor das Kind 
sprechen gelernt hat, ist es ein ziemlich gleichmaftiger Brei. In dem- 
selben Mafte, in dem das Kind anfangt sprechen zu lernen, bekommt 
diese linke Stirnwindung immer mehr und mehr kleine Windungen. Sie 
bildet sich immer mehr und mehr kiinstlich aus. So daft man sagen 
kann: Wenn beim ganz kleinen Kind etwa diese linke Stirnwindung so 
ausschauen wiirde (es wird gezeichnet), so wird sie beim Kind, das 
sprechen gelernt hat, und beim Erwachsenen, so ausschauen: sehr kiinst- 
lich gebildet. 

Da ist also etwas geschehen mit dem Gehirn; wahrend das Kind 
gerade sprechen gelernt hat, ist etwas geschehen. Und keinMensch sollte 
eigentlich iiber eine solche Sache anders denken, als man sonst im ge- 
wohnlichen Leben denkt. Sehen Sie, wenn ich den Tisch von da hierher 
rucke, so wird kein Mensch sagen: Der Tisch hat sich hierher geruckt. - 
Ebensowenig sollte ich sagen: Das Gehirn hat sich Windungen gebil- 
det -, sondern ich mufi nachdenken, was da eigentlich geschehen ist, 
was die Ursache ist. Ich muft also nachdenken dariiber, woher diese 
Ausbildung gerade just der lmken Schlafenwindung kommt. 

Nun, sehen Sie, wenn das Kind sprechen lernt, so bewegt es ja seinen 
Korper. Es bewegt seinen Korper in den Sprachorganen. Vorher, wenn 
das Kind noch nicht sprechen kann, ein bloft zappeliges Wesen ist, 
schreit es hochstens und so weiter. Solange es bloft schreit, solange ist 
diese linke Stirnwindung noch ein solcher Brei, wie ich es zuerst ge- 
zeichnet habe. Je mehr es lernt, nicht mehr bloft zu schreien, sondern 
das Schreien iibergehen zu lassen in Laute, desto mehr wird diese Stirn- 
windung ausgebildet. So daft man sagen kann: Wenn das Kind bloft 
schreit, dann hat es also da an der Stelle einen Gehirnbrei. Jetzt fangt 
es an, nicht mehr bloft zu schreien, sondern Laute zu sagen. Dann ver- 
wandelt sich allmahlich dieser allgemeine Brei in einen schon ausgebil- 
deten linken Gehirnteil. 

Nun, meine Herren, die Sache ist so: Sie wissen ja, wenn das Kind 



schreit, dann sind die Schreiereien, die es macht, meistens dasjenige, 
was man Selbstlaute nennt: A, E. Wenn das Kind also blofi schreit, so 
braucht es keine gegliederte linke Stirnwindung, sondern es bringt das- 
jenige, was es da schreit, immer aus sich selbst hervor, ohne dafi es so 
etwas Kiinstliches da im Gehirn hatte. Wenn man ein wenig achtgibt, 
so wird man sehen, dafi, was das Kind zuerst schreit, sehr ahnlich ist 
den A-Lauten. Dann spater fangt das Kind an, U- und I-Laute dazu- 
zufiigen zu seinem Schreien. Und allmahlich lernt das Kind, wie Sie ja 
wissen, auch Mitlaute. Das Kind schreit zuerst A; dann lernt es das 
M dazu: MA oder WA. Also das Kind bringt aus dem Schreien heraus 
allmahlich die Worte zustande, indem es zu den Selbstlauten die Mit- 
laute hinzukriegt. 

Und diese Mitlaute, wodurch bilden die sich? Sie brauchen nur ein- 
mal achtzugeben, wie Sie ein M hervorbringen. Da mussen Sie die Lip- 
pen bewegen. Das mussen Sie als Kind durch Nachahmung lernen. 
Wenn Sie ein L hervorbringen, dann mussen Sie die Zunge bewegen. 
Und so mussen Sie irgend etwas bewegen. Sie mussen also von dem 
Zappeln, das das Kind bloft macht, iibergehen zu regelmafiigen Be- 
wegungen, zu Bewegungen, die die Sprachorgane durch Nachahmung 
ausfuhren. Und je mehr das Kind solche Mitlaute, L, M, N, R und so 
weiter zu den Selbstlauten, die blofi beim Schreien sind, hinzufugt, 
desto mehr wird diese linke Stirnwindung gegliedert, desto mehr wird 
diese linke Stirnwindung kunstlich ausgebildet; so daft mit derselben 
Starke, mit der das Kind die Mitlaute lernt, diese linke Stirnwindung 
sich ausbildet. 

Nun, jetzt konnen wir also sagen: Woher lernt das Kind zunachst 
sprechen? — Das Kind lernt sprechen wirklich nur durch Nachahmung. 
Es lernt sprechen, die Lippen bewegen, indem es aus dem Gefuhl heraus 
nachahmt, wie die anderen Leute die Lippen bewegen. Alles ist Nach- 
ahmung. Das heifit, das Kind bemerkt, sieht, nimmt wahr dasjenige, 
was in seiner Umgebung vor sich geht. Und durch dieses Wahrnehmen, 
also durch diese geistige Arbeit des Wahrnehmens wird das Gehirn aus- 
gebildet. Geradeso wie der Bildhauer sein Holz oder seinen Marmor 
ausbildet oder seine Bronze, so wird dieses Gehirn bildhauerisch aus- 
gebildet dadurch, dafi das Kind sich bewegt. Die Organe, die es bewegt, 



die pflanzen ihre Bewegung bis ins Gehirn hinein fort. Wenn ich also 
L mit der Zunge sage, so ist die Zunge mit dem Gehirn durch einen 
Nerv verbunden, durch andere Organe verbunden. Dieses L, das geht 
bis in meine linke Stirnwindung herein und bringt da drinnen solche 
Figuren hervor. Das L bringt also eine solche Figur hervor, wo eins ans 
andere sich anschlieftt, wo sich diese linke Stirnwindung fast wie ein 
Gedarm ausbildet. Das M, das bringt solche kugeligen Windungen her- 
vor. Also Sie sehen, es ist Arbeit an dieser linken Schlafenwindung. Da 
arbeitet dasjenige, was das Kind durch das Bemerken bewegt, durch- 
lebt. Das ist nun sehr interessant, daft man also, seitdem man das weift, 
daft ein Schlag, ein Gehirnschlag, die linke Stirnwindung ruiniert und 
dadurch die Sprache untergrabt, daft man dadurch wissen kann, daft 
eigentlich fortwahrend beim Kinde an dieser linken Stirnwindung ge- 
arbeitet wird, indem es Konsonanten, Mitlaute lernt. Und das kommt 
davon, daft das Auge und allerlei andere Organe bemerken, daft in der 
Auftenwelt etwas geschieht. Was geschieht denn da in der Auftenwelt? 

Nun, sehen Sie, wenn wir sprechen, so atmen wir ja auch immer 
wahrend des Sprechens. Wir atmen ja fortwahrend. Und wenn wir 
atmen, dann geht dasjenige, was aus dem Atmen sich bildet, dieser 
Atemstofi, wie ich ihn genannt habe, der geht zuerst in den mensch- 
lichen Leib hinein, geht dann durch diesen Ruckenmarkskanal herauf 
(es wird gezeichnet) und geht in das Gehirn hinein. Also wahrend das 
Kind schreit, noch nicht die Mitlaute sagen kann, aber schreit und 
atmet, wahrend der Zeit geht immer diese Atmung herauf, dieser At- 
mungsstoft; der geht herauf und der geht iiberall in das Gehirn hinein. 

Fragen wir uns: Was geht da eigentlich ins Gehirn hinein? Nun, ins 
Gehirn geht Blut hinein. Das geht iiberall hin, so wie ich es Ihnen er- 
klart habe in den letztenTagen. Also durch die Atmung wird eigentlich 
das Blut immerfort hineingestoften in das Gehirn. Das aber, daft durch 
die Atmung das Blut hineingestoften wird iiberall, ja, sehen Sie, das 
findet auch schon statt, nachdem das Kind gerade eben geboren wird - 
auch schon friiher, aber da wird eben auf eine andere Weise gearbeitet. 
Also wenn das Kind geboren wird, f angt es an zu atmen. Da geht eigent- 
lich immer schon dieser Luftstoft herauf, der das Blut in das Gehirn 
hineinstoftt. 



Und auf diese Weise konnen wir sagen: Solange bloft das Blut durch 
die Atmung ins Gehirn hineingestofien wird, solange kann das Kind 
blofi schreien. Es f angt an zu reden, wenn nicht bloft das Blut da hinein- 
gestofien wird, sondern wenn nun, sagen wir, vom Auge oder von 
irgendeinem anderen Organ, vom Ohr namentlich, das Kind etwas 
bemerkt, wenn es etwas wahrnimmt. Wenn also das Kind am anderen 
Menschen eine Bewegung bemerkt, macht es die Bewegung in sich nach; 
dann geht nicht nur der Blutstrom da herauf , sondern dann geht, sagen 
wir zum Beispiel, vom Ohr ein anderer Strom fortwahrend da herein 
(es wird gezeichnet). Sehen Sie, das ist der andere Strom. Und dieser 
andere Strom ist der Nervenstrom. 

Also in der linken Schlafenwindung, in der sogenannten Sprach- 
windung, begegnen sich, wie sonst iiberall im menschlichen Korper, 
Blutgefafie und Nervenstrange. Auf die Nervenstrange wirkt dasjenige, 
was man bemerkt, was man wahrnimmt. Die Bewegungen, die das 
Kind bei den Mitlauten ausfuhrt, pflanzen sich also durch die Nerven 
in seine linke Sprachwindung hinein fort. Und da wird diese ganz gut 
ausgebildet, indem immer der Atmungsstofi mit dem Blut zusammen- 
wirkt mit dem, was von dem Ohr oder auch von dem Auge namentlich 
kommt, und was da allmahlich zwischen Blut und Nerven die ganze 
breiige Gehirnmasse wunderschon gliedert. Also konnen Sie sehen, daft 
unser Gehirn eigentlich erst ausgebildet wird - wenigstens in diesem 
Teil, und dann in anderen Teilen ist es namlich geradeso -, ausgebildet 
wird dadurch, dafi zusammenwirkt eine Tatigkeit, also das Wahr- 
nehmen, mit einer anderen Tatigkeit, mit diesem Stofi, der das Blut hin- 
eintreibt in das Gehirn. 

Nun aber miissen Sie sich auch noch uber das Folgende klar werden. 
Das Kind lernt also auf diese Weise sprechen, das heifit, es bildet seine 
linke Stirnwindung aus. Aber, meine Herren, wenn man nun eben bei 
einem Leichnam sitzt und ihn seziert, und die rechte Stirnwindung, die 
da symmetrisch liegt, beobachtet, so ist diese verhaltnismafiig unausge- 
bildet. Also da haben wir die linke Stirnwindung; die ist so wunder- 
schon geworden, wie ich es Ihnen gesagt habe. Die rechte, die bleibt das 
ganze Leben hindurch meistens so, wie sie war bei dem Kinde - die 
bleibt also ungegliedert. Ich mochte sagen: Wenn wir blofi die rechte 



Stirnwindung hatten, so konnten wir bloft schreien, und nur dadurch, 
dafi wir uns die linke Stirnwindung so kiinstlich zubereiten, konnen 
wir reden. 

Nur, sehen Sie, wenn einmal ein Mensch ein Linkshander ist, werin 
er also die Gewohnheit hat, nicht mit der rechten Hand seine Arbeiten 
zu verrichten, sondern mit der linken Hand, dann stellt sich das Kuriose 
heraus, daft, wenn ihn auf der linken Seite der Schlag trifft, er zum 
Beispiel nicht die Sprache verliert. Und wenn er dann seziert wird, so 
findet man, dafi bei ihm, beim Linkshander, die rechte Stirnwindung so 
gegliedert worden ist, wie sonst bei den gewohnlichen, normalen Biir- 
gern und Menschen die linke Stirnwindung gegliedert wird. 

Also haben die Arm- und Handbewegungen einen aufierordentlich 
starken Anteil an dieser Ausbildung des Gehirns. Woher kommt das? 
Ja, sehen Sie, das kommt davon: Wenn einer sich gewohnt, mit der 
rechten Hand viel zu tun, tut er nicht blofi das, was er tut, mit der 
rechten Hand, sondern er gewohnt sich dann auch an, rechts ein bifi- 
chen starker zu atmen, also mehr Atemkraft aufzuwenden. Er gewohnt 
sich an, rechts deutlicher zu horen und so weiter. Das zeigt uns nur, dafi 
der Mensch, wenn er sich gewohnt, die rechte Hand zu gebrauchen, er 
im allgemeinen die Tendenz hat, rechts uberhaupt mehr Tatigkeit aus- 
zuiiben als links. Nun wird aber gerade just die linke Stirnwindung 
ausgebildet, wenn er ein Rechtshander, und die rechte Stirnwindung, 
wenn er ein Linkshander ist. Woher kommt denn das? 

Ja, meine Herren, sehen Sie: Hier (es wird gezeichnet) haben Sie bei 
einem Korper den rechten Arm, die rechte Hand, hier haben Sie den 
Kopf und hier haben Sie seine linke Schlafenwindung. Jetzt untersuchen 
wir einmal, wie die Nerven gehen. Die Nerven gehen namlich so; Sie 
haben hier drinnen iiberall Nerven. Wenn Sie diese Nerven nicht hatten, 
wiirden Sie hier zum Beispiel nicht warm oder kalt fuhlen konnen. Das 
hangt alles mit den Nerven zusammen. Sie haben hier iiberall Nerven, 
die gehen herauf durch das Riickenmark, gehen in das Gehirn hinein. 
Aber das Kuriose ist, dafi die Nerven, die in der rechten Hand sind, 
hierhin in das linke Gehirn gehen, und die Nerven, die hier in der 
anderen Hand sind, in das rechte Gehirn hineingehen. Da drinnen, da 
kreuzen sich namlich die Nerven. Im Gehirn kreuzen sich die Nerven, 



so dal$ ich, wenn ich zum Beispiel, sagen wir, irgendeine Turnubung 
oder eine Eurythmieiibung mache mit der rechten Hand oder dem rech- 
ten Arm, das dann dadurch spiire, dafi der Nerv dieses Spiiren ver- 
mittelt; aber ich spiire es mit der linken Gehirnhalfte, weil die Nerven 
sich kreuzen. 

Nun stellen Sie sich vor, dafi ein Kind vorzugsweise mit der rechten 
Hand gern alles tut. Dann atmet es auch ein biflchen starker auf der 
rechten Seite, hort ein bifichen starker, sieht sogar ein bifichen scharfer 
auf der rechten Seite. Der Mensch strengt sich dann rechts mehr an und 
entwickelt dasjenige, was er an Bewegungen ausfuhrt, ins linke Gehirn 
hinein. 

Sie brauchen sich nun nur vorzustellen, daft wir ja auch immer so 
ein bifkhen die Eigenheit haben, daft wir Gebarden machen beim Spre- 
chen: Ah! (entsprechende Gebarde); und wenn wir etwas abweisen: E! 
Wir machen Gebarden beim Sprechen. Diese Gebarden werden von 
unseren Nerven empfunden; und die Gebarden der rechten Hand, die 
wir beim Sprechen machen, die werden mit der linken Gehirnhalfte 
empfunden. Und ebenso haben wir, wenn wir Rechtshander sind, die 
Tendenz, mit der rechten Kehlkopfhalfte starker die Vokale und Kon- 
sonanten auszusprechen, starker die Laute auszusprechen; dann wird 
das, was wir da tun, auch mit der linken Gehirnhalfte starker empfun- 
den. Und von dem riihrt dann das her, dafi das Gehirn, das urspriing- 
lich ein Brei ist, mehr ausgebildet wird. Die linke Halfte lassen wir 
mehr unbeniitzt; daher wird die rechte Gehirnhalfte weniger ausgebil- 
det, bleibt breiartig. Aber wenn einer ein Linkshander ist, geschieht es 
umgekehrt. 

Daraus folgen allerlei wichtige Sachen fur die Padagogik. Denken 
Sie sich, bei linkshandigen Kindern - wenige linkshandige Kinder hat 
man ja schon auch in der Schule - mufi man sich sagen: Wahrend bei 
alien anderen sehr kunstlich ausgebildet ist die linke Schlafenwindung 
im Gehirn, ist bei diesen Linkshandigen in voller Bildung begriffen, 
bildet sich aus die rechte Schlafenwindung. Und unterrichte ich die 
Kinder im Schreiben, da verwende ich die rechte Hand. Diejenigen 
Kinder, die rechtshandig sind, die werden nur dasjenige verstarken in 
ihrer linken Stirnwindung, was sie schon angefangen haben auszubil- 



den beim Sprechenlernen. Diejenigen Kinder aber, die linkshandig sind, 
die werden, wenn ich sie nun zwinge mit der rechten Hand zu schrei- 
ben, dasjenige wieder ruinieren, was sie in der rechten Schlafenwindung 
sich eingebildet haben durch die Sprache. Die ruinieren sich das wieder, 
und ich habe daher die Aufgabe, da es mit dem Schreiben doch nicht so 
sein soli, dafi man die Linkshander links schreiben lafit, ich habe zu- 
nachst die Aufgabe, bei denjenigen Kindern, welche linkshandig sind, 
langsam und allmahlich dasjenige, was sie mit der linken Hand tun, in 
die rechte Hand heriiberzuleiten, damit sie zuerst lernen, mit der an- 
deren Hand so etwas zu arbeiten, und sie dann erst viel langsamer als 
die anderen Kinder ins Schreiben hineinkommen. Das macht nichts, 
wenn die etwas spater schreiben lernen. 

Wenn ich einfach Kinder, die linkshandig sind, so schnell schreiben 
lernen lasse wie diejenigen, die rechtshandig sind, so mache ich diese 
Kinder dummer, weil ich ihnen wiederum dasjenige ruiniere, was sie in 
der rechten Gehirnhalfte ausgebildet haben. Also ich mufi beachten, 
daft ich die Kinder, die linkshandig sind, in einer anderen Weise im 
Schreiben unterrichte als diejenigen Kinder, die rechtshandig sind. Sie 
werden dadurch eben fur das spatere Leben nicht dummer, sondern 
gescheiter, wenn ich langsam hineinleite die Linkshandigkeit in die 
Rechtshandigkeit, und nicht durch Schreiben mit der rechten Hand 
einfach das ganze Gehirn konfus mache. 

Nun, sehen Sie, wenn man uberhaupt durch Schreiben den ganzen 
Menschen behandeln will, dann erreicht man padagogisch uberhaupt 
das Gegenteil von dem, was man erreichen will. Es ist jetzt eine grofie 
Tendenz vorhanden, den Menschen immer mit beiden Handen alles zu 
lehren, ihn mit beiden Handen alles machen zu lassen. Da bringe ich in 
seinem Gehirn alles durcheinander. Und es zeigt nur, wie wenig die 
Leute wissen, wenn sie eine solche Tendenz haben, den Menschen links 
und rechts dasselbe machen zu lassen. Man konnte schon das anstreben; 
da mufi man aber vorher etwas anderes machen. Und was miifite man 
machen? Ja, meine Herren, da miifite man vorher den ganzen Menschen 
umandern! Da miifite man langsam die eine Tatigkeit von der linken 
Seite auf die rechte Seite ubergehen lassen und die Tatigkeit auf der 
rechten Seite langsam schwacher machen. Was wiirde dann geschehen? 



Ja, sehen Sie, was dann geschehen wiirde, das ist dieses, dafi unter dieser 
Oberflache der linken Schlafenwindung (es wird gezeichnet) die linke 
Schlafenwindung kiinstlicher ausgebildet sein wiirde, und aufien, an 
der Aufienseite, da bliebe es Brei. Und das wiirde dann auch an der 
rechten Schlafenwindung eintreten. Statt dafi ich dann die zwei Tatig- 
keiten verteile auf die linke und rechte Seite, mache ich jede Schlafen- 
windung zu einer Halfte, zu einer aufieren und zu einer inneren Half te. 
Und die innere Halfte, die ist dann mehr zum Sprechen geeignet, die 
aufiere ist mehr blofi, um die Selbstlaute und Mitlaute hineinzuschreien. 
Aber alles Sprechen ist ja eine Zusammensetzung von Schreien und 
Artikulieren. Das bleibt so das ganze Leben hindurch. 

Sie sehen also, man darf nicht so ohne weiteres am Menschen herum- 
pfuschen, sondern man mufi, wenn man Padagogik, auch nur Volks- 
schulpadagogik treiben will, den ganzen Menschen kennen. Denn mit 
allem, was man tut, verandert man namlich den Menschen. Und das ist 
das wirklich Siindhafte, dafi heute blofi nach Aufierlichkeiten herum- 
gepfuscht wird und nicht darauf gesehen wird, wie sich die Dinge 
stellen, wenn man wirklich in den Menschen eindringt. 

Nun, bei den wenigsten Menschen sind beide Stirnwindungen 
brauchbar, sondern die rechte Stirnwindung ist mehr durchsetzt mit 
Blutstromungen, die linke hat weniger Blutstromungen und ist mehr 
durchsetzt mit Nerven. Und das ist uberhaupt bei unserem ganzen 
Gehirn der Fall, daft das Gehirn rechts mehr zum Blut-Verstromen, 
also zum Blut-Auseinanderrinnen da ist, wahrend die linke Halfte 
mehr zum Bemerken, zum Wahrnehmen da ist. 

Sobald wir dazu kommen, einmal das zu wissen, dafi das Gehirn sich 
ausbildet unter den aufieren Einfliissen, dann werden wir erst einen 
Begriff bekommen, wie stark diese aufieren Einflusse sind. Diese au- 
fieren Einflusse sind naturlich dann ungeheuer stark, wenn wir wissen, 
dafi durch die aufieren Einflusse alles dasjenige bewirkt wird, was da 
im Gehirn eigentlich vor sich geht. Also dadurch, dafi man gelernt hat, 
was eigentlich im Gehirn geschieht, wenn der Mensch spricht, dadurch 
kann man sich nun eine Vorstellung davon bilden, wie es uberhaupt mit 
diesem menschlichen Gehirn ist. Sehen Sie, wenn wir dieses Gehirn nun 
weiter untersuchen, dann stellt es sich so heraus, dafi immer an der 



Aufienwand, da wo das Gehirn seine Aufienwand hat, dafi da tiber- 
haupt mehr Blutgefafie sind als im Inneren. So dafi wir also sagen kon- 
nen: Aufien ist das Gehirn blutreicher, im Inneren ist es nervenreicher. 
Im Inneren haben wir es also nervenreich; da sind solche Nerven- 
strange darinnen. 

Wie wird denn also jetzt, sagen wir, bei einem Kind, das in gewohn- 
licher Weise sprechen lernt, das also ein Rechtshander ist, wie wird 
denn bei einem solchen Kinde eigentlich das Gehirn ausgebildet? Nun, 
sehen Sie, wenn man ein ganz junges Gehirn nimmt vom Kind, da ist 
es ja so, daft es ringsherum seinen blutreichen, ich mochte sagen, Mantel 
hat (es wird gezeichnet). Das ist von vorne angeschaut. Das soil rechts 
sein vom Menschen aus -, also von Ihnen aus gesehen ist es links -, das 
soil links sein vom Menschen aus. Da bilden sich nun alle diese Nerven- 
strange. Weil das so ist, meine Herren, weil da drinnen Nervenstrange 
sind, sieht, wenn man sie herausnimmt, die innere Gehirnmasse weift- 
lich aus, wahrend die blutreichere, ringsherum liegende Gehirnmasse, 
wenn man sie herausnimmt, rotlich-grau ausschaut. Rotlich-grau schaut 
sie aus. 

Wenn nun das Kind sich weiter so entwickelt, daft es sprechen lernt, 
daft also seine linke Schlafenwindung gegliedert wird, was geschieht 
da? Ja, sehen Sie, da geschieht das, daft sich diese Nervenstrange mehr 
da hineinziehen; dahier weniger, dahier mehr das Blutsystem sich aus- 
bildet (es wird gezeichnet). Also es riickt gewissermaften der innere Teil 
des Gehirnes bei dem normal sich entwickelnden Kind mehr nach links; 
der andere schiebt sich nach. Das Gehirn schiebt sich so heriiber nach 
der linken Seite, und es wird gegen die linke Seite immer weiftlicher 
und weiftlicher. Es schiebt sich so heriiber. Auf solchen kiinstlichen 
Dingen beruht eben die ganze menschliche Entwickelung. 

Nun, gehen wir von der Sprache weiter aus. Sehen Sie, es gibt Spra- 
chen, welche, sagen wir, sehr viele Mitlaute haben, und es gibt Sprachen, 
welche sehr viele Selbstlaute haben: A, E, I und so weiter. Es gibt andere 
Sprachen, welche alles so herausquetschen: S, W, daft man fast die 
Selbstlaute gar nicht bemerkt. Nun, was liegt da eigentlich vor? 

Wenn irgend jemand in einer Gegend lebt - denn das hangt von den 
Gegenden ab, die Sprachen sind ja nach den Gegenden der Erde ver- 



schieden -, in der sich mehr die Mitlaute ausbilden, was bedeutet das? 
Das bedeutet, daft er mehr in der Auftenwelt lebt, denn die Mitlaute, 
die miissen am Aufieren ausgebildet werden. Wenn also jemand mehr 
in der Auftenwelt lebt, so schiebt sich sein weifter Gehirnteil mehr nach 
links heruber. Wenn jemand mehr in seinem eigenen Inneren lebt, in 
einer solchen Gegend sich entwickelt, wo der Mensch mehr in seinem 
eigenen Inneren lebt, da schiebt sich weniger diese weifie Gehirnmasse 
heruber. Der Mensch wird mehr dazu veranlafk, wohllautende Selbst- 
Iaute aus seinem Inneren hervorzubringen. Aber das ist nach Gegenden 
der Erde verschieden. 

Nehmen wir also folgendes, meine Herren. Denken Sie sich, da ist 
die Erde (es wird gezeichnet) und an den verschiedenen Punkten der 
Erde stehen Menschen. Ich will es ganz schematisch zeichnen, da ein 
Mensch und da ein Mensch. Da stehen also verschiedene Menschen auf 
der Erde. So stehen wir ja immer auf der Erde, wenn das auch natiirlich 
viel zu unverhaltnismafiig gezeichnet ist, aber so stehen wir auf der 
Erde. Und der Mensch hier, sagen wir, bekommt eine selbstlautende 
Sprache, der andere bekommt eine mitlautende Sprache. 

Was mull da geschehen sein in der betreffenden Gegend? Nun kann 
ja sehr viel geschehen sein, sehr vielerlei, aber ich will Ihnen eines her- 
ausheben, was geschehen sein kann. Denken Sie sich einmal, hier befin- 
den sich hohe Gebirge (es wird gezeichnet), und hier ist die Ebene^ Also 
hier hohe Gebirge, dort die Ebene. Nun, in der Tat, wenn irgendwo 
f lache Ebenen sind, dann merkt man, dafi dort die Sprache vokalreicher 
wird. Wenn irgendwo hochaufgetiirmte Gebirge sind, dann hat die 
Sprache die Tendenz, konsonantenreicher, mitlautreicher zu werden. 

Aber sehen Sie, so einfach liegt die Geschichte wiederum nicht, son- 
dern wir miissen uns fragen: Ja, wodurch entsteht das Gebirge und 
wodurch entsteht die Ebene? Das ist so (es wird gezeichnet): Hier ist 
iiberall das Erdreich; hier scheint die Sonne. Unsere ganze Erde war ja 
einmal Brei. Die Gebirge, die miissen ja erst aus dem Breiigen heraus- 
gezogen worden sein. Also die Erde ist Brei im Grunde, das Gebirge 
wird hier herausgezogen. 

Meine Herren, was zieht denn da das Gebirge heraus? Das Gebirge 
ziehen die Krafte aus dem Weltenall heraus, die da von draufien wir- 



ken! So dafi wir sagen konnen: Da wirken gewisse Krafte herein aus 
dem Weltenall, welche das Gebirge herausziehen. Diese Krafte sind 
stark, deshalb entsteht ein Gebirge. Hier sind schwachere Krafte aus 
dem Weltenall hereinkommend, da entsteht deshalb kein Gebirge. Da 
wurde der Erdboden in uralten Zeiten weniger herausgezogen. Und 
diejenigen Menschen, die nun auf einem solchen Erdboden geboren 
werden, wo weniger diese Krafte wirken, die reden in Selbstlauten, und 
diejenigen Menschen, die auf einem solchen Erdboden geboren werden, 
wo mehr diese Krafte wirken, die reden in Mitlauten. Also das hangt 
mit den ganzen Kraften des Weltenalls zusammen. 

Und wie konnen wir denn irgend so etwas angeben? Nun, meine 
Herren, was wir da angeben, das miissen wir so einrichten, wie wir die 
Uhr anschauen. Wir miissen an die Arbeit gehen oder miissen fort- 
gehen. Aber wir werden keinen Augenblick sagen: Jetzt ist es zuviel! 
Dieser verdammte grofie Zeiger, der ist ein grafilicher Kerl, der peitscht 
mich jetzt zur Arbeit! - Das f allt uns gar nicht ein. Der Zeiger gibt uns 
an, wann wir zur Arbeit gehen sollen, aber wir werden ihm gar nicht 
die geringste Schuld oder Ursache beilegen. Nicht wahr, das tun wir 
doch nicht. Also der ist hochst unschuldig an der Sache. 

Ebenso, meine Herren, konnen wir hier zur Sonne hinschauen und 
konnen sagen: Wenn wir hier stehen, so ist in einem gewissen Moment 
die Sonne, sagen wir, zum Beispiel vor dem Sternbilde des Widders. Da 
haben wir die Richtung, wo die starken Krafte herwirken. Nicht der 
Widder ist es, aber der gibt uns die Richtung an, wo die starken Krafte 
herwirken. Zu derselben Zeit steht hier ein Mensch. Fur den kommt 
erst das so in Betracht: Wenn die Sonne hier heriibergeriickt ist (es wird 
gezeichnet), da steht sie hier, meinetwillen in der Jungfrau, im Stern- 
bilde der Jungfrau. Aus der Richtung sind die schwachen Krafte. Statt 
dafi ich den ganzen Vorgang jetzt erzahle, kann ich also sagen: Wenn 
jemand in einer Gegend geboren ist, wo zu einer bestimmten Zeit, sagen 
wir, bei seiner Geburt, die Sonne im Sternbilde des Widders steht, dann 
lernt er mehr konsonantisch reden; wenn er geboren wird zu einer Zeit, 
wo die Sonne im Sternbilde der Jungfrau steht, dann lernt er mehr voka- 
lisch, selbstlautend reden. 

Also Sie sehen, ich kann den ganzen Tierkreis so im Sinne einer Uhr, 



an der ich ablesen kann, was auf der Erde geschieht, beniitzen. Nur 
mufi ich mir immer klar sein, dafi nicht die Sternbilder da dies tun, 
sondern daft die Sternbilder zum Ablesen da sind. Daraus sehen Sie, 
dafi der Tierkreis uns schon sehr viel sagen kann. Er kann uns soweit 
etwas sagen, dafi wir daraus verstehen konnen, wie die Sprachen auf 
der Erde verschieden sind. 

Wir konnen also durchaus sagen: Schauen wir auf die Erde. Denken 
wir uns, da ist die Erde, und da stellen wir uns einen Stuhl hin - es kann 
ja nicht sein, aber hypothetisch konnen wir es annehmen -, einen Stuhl 
ins Weltenall hinaus, schauen uns da an eine Art Sprachenkarte, die 
verschiedenen Sprachen auf Erden. Dann kriegen wir ein Bild. Und 
jetzt kehren wir den Stuhl um, jetzt gucken wir da in das Weltenall 
hinaus. Da kriegen wir ein Bild von den Sternen, und die entsprechen 
einander. Wenn einer so die siidliche Halfte der Erde anschauen wiirde 
und die Sprachen dort anschaute, und dann den Stuhl umkehrt und den 
siidlichen Sternenhimmel anschaut, so ist der ganz anders, als wenn 
einer beziiglich der nordlichen Halfte das macht. So dafi einer den 
Sternenhimmel aufzeichnen konnte, und wer das studiert hat, diesen 
Zusammenhang, der kann angeben aus einem bestimmten Sternbilde, 
was unter diesem Sternbilde fur eine Sprache iiblich ist. 

So sehen Sie also, daft gerade dann, wenn wir anfangen das geistige 
Leben des Menschen zu beobachten, also da, wo sich durch die Sprache 
sein Verstand ausbildet, wir hinaufsehen mussen in den Sternenhimmel, 
wenn wir etwas verstehen wollen. Auf Erden kriegen wir keinen Zu- 
sammenhang. Sie konnen noch so sehr nachdenken, warum die Spra- 
chen verschieden sind, und Sie kriegen keine Erklarung. 

Sehen Sie, wenn Sie wissen wollen, was in Ihrem Bauch vor sich geht, 
mussen Sie denErdboden fragen - das, was da drunten ist. Wenn in einer 
Gegend hauptsachlich Kohl gebaut wird, so werden Sie sich sagen kon- 
nen: In dieser Gegend mussen fortwahrend die getoteten Kohlfriichte 
wiederum belebt werden. - Also wenn Sie wissen wollen, wie in einer 
Gegend ernahrt wird, mussen Sie den Erdboden fragen. Wenn Sie wis- 
sen wollen, wie in einer Gegend geatmet wird, da mussen Sie das fragen, 
was rundherum geschieht im Luftkreis. Und wenn Sie wissen wollen, 
was da drinnen in diesem Kasten, in dem Gehirnkasten vor sich geht, 



miissen Sie fragen, wie da draufien die Sterne stehen. Und so mussen Sie 
den Menschen eingliedern konnen in das ganze Weltenall. Und da wer- 
den Sie sehen, daft es allerdings ein Aberglaube ist, wenn aus Ober- 
bleibseln von dem, was einmal Menschen gewufit haben, blofi gesagt 
wird: Wenn die Sonne im Widder steht, wird das und das bewirkt. - 
Das ist gar nichts. Aber wenn man den ganzen Zusammenhang kennt, 
dann hort die Sache auf, ein gewohnlicher Aberglaube zu sein, dann 
wird sie Wissenschaft. 

Und das ist dasjenige, was uns allmahlich vom Verstandnis der 
blofien Umarbeitung der Stoffe bringt zu dem, was geschieht und was 
in Zusammenhang steht mit dem ganzen Weltenall draufien. 



ZWEITER VORTRAG 



Dornach, 5. August 1922 

Guten Morgen, meine Herren! Nun werde ich auch heute noch fort- 
setzen miissen mit dem, was wir besprochen haben, aus dem Grunde, 
weil ja die Sache nur dann ganz gut verstanden werden kann, wenn 
man immer weiter und weiter in sie eindringt. 

Sehen Sie, es kommt beim Menschen also darauf an, wie Sie gesehen 
haben, dafi er sowohl aus dem Erdreiche seine Nahrung nimmt, da- 
durch ernahrt er sich - dafi er aus dem, was die Erde umgibt, aus dem 
Luftreiche also, seine Atmung besorgt, dadurch lebt er eigentlich erst, 
dadurch ist er erst imstande, auch ein fuhlendes und empfindendes 
Wesen zu werden -, und dafi er aus der ganzen Welt die Krafte nimmt, 
wie wir gesehen haben, dadurch ist er ein denkendes Wesen und wird 
eigentlich erst dadurch ein vollstandiger Mensch. 

Also der Mensch mufi sich ernahren konnen, der Mensch mufi atmen 
konnen, dadurch ein fuhlendes Wesen werden - und er mufi die Krafte 
aus dem Weltenall nehmen konnen, um dadurch ein denkendes Wesen 
zu werden. Er wird ebensowenig von selbst ein denkendes Wesen, wie 
er durch sich selber reden kann. Der Mensch kann nicht sich selber 
denken, ebensowenig wie er sich selber essen kann. 

Nun wollen wir einmal niiher betrachten, wie diese Dinge eigentlich 
vor sich gehen. Beginnen wir zunachst einmal damit, dafi wir uns klar- 
machen, wie eigentlich dieser Vorgang geschieht, wenn wir die Nah- 
rungsstoffe aufnehmen, sie gewissermafien in einem ertoteten, toten 
Zustande haben innerhalb unseres Gedarmorganismus, und sie dann 
wiederum belebt werden durch die Lymphdriisen und durch die Lymphe 
ins Blut iibergefuhrt werden, das Blut durch die Atmung erneuert wird. 
Das Blut, respektive die Kraft des Blutes, der Atemstofi, steigt dann 
durch das Ruckenmark in das Gehirn hinein und verbindet sich dort 
mit demjenigen, was die Gehirntatigkeit ist. 

Sie brauchen nur zu betrachten, wie das Kind in einer anderen Weise 
sich ernahrt als der erwachsene Mensch, dann werden Sie daraus schon 
fiir die ganze Erkenntnis des Menschen sehr viel entnehmen konnen. 



Das Kind mufi, wie Sie wissen, in der allerersten Lebenszeit viel Milch 
trinken. Zunachst nahrt es sich ja ausschliefilich von Milch. Was heifit 
das eigentlich, dafi sich das Kind ausschliefilich von Milch ernahrt? Das 
konnen wir uns vorstellen, wenn wir uns klarmachen, woraus die Milch 
eigentlich besteht. 

Die Milch besteht - das bedenkt man gewohnlich nicht - zu 87 Pro- 
zent aus Wasser. Also wenn wir als Kinder Milch trinken, so trinken 
wir eigentlich damit 87 Prozent Wasser, und nur die letzten 13 Prozent 
sind etwas anderes. Von diesen letzten 13 Prozent sind nur A 1 1 2 Prozent 
Eiweifi; 4 Prozent sind Fett in der Milch, und dann sind noch einige 
restierende andere Stoffe, Salze und so weiter. Aber im wesentlichen ist 
das dasjenige, was das Kind aufnimmt mit der Milch. Es nimmt also in 
der Hauptsache eigentlich Wasser auf . 

Nun habe ich Ihnen ja gesagt, daft der Mensch uberhaupt in der 
Hauptsache aus Fliissigkeit besteht. Das Kind mufi diese Fliissigkeit 
immer vermehren. Es mufi ja wachsen und hat daher sehr viel Wasser 
notig, nimmt dieses Wasser mit der Milch auf. 

Sie konnen nun sagen: Dann ware es also ebenso, wenn wir dem 
Kinde nur diese 13 Prozent Nahrung beibrachten und ihm im ubrigen 
Wasser zu trinken geben wiirden. — Ja, sehen Sie, darauf ist aber der 
menschliche Korper nicht eingerichtet. Dasjenige, was wir mit der 
Milch bekommen, sind ja nicht 13 gewohnliche Prozente von Eiweifi 
und Fett und so weiter, sondern das alles, Eiweifi und Fett, das ist in der 
Milch aufgelost, im Wasser aufgelost, wenn es Milch ist. Es ist also 
schon so, dafi, wenn das Kind die Milch trinkt, es die Stoffe, die es 
braucht, im aufgelosten Zustande bekommt. Und das ist etwas anderes, 
als wenn der Korper erst diejenigen Arbeiten verrichten miifite, die im 
Auflb'sen geschehen. 

Wenn Sie sich erinnern, was ich bis jetzt schon iiber die Ernahrung 
gesagt habe, dann werden Sie sagen: Die Nahrungsstoffe, die wir mit 
dem Munde aufnehmen, miissen wir ja auch erst auflosen. Wir haben 
eigentlich von der Natur nur die Erlaubnis, feste Nahrungsstoffe in den 
Mund zu bekommen; dann losen wir sie auf durch unsere eigene Fliis- 
sigkeit. Der weitere Korper, Magen, Gedarme und so weiter konnen 
uberhaupt erst das Aufgeloste brauchen. Das Kind mufi sich ja erst diese 



Fahigkeit erringen, aufzulosen; die mufi es erst bekommen. Es kann also 
nicht vom Anfange an das schon selber besorgen. Es wird ihm also vor- 
her aufgelost. Das konnen Sie am besten daraus entnehmen, dafl das 
Kind, wenn es zu sehr mit irgendeiner kiinstlichen Nahrung, die zu- 
sammengesetzt ist, genahrt wird, dennoch verkiimmert. 

Nun konnten Sie sagen: Wenn ich also vielleicht doch in der Lage 
ware, kunstliche Milch zu erzeugen, wenn ich also die 13 Prozent, die 
da im Wasser drinnen sind an Eiweifi, Fett und so weiter, so zusammen- 
setzen konnte mit dem Wasser, dafi das also aufierlich so ahnlich der 
Milch ware, ware das eine Milch, die dann fur das Kind ebensogut ware 
wie die Milch, die es gewohnlich bekommt? - Ja, sehen Sie, meine Her- 
ren, das ist eben nicht der Fall. Das Kind wiirde verkummern, wenn es 
solche kunstliche Milch bekommen wiirde. Und da die Menschen nur 
nach den Bedurfnissen produzieren konnen, so wird man auch auf das 
Produzieren solcher Milch verzichten miissen. Es wiirde ein dieMensch- 
heit verderbendes Mittel sein. 

Denn wer kann nur dasjenige besorgen als Auflosung, was da das 
Kind notig hat? Sehen Sie, das kann wiederum nur das Leben selber. 
Notdurftig konnten es ja die Tiere, aber nicht einmal alle Tiere. Aber 
fur die allererste Zeit, wo das Kind darauf angewiesen ist - weil es noch 
nicht selber richtig auflosen kann -, diese Nahrungsstoffe, Eiweifi und 
Fett, schon in richtiger Weise aufgelost zu bekommen, kann das Kind 
eigentlich nur richtig genahrt werden mit der Menschenmilch selber. 

Und von anderer Milch ist ja Eselsmilch der Menschenmilch am 
ahnlichsten, und man kann daher, wenn irgendwie nicht die Moglich- 
keit vorhanden ist, das Kind durch Selbststillen oder Stillen uberhaupt 
zu ernahren, das Kind am weitesten noch mit Eselsmilch bringen. Das 
ist zwar sehr komisch, aber tatsachlich ist die Eselsmilch der Menschen- 
milch am allerahnlichsten, so dafi also, wenn nicht die richtige Men- 
schenstillungbesorgt werden kann, ja die Stillung zurNot auch dadurch 
besorgt werden konnte, daft man sich einenEselsstall und eine Eselsstute 
halt und auf diese Weise das Kind mit Milch versorgt. Das ist aber 
natiirlich nur etwas, was ich als Hypothese sage, damit Sie sehen, wie 
die Dinge in der Natur zusammenhangen. 

Wenn Sie jetzt zum Beispiel die Milch vergleichen, sagen wir mit 



dem Hiihnerei als Nahrungsmittel, so bekommen Sie das heraus, dafi 
das Hiihnerei ungefahr 14 Prozent an Eiweifi enthalt, also weitaus viel 
mehr, eigentlich das Vierfache von dem, was die Milch enthalt. Wenn 
man also anfangt, dem Kinde solche Nahrung zu geben, die mehr Ei- 
weifi enthalt, dann mufi das Kind schon diese Kraft des Auflosens in 
sich bekommen haben. Es mufi schon selber auflosen konnen. 

Sie sehen daraus, wie notwendig es ist, daft das Kind fliissige Nah- 
rung bekommt. Aber was fur eine fliissige Nahrung? Eine fliissige 
Nahrung, die schon durch das Leben gegangen ist, und, da das Kind ja 
angelegt wird unmittelbar an die Mutterbrust, womoglich noch lebt. 

Beim Kinde ist das ganz deutlich zu bemerken, daft, wenn es nun die 
Milch trinkt und die. Milch durch Mund und Speiserohre bis in den 
Magen geht - da wird sie erst im menschlichen Korper abgetotet -, dafi 
sie dann wiederum belebt werden kann in den Gedarmen. So dafi wir 
da am Kinde unmittelbar sehen, daft das Leben erst abgetotet werden 
mufi. Und weil das Leben noch wenig verandert ist, hat das Kind zum 
Wiederbeleben weniger Kraft notwendig, wenn es Milch trinkt, als 
wenn es etwas anderes geniefit. Sie sehen also, wie nahe der Mensch 
dem Leben steht. 

Aber daraus sehen Sie noch etwas anderes. Wenn man jetzt wirklich 
richtig denkt, worauf kommt man denn da eigentlich? Fangen Sie an, 
jetzt gerade an diesem Punkte ganz richtig zu denken. Sehen Sie, wenn 
wir uns sagen: Das Kind mufi also belebte Nahrung aufnehmen, die es 
selber ertoten und wiederbeleben kann, und wir sagen dann: der Mensch 
besteht zum grofiten Teil aus Fliissigkeit -, diirfen wir da sagen, der 
Mensch besteht aus Wasser, aus dem Wasser, das wir draufien in der 
Natur, in der leblosen Natur finden? - Dann miifite ja dieses Wasser, 
das wir in der leblosen Natur finden, im Kinde gerade so arbeiten kon- 
nen, wie es im Erwachsenen arbeitet, der schon mehr Lebenskrafte sich 
gesammelt hat! 

Daraus aber sehen Sie, dafi das, was wir als unsere fast 90 Prozent 
Wasser in uns tragen, nicht gewohnliches, lebloses Wasser ist, sondern 
dafi das belebtes Wasser ist. Also es ist etwas anderes, was der Mensch 
als Wasser in sich tragt: Er tragt belebtes Wasser in sich. Und dieses 
belebte Wasser, das ist also Wasser, wie wir es haben draufien in der 



leblosen Natur, durchdrungen mit dem, was die ganze Welt durchsetzt 
als Leben, sich nur im leblosen Wasser ebensowenig geltend macht, wie 
sich das menschliche Denken im toten Leichnam geltend macht. Wenn 
Sie also sagen: Wasser - da hier habe ich Wasser im Bach und Wasser 
habe ich im menschlichen Korper, so konnen Sie sich das verstandlich 
machen, geradeso wie wenn Sie sagen: Da habe ich einen Leichnam und 
da habe ich einen lebenden Menschen; das Wasser im Bach ist der Leich- 
nam desjenigen Wassers, das im menschlichen Korper ist. 

Deshalb sagen wir: Der Mensch hat nicht nur dieses Tote in sich, 
dieses Physische, sondern er hat auch einen Lebenskorper, einen Lebens- 
leib in sich. Das ist dasjenige, was ein richtiges Denken wirklich gibt: 
Der Mensch hat diesen Lebensleib in sich. Und wie das nun weiterwirkt 
im Menschen, das konnen wir uns klarmachen, wenn wir den Menschen 
wirklich im Zusammenhang mit der Natur beobachten. Da aber mus- 
sen wir uns eigentlich das vor Augen stellen, daft wir zuerst hinaus- 
schauen in die Natur, und dann hineinschauen in den Menschen. Wenn 
wir in die Natur hinausschauen, dann finden wir ungefahr uberall die 
Bestandstticke, die Teile, aus denen der Mensch besteht, nur daft der 
Mensch diese Teile von der Natur in seiner Art verarbeitet. 

Gehen wir also, um das zu verstehen, zu den allerkleinsten Tieren. 
Sie werden dabei schon, wahrend ich rede, bemerken, wie ich beim 
Menschen schon ahnlich von demjenigen, was in ihm ist, geredet habe, 
wie ich jetzt von den kleinsten und von den niedrigsten Lebewesen 
drauften in der Natur reden mufi. Sehen Sie, da gibt es im Wasser, im 
Meerwasser ganz kleine tierische Wesen. Diese kleinen tierischen Wesen, 
die sind eigentlich nur kleine Schleimklumpchen, meistens so klein, daft 
man sie iiberhaupt nur durch ein starkes Vergrofterungsglas sehen kann. 
Tafel l * Ich zeichne sie jetzt naturlich vergroftert (siehe Zeichnung, links). Diese 
kleinen Schleimklumpchen, die schwimmen also im umgebenden Was- 
ser, in der Fliissigkeit. 

Wenn nun nichts weiter da ware als so ein Schleimklumpchen und 
ringsherum das Wasser, so wurde dieses Schleimklumpchen in Ruhe 
bleiben. Aber wenn, sagen wir, irgendein kleines Kornchen von irgend- 
Tafel l einem Stoff heranschwimmt, zum Beispiel solch ein kleines (siehe Zeich- 
nung, rechts) heranschwimmt, dann breitet dieses Tierchen, ohne daft 

30 * Zu den Tafelzeichnungen siehe S. 188 

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:347 Seite:30 




irgend etwas anderes da ist, seinen Schleim so weit aus, dafi jetzt dieses 
Kornchen in seinem Schleim drinnen ist. Und natiirlich mufi es diesen 
Schleim dadurch ausbreiten, dafi es da sich wegzieht. Dadurch bewegt 
sich dieses Kliimpchen. Dadurch also, dafi dieses kleine Lebewesen, die- 
ser kleine Lebensschleim mit seinem eigenen Schleim ein Kornchen um- 
gibt, dadurch haben wir es zugleich bewegt. Aber das andere Kornchen 
da, das wird jetzt aufgelost da drinnen. Es lost sich auf, und das Tier- 
chen hat dieses Kornchen gefressen. 

Nun kann aber ein solches Tierchen auch mehrere solcher Kornchen 
fressen. Denken Sie, da ware dieses Tierchen, da ein Kornchen, da auch 
ein Kornchen, da und da auch ein Kornchen (siehe Zeichnung), dann 




Tafel 1 



streckt das Tierchen hierher seine Fiihler, daher, daher und daher aus, 
und wo es sie am meisten ausgestreckt hat, wo das Kornchen also am 
grofiten war, da zieht es sich dann nach und zieht die anderen mit. So 
daft also dieses Tierchen sich auf diese Weise bewegt, dafi es sich zu- 
gleich ernahrt. 



Nun, meine Herren, wenn ich Ihnen das beschreibe, wie so diese 
kleinen Schleimklumpchen da im Meere herumschwimmen und sich 
zugleich ernahren, dann erinnern Sie sich, wie ich Ihnen die sogenann- 
ten weifien Blutkorperchen beschrieben habe im Menschen. Die sind im 
Menschen drinnen zunachst ganz dasselbe. Im menschlichen Blut 
schwimmen auch solche kleinen Tiere herum und ernahren sich und 
bewegen sich auf diese Weise. Wir kommen dadurch zu einem Ver- 
standnis, was da eigentlich im Menschenblut herumschwimmt, indem 
wir uns anschauen, was da draufSen im Meere an solchen kleinen Tier- 
chen herumschwimmt. Das tragen wir also in uns. 

Und jetzt, nachdem wir uns erinnert haben, wie wir eigentlich in 
gewissem Sinne solche Lebewesen, die draulSen in der Natur ausge- 
breitet sind, in unserem Blute herumschwimmend haben, die also da 
drinnen allseitig leben, wollen wir uns einmal klarmachen, wie unser 
Nervensystem, namentlich unser Gehirn beschaffen ist. Unser Gehirn, 
das besteht auch aus kleinsten Teilen. Wenn ich Ihnen diese kleinsten 
Teile aufzeichne, so sind sie so, dafi sie auch eine Art von klumpigem, 
dickem Schleim darstellen. Von diesem Schleim gehen solche Strahlen 



Tafel 1 




aus (siehe Zeichnung), die aus demselben Stoff wie der Schleim be- Tafell 
stehen. Sehen Sie, da ist solch eine Zelle, wie man sie nennt, aus dem 
Gehirn. Die hat eine Nachbarzelle. Die streckt hier ihre Fiifichen oder 
Armchen aus, und die beriihrt sich da mit den anderen. Da ist eine 
dritte solche Zelle; die streckt hier ihre Fiiftchen aus, beriihrt sich da. 
Sie konnen sehr lang werden. Manche gehen fast durch den halben Kor- 
per. Die grenzt wieder an eine Zelle an. Wenn wir unser Gehirn durch 
das Mikroskop anschauen, so wirkt es durchaus so, daft es aus solchen 
Punktchen besteht, wo die Schleimmasse starker angehauft ist. Und 
dann gehen hier dicke Baumaste aus; die gehen immer wieder ineinan- 
der hinein. Wenn Sie sich vorstellen wiirden einen dichten Wald mit 
dicken Baumkronen, die weitausladende Aste hatten, die sich gegen- 
seitig beriihren wiirden, so hatten Sie eine Vorstellung, wie das Gehirn 
unter dem Mikroskop, unter dem Vergrofterungsglas ausschaut. 

Aber, meine Herren, Sie konnen jetzt sagen: Nun hat er uns also 
beschrieben diese weiften Blutkorperchen, die im Blute leben. Und das, 
was als das Gehirn beschrieben ist, das ist doch ganz ahnlich; da siedeln 
sich lauter solche Korperchen an, wie sie im Blut sind. - Wenn ich nam- 
lich das machen wiirde, daft ich einem Menschen, ohne daft ich ihn 
dabei toten wiirde, alle weiften Blutkorperchen wegnehmen konnte und 
die nun so hiibsch, nachdem ich ihm zuerst das Gehirn herausgenommen 
habe, in die Schadeldecke hineintun konnte, dann hatte ich ihm aus sei- 
nen weiften Blutkorperchen ein Gehirn gemacht. 

Aber das-Merkwiirdige ist, daft, bevor wir ihm aus den weiften Blut- 
korperchen ein Gehirn machen wiirden, diese weiften Blutkorperchen 
halb sterben miiftten. Das ist der Unterschied zwischen den weiften 
Blutkorperchen und den Gehirnzellen. Die weiften Blutkorperchen sind 
voller Leben. Die bewegen sich immer umeinander im menschlichen 
Blut. Ich habe Ihnen gesagt, sie wallen wie das Blut durch die Adern 
durch. Da gehen sie heraus. Da werden sie dann, wie ich es ausgefuhrt 
habe, zu Feinschmeckern und gehen bis an die Korperoberflache. Uber- 
all kriechen sie herum im Korper. 

Wenn Sie aber das Gehirn anschauen, da bleiben diese Zellen, diese 
Korperchen an ihrem Ort. Die sind in Ruhe. Die strecken nur ihre Aste 
aus und beriihren immer das nachste. Also dasjenige, was da im Korper 

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:3 47 Seite:3 3 



ist an weifien Blutkorperchen und in voller Bewegung ist, das kommt 
im Gehirn zur Ruhe und ist in der Tat halb abgestorben. 

Denn denken Sie sich dieses herumkriechende Tierchen im Meer, das 
frifit einmal zuviel. Wenn es zuviel frifk, dann geschieht die Geschichte 
so: Dann streckt es seinen Arm aus, seinen Ast, nimmt da auf und da, 
und hat zuviel gefressen. Das kann es nicht vertragen; jetzt teilt es sich 
in zwei, geht auseinander, und wir haben statt eins zwei. Es hat sich 
vermehrt. Diese Fahigkeit, sich zu vermehren, haben auch unsere wei- 
fien Blutkorperchen. Es sterben immer welche ab und andere entstehen 
durch Vermehrung. 

Auf diese Weise konnen sich die Gehirnzellen, die ich Ihnen da auf- 
gezeichnet habe, nicht vermehren - unsere weifien Blutkorperchen in 
uns sind voiles, selbstandiges Leben -, die Gehirnzellen, die so ineinan- 
dergehen, konnen sich so nicht vermehren; aus einer Gehirnzelle wer- 
den niemals zwei Gehirnzellen. Wenn der Mensch ein grofieres Gehirn 
kriegt, wenn das Gehirn wachst, miissen immer Zellen aus dem iibrigen 
Korper in das Gehirn hineinwandern. Die Zellen miissen hineinwach- 
sen. Nicht, dafi im Gehirn das jemals vor sich gehen wiirde, daft die 
Gehirnzellen sich vermehren wiirden; die sammeln sich nur an. Und 
wahrend unseres Wachstums miissen immer aus dem iibrigen Korper 
neue Zellen hinein, damit wir, wenn wir erwachsen sind, ein genugend 
grofies Gehirn haben. 

Auch daraus, dafi diese Gehirnzellen sich nicht vermehren konnen, 
sehen Sie, dafi sie halb tot sind. Sie sind immer im Sterben, diese Gehirn- 
zellen, immer, immer im Sterben. Wenn wir das wirklich richtig be- 
trachten, so haben wir im Menschen einen wunderbaren Gegensatz: 
In seinem Blut tragt er Zellen voller Lebendigkeit in den weiften Blut- 
korperchen, die immerfort leben wollen, und in seinem Gehirn tragt er 
Zellen, die eigentlich immerfort sterben wollen, die immer auf dem Weg 
des Sterbens sind. Das ist auch wahr: der Mensch ist durch sein Gehirn 
immer auf dem Wege des Sterbens, das Gehirn ist eigentlich immer in 
Gefahr, zu sterben. 

Nun, meine Herren, Sie werden schon gehort haben, oder vielleicht 
selber erlebt haben — es ist einem das immer unangenehm, wenn man es 
selber erlebt -, dafi Menschen auch ohnmachtig werden konnen. Wenn 



Menschen ohnmachtig werden, so kommen sie in einen solchenZustand, 
wie wenn sie fallen wiirden. Sie verlieren das Bewufksein. 

Was ist denn da eigentlich im Menschen geschehen, wenn er auf 
die$e Weise das Bewulksein verliert? Sie werden auch wissen, dafi zum 
Beispiel Menschen, die recht bleich sind, wie zum Beispiel solche Mad- 
chen, die bleichsiichtig sind, am leichtesten ohnmachtig werden. 
Warum? Ja, sehen Sie, sie werden aus dem Grunde ohnmachtig, weil 
sie im Verhaltnis zu den roten Blutkorperchen zuviel weifie haben. Der 
Mensch mufi ein ganz genaues Verhaltnis, wie ich es Ihnen auch an- 
gegeben habe, zwischen weifien Blutkorperchen und roten Blutkorper- 
chen haben, damit er in der richtigen Weise bewufk sein kann. Also, 
was bedeutet denn das, daft wir bewufklos werden? Zum Beispiel in der 
Ohnmacht, aber auch im Schlafe werden wir bewufitlos. Das bedeutet, 
dafi die Tatigkeit der weifien Blutkorperchen eine viel zu regsame ist, 
viel zu stark ist. Wenn die weilSen Blutkorperchen zu stark tatig sind, 
wenn also der Mensch zuviel Leben in sich hat, dann verliert er das 
Bewufttsein. Also ist es sehr gut, dafi der Mensch in seinem Kopfe Zel- 
len hat, die fortwahrend sterben wollen; denn wenn die auch noch leben 
wiirden, diese weiften Blutkorperchen im Gehirn, dann wiirden wir 
iiberhaupt kein Bewufitsein haben konnen, dann waren wir immer 
schlafende Wesen. Immer wiirden wir schlafen. 

Und so konnen Sie fragen: Warum schlafen denn die Pflanzen 
immerfort? - Die Pflanzen schlafen immerfort einfach aus dem 
Grunde, weil sie nicht solche lebendige Wesen haben, weil sie also 
eigentlich iiberhaupt kein Blut haben, weil sie dieses Leben, das in un- 
serem Inneren da als selbstandiges Leben ist, nicht haben. 

Wenn wir unser Gehirn mit etwas in der Natur draufien vergleichen 
wollen, so miissen wir unser Gehirn wiederum nur mit den Pflanzen 
vergleichen. Das Gehirn, das untergrabt im Grunde genommen fort- 
wahrend unser eigenes Leben, und dadurch schafft es gerade Bewufk- 
sein. Also kriegen wir einen ganz widersprechenden Begriff fur das 
Gehirn. Es ist ja widersprechend: Die Pflanze kriegt kein Bewufksein, 
der Mensch kriegt Bewufitsein. Das ist etwas, was wir noch erst durch 
lange Uberlegungen erklaren miissen, und wir wollen uns jetzt auf den 
Weg begeben, das erklaren zu konnen. 



Wir werden ja jede Nacht bewufttlos, wenn wir schlafen. Da mufi 
also in unserem Korper etwas vor sich gehen, was wir jetzt verstehen 
lernen miissen. Was geht denn dann da in unserem Korper vor sich? 
Ja, sehen Sie, meine Herren, wenn alles in unserem Korper geradeso 
ware beim Schlafen wie beim Wachen, so wiirden wir eben nicht schla- 
fen. Beim Schlafen, da fangen unsere Gehirnzellen ein biftchen mehr zu 
leben an, als sie beim Wachen leben. Sie werden also ahnlicher den- 
jenigen Zellen, welche eigenes Leben in uns haben. So daft Sie sich vor- 
stellen konnen: Wenn wir wachen, da sind diese Gehirnzellen ganz 
ruhig; wenn wir aber schlafen, da konnen diese Gehirnzellen zwar nicht 
sehr stark von ihrem Orte weg, weil sie schon lokalisiert sind, weil sie 
von auften festgehalten werden; sie konnen nicht gut sich herum- 
bewegen, nicht gut herumschwimmen, weil sie gleich an etwas anderes 
anstoften wiirden, aber sie bekommen gewissermaften den Willen, sich 
zu bewegen. Das Gehirn wird innerlich unruhig. Dadurch kommen wir 
in den bewufitlosen Zustand, daft das Gehirn innerlich unruhig wird. 

Jetzt miissen wir sagen: Woher kommt denn eigentlich im Menschen 
dieses Denken? Das heifit, woher kommt es denn, daft wir die Krafte 
aus dem ganzen weiten Weltenall in uns aufnehmen konnen? Mit un- 
seren Ernahrungsorganen konnen wir nur die Erdenkrafte aufnehmen 
mit den Stoffen. Mit unseren Atmungsorganen konnen wir nur die Luft 
aufnehmen, namlich mit dem Sauerstoff. Daft wir die ganzen Krafte 
aus der weiten Welt aufnehmen konnen mit unserem Kopf, dazu ist 
notwendig, daft es da drinnen recht ruhig wird, daft also das Gehirn 
sich vollstandig beruhigt. Wenn wir aber schlafen, f angt das Gehirn an, 
regsam zu werden; dann nehmen wir weniger diese Krafte auf, die da 
drauften im weiten Weltenall sind, und da werden wir bewufttlos. 

Aber jetzt ist ja die Geschichte so: Denken Sie einmal, an zwei Orten 
wird eine Arbeit verrichtet; hier, sagen wir, wird eine Arbeit verrichtet 
von fiinf Arbeitern, und da von zwei Arbeitern. Die werden dann 
zusammengegeben, diese Arbeiten, und jede Partie macht weiter einen 
Teil der Arbeit. Nehmen wir aber an, es wird einmal notwendig, daft 
man da ein bifichen die Arbeit einstellt, weil zuviel Teile von der einen 
Sorte und dort zuwenig von der anderen fabriziert worden sind. Was 
werden wir dann tun? Da werden wir von den fiinf Arbeitern einen 



bitten, daft er hiniibergeht zu den zwei Arbeitern. Nun haben wir dort 
drei Arbeiter und von den fiinfen werden es hier vier. Wir verlegen die 
Arbeit von der einen Seite nach der anderen, wenn wir nichts ver- 
mehren wollen. Der Mensch hat nur eine ganz bestimmte Menge von 
Kraften. Die mufi er verteilen. Wenn also im Schlaf in der Nacht das 
Gehirn regsamer wird, mehr arbeitet, so mufi das namlich aus dem 
anderen Korper herausgeholt werden; diese Arbeit mufi da heraus- 
geholt werden. Nun, wo wird denn die hergenommen? Ja, sehen Sie, 
die wird eben dann von einem Teil der weifien Blutkorperchen her- 
genommen. Ein Teil der weiften Blutkorperchen fangt an, in der Nacht 
weniger zu leben als am Tage. Das Gehirn lebt mehr. Ein Teil der 
weifien Blutkorperchen lebt weniger. Das ist der Ausgleich. 

Nun aber habe ich Ihnen gesagt: Dadurch, daft das Gehirn das Leben 
etwas einstellt, ruhig wird, fangt der Mensch an zu denken. Wenn also 
diese weifien Blutkorperchen ruhig werden, beruhigt werden in der 
Nacht, dann miifite der Mensch anfangen, uberall da zu denken, wo 
die weifien Blutkorperchen ruhig werden. Da miifite er anfangen, jetzt 
mit seinem Korper zu denken. 

Fragen wir uns nun: Denkt denn der Mensch vielleicht mit seinem 
Korper in der Nacht? - Das ist eine kitzlige Frage, nicht wahr, ob der 
Mensch vielleicht in der Nacht mit seinem Korper denkt! Nun, er weifi 
nichts davon. Er kann zunachst nur sagen, er weifi nichts davon. Aber 
dafi ich von etwas nichts weifi, das ist ja noch kein Beweis, dafi das 
nicht da ist, sonst miifite alles das nicht da sein, was die Menschen noch 
nicht gesehen haben. Daft ich also von etwas noch nichts weifi, das ist 
kein Beweis, daft es nicht da ist. Der menschliche Korper konnte in der 
Tat in der Nacht denken, und man weift einfach nichts davon und 
glaubt daher, daft er nicht denkt. 

Nun mussen wir untersuchen, ob denn der Mensch vielleicht doch 
Anzeichen dafiir hat, daft er, wahrend er beim Tage mit dem Kopf 
denkt, in der Nacht mit der Leber und mit dem Magen und mit den 
anderen Organen anfangt zu denken, sogar vielleicht mit den Gedar- 
men denkt. 

Wir haben dafiir gewisse Anzeichen. Jeder Mensch hat Anzeichen, 
daft das der Fall ist. Denn stellen Sie sich einmal vor, woher das kommt, 



dafi etwas da ist und wir doch nichts wissen davon. Denken Sie 
sich, ich stehe da, rede zu Ihnen, und ich wende meine Aufmerk- 
samkeit Ihnen zu, das heifit, ich sehe dann nicht dasjenige, was hinter 
mir ist. 

Da kann Kurioses passieren. Ich kann zum Beispiel gewohnt sein, 
mich manchmal hier auf den Stuhl zu setzen zwischen dem Reden. Jetzt 
wende ich meine Aufmerksamkeit auf Sie, und wahrend der Zeit nimmt 
mir jemand den Stuhl weg. Ich habe das ganze nicht gesehen, aber 
geschehen ist es doch, und ich merke die Folgen, wenn ich mich jetzt 
niedersetzen will! 

Sehen Sie, die Sache ist so, dafi man nicht blofi urteilen mufi nach 
dem, was man so gewohnlich weifi, sondern man mufi urteilen nach 
dem, was man vielleicht auch auf ganz indirekte Weise wissen kann. 
Hatte ich mich gerade geschwind umgeschaut, so wiirde ich mich wahr- 
scheinlich nicht auf den Boden niedergelassen haben. Wenn ich mich 
umgeschaut hatte, hatte ich das verhindert. 

Nun betrachten wir einmal das menschliche Denken im Korper. 
Sehen Sie, die Naturforscher, die haben das gern, wenn sie reden kon- 
nen von Grenzen der menschlichen Erkenntnis. Was meinen sie eigent- 
lich da? Die Naturforscher meinen bei demjenigen, was sie reden von 
Grenzen der Erkenntnis, dafi das nicht da ist, was sie noch nicht ge- 
sehen haben - nicht durch das Mikroskop oder durch das Fernrohr oder 
uberhaupt. Aber mit der Erkenntnis setzen sich die Leute eben fort- 
wahrend auf den Boden nieder, weil das gar kein Beweis ist, daft 
etwas nicht da ist, wenn man es nicht gesehen hat. Das ist schon ein- 
mal so. 

Nun, dasjenige, was also mir bewufk werden soli, das mufi von mir 
nicht nur erdacht werden, sondern ich mufi noch extra das Erdachte 
beobachten. Das Denken konnte mir ein Vorgang sein, der immer 
geschieht, manchmal im Kopf, manchmal im ganzen Korper. Aber 
wenn ich wache, da habe ich meine Augen auf. Die Augen sehen nicht 
nur nach aufien, sondern die Augen nehmen auch nach innen wahr. 
Ebenso wenn ich etwas schmecke, so schmecke ich nicht nur das, was 
aufien ist, sondern ich nehme auch in meinem Inneren wahr, ob ich zum 
Beispiel, sagen wir, durch meinen ganzen Korper krank bin, und das- 



jenige, was irgendein anderer noch als sympathisch schmeckt, das wird 
mir ekelhaft. Also das Innere bestimmt immer. Das innere Wahrnehmen 
mufi auch da sein. 

Denken Sie sich nun, wir wachen so ganz normal auf . Da beruhigen 
sich langsam unsere Gehirnzellen. Die kommen ganz langsam in Ruhe, 
und die Sache geht so, dafi ich nach und nach meine Sinne gebrauchen 
lerne, also meine Sinne wieder gebrauche. Es geht das Aufwachen ganz 
angemessen dem Lebenskreislauf nach vor sich. Das kann der eine Fall 
sein. 

Der andere Fall kann aber auch sein, daft ich durch irgendeinen Um- 
stand zu schnell meine Gehirnzellen beruhige. Viel zu schnell beruhige 
ich sie. Da geschieht jetzt etwas anderes, wenn ich sie zu schnell be- 
ruhige. Sagen wir, wenn einer die Bewegung von den Arbeitern leitet, 
von der ich gesagt habe, wenn hier fiinf sind, nimmt er den funften 
weg und stellt ihn dort hiniiber, wenn einer das leitet, so wird das unter 
Umstanden sehr glatt vor sich gehen. Nehmen Sie aber an, der eine mufi 
den einen wegnehmen, der andere mufi ihn wieder hintun, da kann sich 
die ganze Geschichte schlimm gestalten, namentlich, wenn die zwei sich 
streiten, ob es richtig oder nicht richtig ist. Wenn nun in meinem Gehirn 
die Gehirnzellen zu schnell sich beruhigen, dann werden diejenigen 
weifien Blutkorperchen, die wahrend des Schlafens jetzt in Ruhe ge- 
kommen sind, nicht so schnell wieder in Bewegung kommen konnen. 
Und es wird das entstehen, dafi, wahrend ich im Gehirn schon beruhigt 
bin, wahrend ich im Gehirn also schon meine ganze Bewegung beruhigt 
habe, die im Schlafe da war, da unten im Blut die weifien Blutkorper- 
chen noch nicht werden aufstehen wollen. Die werden da noch etwas 
in Ruhe beharren wollen. Die wollen nicht aufstehen. 

Das ware ja etwas ganz Wunderbares, wenn wir so ohne weiteres 
diese noch faulen Blutkorperchen wahrnehmen konnten - ich sage das 
natiirlich nur figurlich -, die noch im Bette liegen bleiben wollen. Da 
wiirden sie sich nur erst anschauen, wie sich sonst die ruhigen Gehirn- 
zellen anschauen, und wir wiirden die wunderbarsten Gedanken wahr- 
nehmen. Gerade in dem Momente, wo wir zu schnell aufwachen, wiir- 
den wir die wunderbarsten Gedanken wahrnehmen. Das kann man 
einfach verstehen, meine Herren, wenn man die ganze Geschichte von 



dem Zusammenhang des Menschen mit der Natur versteht. Wiirde 
man, wenn nichts anderes hinderlich ware, schnell aufwachen, so wiirde 
man in seinem Korper die wunderbarsten Gedanken wahrnehmen kon- 
nen. Das kann man aber nicht. Warum kann man das nicht? Ja, wissen 
Sie, da zwischen diesen fad gebliebenen, noch schlafenden weifien 
Blutkorperchen, und zwischen dem, womit wir sie wahrnehmen, was 
wir nur mit dem Kopf konnen, da geht die ganze Atmung vor sich. Da 
sind die roten Blutkorperchen drinnen. Die Atmung geht vor sich, und 
wir miissen durch den ganzen Atmungsprozefi diesen Gedankenvor- 
gang, der da in uns vor sich geht, ansehen. 

Denken Sie sich einmal, ich wache auf; dadurch beruhigt sich mein 
Tafel 1 Gehirn. Da unten (es wird gezeichnet), da sind irgendwo die weifien 
Blutkorperchen im Blut drinnen. Die wiirde ich auch noch als ruhige 
wahrnehmen, und ich wiirde da drinnen die schonsten Gedanken sehen. 
Ja, jetzt ist aber zwischendrinnen da der ganze Atmungsprozefi. Das ist 
geradeso wie wenn ich etwas anschauen will, und ich schaue es durch 
ein triibes Glas an; da sehe ich es undeutlich, da verschwimmt mir alles. 
Dieser Atmungsprozefi ist wie ein triibes Glas. Da verschwimmt mir 
das ganze Denken, das da im Korper drunten ist. Und was entsteht 
daraus? Die Traume. Die Traume entstehen daraus: Undeutliche Ge- 
danken, die ich wahrnehme, wenn in meinem Korper die Gehirntatig- 
keit sich zu schnell beruhigt. 

Und wiederum beim Einschlafen, wenn ich eine Unregelmafiigkeit 
habe, wenn also das Gehirn beim Einschlafen zu langsam in die Reg- 
samkeit hineinkommt, dann geschieht die Geschichte so, dafi ich da- 
durch, dafi das Gehirn zu langsam in die Regsamkeit hineinkommt, 
also noch die Fahigkeit hat, etwas wahrzunehmen - dafi ich dadurch 
wiederum das Denken, das da unten schon beginnt wahrend des Schla- 
fens, im Einschlafen beobachten kann. Und so geschieht es, dafi also 
der Mensch dasjenige, was eigentlich die ganze Nacht von ihm un- 
beobachtet bleibt, im Aufwachen und im Einschlafen als Traume 
wahrnimmt. 

i Denn Traume nehmen wir eigentlich erst im Moment des Auf- 

wachens wahr. Dafi wir Traume erst im Moment des Aufwachens 
wahrnehmen, das konnen Sie sich sehr leicht dadurch vergegenwarti- 

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:347 Seite:40 



gen, daft Sie einmal einen Traum ordentlich anschauen. Nehmen Sie an, 
ich schlafe und neben meinem Bett steht ein Stuhl. Nun kann ich fol- 
gendes traumen: Ich bin ein Student und begegne irgendwo einem 
anderen Studenten, dem ich irgendein grobes Wort sage. Der andere 
Student, der mufi darauf reagieren - man nennt das «Komment» -, der 
mufi dann reagieren auf dieses grobe Wort, und es kommt ja bis dahin 
dann, daft er mich fordert. Es kann manchmal eine ganze Geringfugig- 
keit sein, so miissen Studenten fordern. 

Nun, da wird alles jetzt so getraumt: da werden die Sekundanten 
ausgewahlt, da geht man in den Wald hinaus im Traum, und draufien 
ist man angekommen; man beginnt zu schieften. Der erste schieftt. Ich 
hore noch im Traum den Schufi, wache aber auf und habe blofi mit 
meinem Arm neben dem Bett den Stuhl umgeschmissen. Das war der 
Schuft! 

Ja, meine Herren, wenn ich den Stuhl nicht umgeschmissen hatte, 
dann hatte ich den ganzen Traum iiberhaupt nicht getraumt, dann 
ware der Traum nicht dagewesen! Daft also der Traum just ein solches 
Bild geworden ist, das ist ja erst im Momente des Aufwachens ge- 
schehen, denn der umgeschmissene Stuhl hat mich ja erst aufgeweckt. 
Also in diesem einzigen Moment des Aufwachens ist das Bild entstan- 
den, ist undeutlich geworden, was da in mir vorgeht. Daraus konnen 
Sie sehen, daft dasjenige, was bildlich ist im Traume, sich erst bildet im 
einzigen Moment, in dem ich aufwache, geradeso wie im Einschlafen in 
dem einzigen Moment sich bilden mufi dasjenige, was bildhaft ist im 
Traume. 

Aber wenn sich solche Bilder bilden, und ich mit solchen Bildern 
wiederum etwas wahrnehmen kann, so miissen eben Gedanken dazu 
da sein. Wozu kommen wir denn da? Wir kommen dazu, Schlafen und 
Wachen etwas zu verstehen. Fragen wir uns also: Wie ist denn das nun 
beim Schlafen? Beim Schlafen ist unser Gehirn mehr in Tatigkeit als 
beim Wachen, beim Wachen beruhigt sich unser Gehirn. Ja, meine 
Herren, wenn wir sagen konnten, daft unser Gehirn beim Wachen 
tatiger wird, dann, sehen Sie, konnten wir Materialisten sein, denn 
dann wiirde die physische Tatigkeit des Gehirnes das Denken bedeuten. 
Aber wenn wir verniinftige Menschen sind, konnen wir gar nicht sagen, 



daft das Gehirn beim Wachen regsamer ist als beim Schlafen. Es mufi 
sich gerade beim Wachen beruhigen. 

Also die korperliche Tatigkeit kann uns ja gar nicht das Denken 
geben. Wenn uns die korperliche Tatigkeit das Denken geben wiirde, 
so miiftte dieses Denken in einer starkeren korperlichen Tatigkeit be- 
stehen als das Nichtdenken. Aber das Nichtdenken besteht in einer 
starkeren korperlichen Tatigkeit. Also konnen Sie sagen: Ich habe eine 
Lunge; die Lunge wiirde faul sein, wenn nicht der auftere Sauerstoff 
uber sie kommen und sie in Tatigkeit versetzen wiirde. So aber wird 
mein Gehirn faul bei Tag; da muft also auch etwas Aufteres kommen 
fur das Gehirn, das es in Tatigkeit versetzt. Und so miissen wir an- 
erkennen, daft in der Welt - geradeso wie der Sauerstoff die Lunge in 
Bewegung versetzt oder in Tatigkeit versetzt - bei Tag das Gehirn 
durch irgend etwas, was nicht im Korper selber ist, nicht zum Korper 
selber gehort, zum Denken gebracht wird. 

Wir miissen uns also sagen: Treiben wir richtige Naturwissenschaft, 
dann werden wir dazu gefiihrt, ein Unkorperliches, ein Seelenhaftes 
anzunehmen. Wir sehen es ja, daft es da ist. Wir sehen es gewissermaften 
beim Aufwachen hereinfHegen, denn aus dem Korper kann nicht das- 
jenige kommen, was da Denken ist. Wiirde es aus dem Korper kommen, 
so miiftte man gerade in der Nacht besser denken. Wir miiftten uns hin- 
legen und einschlafen, dann wiirde in unserem Gehirn das Denken auf- 
gehen. Aber das tun wir nicht. Also wir sehen gewissermaften herein- 
fHegen dasjenige, was unsere seelische und geistige Wesenheit ist. 

So daft man sagen kann: Die Naturwissenschaft hat ja grofte Fort- 
schritte in der neueren Zeit gemacht, aber sie hat nur dasjenige kennen- 
gelernt, was eigentlich nicht zum Leben und nicht zum Denken geeig- 
net ist, wahrend sie das Leben selber nicht begriffen hat, und das 
Denken noch viel weniger begriffen hat. Und so wird man, wenn man 
richtig Naturwissenschaft treibt, nicht durch einen Aberglauben, son- 
dern gerade durch diese richtige Naturwissenschaft dazu gebracht, zu 
sagen: Geradeso wie es zum Atmen einen Sauerstoff geben muft, muft 
es zurn Denken ein Geistiges geben. 

Davon das nachste Mai, denn das laftt sich nicht so einf ach entschei- 
den. Es werden noch in vielen vonlhnen allerleiGegenkrafte sein gegen 



das, was ich gesagt habe. Aber es muft durchaus gesagt werden, daft der- 
jenige, der eben nicht so redet, sich die ganze Geschichte in dem Men- 
schen einfach nicht klarmacht. Also darum handelt es sich, nicht irgend- 
einen Aberglauben zu verbreiten, sondern eine vollstandige Klarheit 
erst zu schaffen. Das ist es, um was es sich handelt. 



DRITTER VORTRAG 



Dornach, 9. August 1922 

Frage: Aus den Ferien werden von einem Zuhorer Steine mitgebracht. Es wird ge- 
fragt, ob Steine auch Leben haben oder einmal Leben gehabt haben und wie sie 
geworden seien. 

Dr. Steiner: An diese Steine kann ich vielleicht ein anderes Mai an- 
kniipfen; aber vielleicht ist es auch moglich, dafi ich es in unserer heu- 
tigen Betrachtung noch einfiigen kann. 

Sehen Sie, meine Herren, da will ich folgendes sagen: Wir haben also 
gesehen, dafi eigentlich in uns, im Menschen, eine Art Abtotung des 
Lebens stattfindet. Wir haben gesehen, daft wir im Blut diese herum- 
kriechenden Tierchen haben, die weifien Blutkorperchen, die durch die 
Blutadern hin durch bis an unsere Haut kriechen. Ich habe Ihnen gesagt: 
Es ist fur diese Tierchen eine besondere Feinschmeckerei, wenn sie, 
wahrend sie sonst nur im ganzen menschlichen Korper drinnen sind, 
an die Oberflache kommen. Das ist fur sie sozusagen das Gewiirz des 
Lebens. Das sind also die lebendigen Zellen, die da herumkriechen. Im 
Gegensatz dazu habe ich Ihnen gesagt: Die Zellen im Nervensystem, 
namentlich die, die im Gehirn sind, das sind eigentlich Zellen, die fort- 
wahrend abgetotet werden, fortwahrend ins Tote hineinkommen. Die 
Zellen im Gehirn sind so, dafi sie eigentlich nur anfangen, etwas leben- 
diger zu sein, wenn Sie schlafen. Da fangen die an, etwas lebendiger zu 
sein. Sie konnen sich dann nicht von ihrem Orte wegbewegen, weil sie 
sehr eingezwangt sind unter den anderen; sie konnen sich nicht so 
bewegen wie die weifien Blutkorperchen, aber sie fangen in der Nacht, 
wahrend Sie schlafen, etwas zu leben an. Und darinnen liegt es auch, 
daft dann, wenn diese Zellen etwas mehr Lebens-, Willenskraft vom 
Korper bekommen, die weifien Blutkorperchen etwas ruhiger bleiben 
mussen. Und dadurch wird im ganzen Korper, wie ich Ihnen gesagt 
habe, eigentlich gedacht. 

Nun wollen wir uns einmal die Frage vorlegen: Woher kommen 
denn eigentlich die Gedanken? - Nicht wahr, die Menschen, die da 
blofi materialistisch denken wollen, das heifit, bequem denken wollen, 



die sagen: Nun ja, Gedanken entstehen halt im Gehirn oder im Nerven- 
system des Menschen. Da wachsen die Gedanken wie die Kohlkopfe 
auf dem Felde. - Aber wenn die Menschen nur das einmal ausdenken 
wiirden - «wie die Kohlkopfe auf dem Felde» ! Auf dem Felde wach- 
sen keine Kohlkopfe, wenn man sie nicht erst anbaut. Also, es mussen 
die Sachen zuerst angebaut werden sozusagen. Meinetwillen kann ja 
jeder im menschlichen Gehirn eine Art Acker sehen fur die Gedanken. 
Aber denken Sie sich doch nur einmal: Wenn Sie einen schonen Acker 
mit Kohlkopfen haben, und derjenige, der ihn immer angebaut hat, 
weggezogen ware und keiner sich finden wiirde, der weiter anbaut, so 
wiirde also auf dem Acker niemals Kohl wachsen. 

Also es mufi gesagt werden: Gerade wenn man meint, die Gedanken 
kommen aus dem Gehirn heraus, so mufi man zuerst fragen: Woher 
kommen sie? Nun, so wie der Kohl aus dem Acker kommt! - Also die 
Frage mufi erst richtig aufgefafit werden. Und da mussen wir uns das 
Folgende sagen: Das, was Sie da sehen, das ist tatsachlich draufien in 
der Natur entstanden. Das, was da draufien in der Natur entsteht, das 
mochte ich Ihnen einmal erklaren. Ich habe Ihnen gesagt: Wir finden 
alles im Menschen drinnen, wenn wir in der Umgebung des Menschen 
alles begreifen. Als wir auf die Pflanzen hingeschaut haben und so 
weiter, haben wir manches im Menschen begriffen. Jetzt haben wir da 
diesen Stein. Schauen wir uns einmal dieses Gestein ordentlich an. Sehen 
Sie, da ist darunter und dahinter und oben ein sehr weiches Gestein. 
Das konnen Sie mit dem Messer herunterkratzen. Das Auftere, was da 
drumherum ist, ist also einfach so wie eine etwas dichtere Erde. Das ist 
also so - ich will jetzt nur das Untere hierherzeichnen -: Da ist unten 



Tafel2 



dieses weiche Gestein, und geradeso wie wenn sie herauswachsen wiir- 
den, sind da auf diesem weichen Gestein allerlei Kristalle drauf, Kri- 
stalle, die wie herauswachsen. Ich miifke viele zeichnen, nicht wahr, 

Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:3 47 Seite:4 5 



aber das ist schon geniigend. Da sind also solche kleine Kristalle; die 
sind da drunten, wie wenn sie herausgewachsen waren, sind aber furcht- 
bar hart. Die konnen Sie nicht mit dem Messer wegkratzen, die greift 
das Messer nicht an; hochstens, wenn Sie an eines herankommen, kon- 
nen Sie eines als Ganzes abtrennen, aber hineinkratzen konnen Sie 
nicht. Das sind also harte Kristalle, die da eingebettet sind. 

Nun wollen wir uns einmal fragen: Wie kommen in das weichere 
Erdreich, das nur ein bifichen kompakt zusammengebacken ist, solche 
Kristalle? Solche Kristalle sind also Korper, die sehr schon gestaltet 
sind; dahier haben sie eine solche Langsgestalt, und oben haben sie ein 
kleines Dacherl drauf. Unten wiirde auch noch ein Dacherl sein, wenn 
das nicht in die Erde hineinragen wiirde. Wenn das geniigend weich 
ware, so wiirde das bei jedem Kristall so sein; aber das geht zugrunde, 
wenn das hineinkommt ins Erdreich. 

Woher kommen sie, diese Kristalle? Nicht wahr, wenn Pflanzen 
wachsen, dann mulS aufien, aufierhalb der Pflanzen Kohlensaure sein. 
Die Pflanzen konnen sonst nicht wachsen. Derselbe Stoff , den wir aus- 
atmen, der mufi an die Pflanzen herankommen. Und dann, wenn die 
Kohlensaure an die Pflanzen herankommt, dann saugen die Pflanzen 
diese Kohlensaure ein, halten den Kohlenstoff, der in der Kohlensaure 
drinnen ist, zuriick, und den Sauerstoff, den atmen sie wieder aus. Das 
ist ja der Unterschied zwischen den Menschen und den Pflanzen. Die 
Menschen atmen den Sauerstoff ein und atmen die Kohlensaure aus; 
wir halten den Sauerstoff zuriick, wahrend wir die Kohlensaure ab- 
geben. Die Pflanze ist mit der Erde verbunden. Wenn die Pflanze ab- 
stirbt, so geht dieser Kohlenstoff in den Boden zuriick und wird eben 
zu der schwarzen Steinkohle, die wir nach Jahrhunderten herausgraben 
aus der Erde. 

So gibt es aber auch andere Stoffe. So gibt es einen Stoff, der der 
Kohle in einer gewissen Beziehung recht ahnlich ist, aber doch wie- 
derum verschieden. Das ist der Kiesel. Nehmen Sie an, Sie haben einen 
Boden, der kieselreich ist, in dem viel Kiesel drinnen ist. Dann wirkt, 
weil immer Sauerstoff da ist, der Sauerstoff. Da driiber ist jetzt Sauer- 
stoff. Dieser Sauerstoff wirkt zunachst nicht auf den Kiesel. Aber nach 
einiger Zeit, im Verlaufe der Erdenentwickelung, da findet man plotz- 



lichj daft der Sauerstoff sich mit dem Kiesel vereinigt hat. Und so wie 
bei uns Kohlensaure entsteht, wenn wir ausatmen, so entsteht, wenn 
der Kiesel von der Erde richtig mit dem Sauerstoff zusammenkommt, 
Quarz, Kieselsaure; da entstehen namlich solche Kristalle. Es braucht Tafel2 
sich nur der Kiesel von der Erde zu verbinden mit dem Sauerstoff, dann 
entstehen solche Kristalle, wie sie dort sind. 

Aber der Sauerstoff hat nicht von selber die Gewalt, sich mit dem 
Kiesel zu vereinigen. Sie konnen viel Kiesel haben und dariiber Sauer- 
stoff, es wiirde sich das alles nicht bilden. Warum bilden sich diese 
schonen Gestalten? Ja, die bilden sich eben, weil von alien Seiten im 
Weltenall Krafte hereinwirken und die Erde fortwahrend im Zusam- 
menhang mit dem ganzen Weltenall ist. Da wirken fortwahrend 
Krafte herein, und diese Krafte, die bringen den Sauerstoff in den 
Kiesel hinein, und dadurch entstehen solche Kristalle. So daft alle diese 
Kristalle dadurch entstehen, daft die Erde von alien anderen Gestirnen 
beeinfluftt wird. Wir konnen also sagen: Diese Kristalle sind eigentlich 
aus der Welt herein gebildet. 

Nun konnen Sie aber folgendes sagen: Was erzahlst du uns da? Das 
Gestein, das der Erbsmehl uns gegeben hat, beweist ja das Gegenteil! - 
Das Gestein ist in Wirklichkeit so: Da ist drunten lockere Erde (siehe 



Zeichnung), da driiber ist wieder lockere Erde, und da hinten ist wieder 
lockere Erde. Es ist ganz umgeben von lockererErde, und diese Kristall- 
gestalten hier, die sind nicht nur so, daft sie da von unten nach oben auf- 
wachsen, wie ich sie jetzt beschrieben habe, sondern da wachsen schon 
solche herauf, konnten Sie sagen, wenn nur diese von unten da waren. 
Aber das sind jetzt solche, die von oben entgegenwachsen. Jetzt konn- 




Tafel2 



ten Sie sagen; Aber das kann man doch nicht vom Weltenall herein 
erklaren, denn da miifke man ja annehmen, dafi dieselben Krafte vom 
Inneren der Erde herauskamen, die dann vom Weltenall hereinkommen 
miifiten, wenn man sie nur von unten nach oben erklaren wiirde. 

Ja, sehen Sie, das ist ein scheinbarer Widerspruch. Da mufi irgend 
etwas dahinter sein. Nun will ich Ihnen sagen, was dahinter ist. 

Solche Gesteine entstehen ja nicht auf dem freien Erdboden, die ent- 
stehen im Gebirge. Und wenn es auf dem freien Erdboden ist, so ist es 
ja auch so, dafi da eben Erdschichten driiber und drunter sind, wie 
auch im Gebirge. Aber nehmen wir an, wir holen uns das aus dem 
Gebirge heraus. Denken Sie einmal, wir hatten solch ein Gebirge, und 
ich will den Abhang des Gebirges zeichnen. Wenn Sie nun da hinauf- 



Tafel2 gehen (siehe Zeichnung), gehen Sie so hinauf, und da miissen Sie natiir- 
lich da vorbeigehen, der Weg mufi da gehen, die Erde oder der Felsen 
kann ein bifichen iiberhangen; Sie finden ja iiberall iiberhangende Erde, 
wenn Sie ins Gebirge gehen. Nun denken Sie sich einmal, vor sehr, sehr 
langer Zeit ware dieses, was ich hier braun gezeichnet habe, da gewesen, 

Tafel 2 hatte sich da abgelagert gehabt, und das hatte sich da abgelagert (siehe 
Zeichnung). Nach meiner Erklarung hatten sich jetzt durch die Krafte 
aus dem Weltenall herein hier Kristalle gebildet, wie ich es ja erklart 
habe, und dahier auch solche Kristalle. Es waren da unten Kristalle 
gewissermafien herausgewachsen durch die Krafte des Weltenalls, und 
da oben auch. 



Tafel 2 





Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:347 Seite:48 



Dann kam es spater so, daft dieses, was da oben ist, herunterstiirzte 
und das zudeckte. Also sehen Sie: Wenn das Obere da herunterstiirzt, 
so fallt es so, daft dann das oben ist (siehe Zeichnung), und da unten Tafel2 
sind die Kristalle, die urspriinglich nach oben gegangen sind, durch den 
Heruntersturz so, daft sie da driiber gefallen sind und von denen, die 
da unten gewesen sind, aufgehalten worden sind und sich so iibereinan- 
dergelagert haben. Die heruntergestiirzten haben sich auf die unteren 
draufgelegt, so daft das Obere zuunterst gekommen ist. 

So ist es in den Gebirgen namlich fortwahrend gegangen. Wer stu- 
diert, findet, daft in den Gebirgen fortwahrend solche Erdrutsche ge- 
schehen sind, wo sich das Obere auf das Untere daraufgelegt hat. Das 
ist gerade das Interessante beim Gebirgsstudium. Wenn man in der 
Ebene geht, so hat man das Gefiihl, weil das erst in den letzten Jahr- 
tausenden geschehen ist, daft immer eine Schicht iiber die andere ge- 
lagert ist. Das konnten wir von den Alpen niemals sagen. Die Alpen 
sind allerdings vor langer Zeit auch auf diese Weise entstanden; aber 
dann haben sich die hoheren Partien iiber die niederen Partien gesturzt, 
und die Alpen sind ganz durcheinandergeschmissene Erdschichten. 

Deshalb ist es auch so schwer, die Alpen zu studieren, weil man iiber- 
all nachdenken mu!5, ob dasjenige, was oben ist, auch so entstanden ist. 
Es ist oftmals nicht so entstanden, sondern so, daft da unten eine 
Schichte war, da eine Schichte oben, und dann hatte man durch einen 
Stoft das, was oben war, heruntergeschmissen; das hat sich driiber- 
gedeckt iiber dasjenige, was unten war. Und so sind diese Ineinander- 
faltungen, wie man sie nennt, im Gebirge im Laufe von Jahrtausenden 
und Jahrtausenden entstanden und haben solche Dinge zustande ge- 
bracht. So daft man diese Dinge erst klaren muft dadurch, daft sich 
wiederum die Gebirge iibereinandergeschmissen haben. Man muftte also 
sagen: Das Untere ist an einem solchen Abhange entstanden (siehe Tafel2 
Zeichnung), das Obere an einem solchen Abhange, und dahinter ist 
natiirlich das Gebirge gewesen, so daft also das dariibergef alien ist; das 
hat sich dariibergelegt. So daft man also solch eine Sache, wo von unten 
und von oben Kristalle einander gegeniiberstehen, erst erklaren kann, 
wenn man weifi, daft auf der Erde nach und nach im Laufe von Jahr- 
tausenden alles durcheinandergeschmissen worden ist. 



Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:3 47 Seite:4 9 



Da haben wir also im ganzen leblosen Reich immer Krafte, die aus 
dem Weltenall hereinwirken, und die auch in uns so wirken, dafi wir 
ja eigentlich nun etwas tun miissen in uns, damit diese Krafte uns nicht 
storen. 

Denn sehen Sie, meine Herren, den Kiesel, der da in der Erde hauf ig 
ist, den haben wir namlich auch in uns. Es ist allerdings nicht allzuviel, 
aber wir haben solche Stoff e in uns, aus denen so furchtbar harte Steine 
entstehen konnen. Aber wenn solche harte Gesteine in uns entstehen 
wiirden, wie Herr Erbsmehl hier einen mitgebracht hat, dann ginge es 
uns schlecht! Wenn zum Beispiel das Kind, das schon Kiesel in sich hat, 
nicht anders sich helfen konnte und uberall solche, wenn auch ganz 
kleine - sie wiirden ja kleinwinzig sein - Kristalle entstehen wiirden, 
das ware schon eine ganz schlimme Sache! Sie entstehen ja zuweilen bei 
einer Krankheit. 

Auch der Zucker - das wissen Sie ja - kann Kristalle bilden. Wenn 
Sie Kandiszucker ansehen, so ist er ja auch aus Kristallen bestehend, 
die iibereinandergelagert sind. Nun, Zucker haben wir sehr viel in 
uns. Die Menschen auf Erden essen nicht alle durchaus die gleiche 
Menge Zucker. Das ist also verschieden. Zum Beispiel in Rufiland 
essen die Menschen sehr wenig Zucker, in England sehr viel Zucker - 
durchschnittlich natiirlich. Danach unterscheiden sich aber auch wie- 
der die Menschen. Der russische Charakter ist verschieden von dem 
englischen Charakter. Die Russen sind ganz andere Leute als die Eng- 
Iander. Das kommt vielfach davon her, dafi die Russen wenig Zucker 
bekommen in den Nahrungsmitteln. Die Englander essen solche 
Sachen, die sehr viel Zucker enthalten, viel Zucker enthaltende Nah- 
rungsmittel. 

Das hangt mit dem zusammen, was ich schon gesagt habe. Es wirken 
herein auf alles mogliche die Krafte des Weltenalls. Der Mensch hat 
also viel Zucker in sich. Der Zucker, der will immer Kristall werden. 
Was konnen wir denn tun, damit er nicht Kristall wird? 

Sehen Sie, ich habe Ihnen ja erzahlt, dafi viel Wasser in uns ist, leben- 
diges Vfesser: das lost den Zucker auf. Das ware eine schone Geschichte, 
wenn das Wasser nicht fortwahrend den Zucker auflosen wiirde! Da 
wiirden sich solche kleinen Kristalle, wie Kandiszuckerkristalle bilden, 



und wir wiirden solche kleinen spiefiigen Kristalle in uns haben, wenn 
der Zucker nicht fortwahrend aufgelost wiirde. Wir Menschen brauchen 
Zucker zu unserer Nahrung, aber nur dann konnen wir ihn brauchen, 
wenn wir ihn fortwahrend auflosen. Wir miissen ihn haben. Warum 
miissen wir ihn haben? Weil wir das ausfuhren miissen, dafl wir ihn 
auflosen! Wir leben nicht allein davon, aber das gehort zu unserem 
Leben dazu, dafi wir den Zucker auflosen. Also wir miissen ihn in uns 
hereinkriegen. 

Aber wenn wir nun zu wenig Kraft haben, um diesen Zucker auf- 
zulosen, dann bilden sich diese ganz kleinen Kristallchen, und die 
gehen dann mit dem Urin ab. Und da kommt dann die Zuckerkrank- 
heit, Diabetes. Und das ist dann die Erklarung dafiir, warum Menschen 
zuckerkrank werden: Sie haben zu wenig Kraft, um den Zucker, der 
gegessen wird, wieder aufzulosen. Sie miissen Zucker kriegen, aber 
wenn sie zu wenig Kraft haben, den Zucker aufzulosen, kommt die 
Zuckerkrankheit. Der Zucker darf nicht so weit kommen, dafi er dann 
in kleinen Kristallchen abgeht, sondern er mufi aufgelost werden. Der 
Mensch muft die Kraft haben, den Zucker aufzulosen. Darin besteht 
sein Leben. 

Wenn man so etwas bedenkt, so kann man ja auch daraus erkennen, 
dafi wir nicht nur die Kraft haben miissen, den Zucker aufzulosen, 
sondern wir miissen auch die Kraft haben, diese kleinen Kristalle, die 
sich als Quarzkristalle immer in uns bilden wollen - es sind ja wenige, 
aber sie wollen sich bilden, diese Quarzkristalle -, fortwahrend auf- 
zulosen. Die diirfen sich nicht in uns bilden. Wenn sie sich schon beim 
Kind bilden wiirden, dann wiirde das Kind kommen und wiirde sagen: 
Es ist entsetzlich, mich sticht es iiberall! Uberall sticht es! 

Was ist denn da geschehen, wenn es das Kind uberall sticht? Ja, 
sehen Sie, da sind die kleinen Kieselkristalle, die in den Nerven ent- 
standen sind, nicht aufgelost worden. Die sind liegengeblieben. Sie 
miissen sich nicht vorstellen, dafi das Riesenmassen sind. Es sind ganz 
wenige, winzige, die man nicht einmal mit dem Mikroskop so leicht 
finden kann; viel kleiner als ein Zehntausendstel eines Millimeters. 
Wenn sich viele ganz winzige Kristalle in dem Nervensystem an- 
gesammelt haben, dann bekommt der Mensch uberall kleinwinzige 



Stiche, die er sich nicht erklaren kann. Es sticht ihn iiberall. Und 
aufterdem werden kleine Entziindungen hervorgerufen dadurch, daft 
das geschieht; ganz kleine Entziindungen werden hervorgerufen. Und 
dann ist der Mensch rheumatisch oder er hat Gicht. Die Gicht ist nichts 
anderes, als daft sich solche kleinen winzigen Kristalle absetzen. Diese 
Schmerzen, die der Mensch hat, die kommen davon. Und daft der 
Mensch bei der Gicht die Gichtknoten bekommt, das kommt von den 
Entziindungen. Wenn Sie sich einen Nagel einstoften, entsteht eine Ent- 
ziindung. Diese kleinen Spiefichen, die kommen von innen heraus, 
drangen sich an die Oberflache. Da entstehen innere kleine Entziin- 
dungen, und da bilden sich dann durch diese Entziindungen diese 
Gichtknoten. 

Das sind also lauter Vorgange, die im Inneren des Menschen wirken 
konnen. Daraus aber sehen Sie, daft wir eigentlich immer in uns Krafte 
haben miissen, die, sagen wir, gegen die Gicht wirken miissen, sonst 
wiirden wir als Menschen fortwahrend Gicht kriegen. Die diirfen wir 
aber nicht fortwahrend kriegen. Also es mufi fortwahrend da dahinter 
sein das, daft wir entgegenarbeiten konnen. 

Was heifit denn nun das? Ja, sehen Sie, das heiftt: Da vom Weltenall 
herein wirken Krafte. Die wollen eigentlich nicht zu grofte, aber mikro- 
skopisch kleinwinzige Kristallchen in uns bilden. Wenn diese Krafte da 
hereinkommen und diese Kristalle hier bilden, wirken sie auch in uns 
herein, so daft wir von diesen Kraften fortwahrend durchsetzt sind, 
und wir miissen in unserem Inneren diejenigen Krafte entwickeln, die 
diese Sache fortwahrend ins Nichts bringen. Wir miissen fortwahrend 
diesen Kraften entgegenarbeiten. Wir miissen also in uns Krafte haben, 
die diesen Kraften entgegenarbeiten. In uns kommen auch diese Krafte 
des Weltenalls hinein; aber denen wirken wir entgegen - und besonders 
stark in den Nerven. In den Nerven wiirden fortwahrend ganz mine- 
ralische Substanzen entstehen, wenn wir ihnen nicht entgegenarbeiten 
wiirden. 

Die mineralischen Substanzen miissen entstehen, denn, sehen Sie, es 
gibt Kinder, die blode bleiben und die friih sterben. Wenn man solche 
blode gebliebenen Kinder dann seziert, so findet man oftmals, daft sie 
zu wenig von dem haben, was man Gehirnsand nennt. Ein biftchen 



Gehirnsand mufi jeder in sich haben. Der mufi entstehen, der Gehirn- 
sand, und er mufi immer wieder aufgelost werden. 

Nun kann aber auch zu viel liegen bleiben, wenn wir zu wenig Kraft 
haben, um ihn aufzulosen. Aber, meine Herren, dasjenige, was Sie fort- 
wahrend tun in Ihrem Gehirn, das ist, daft sich fortwahrend Sand im 
Gehirn absetzt, wenn Sie die Nahrungsmittel in Ihr Blut hineinkriegen. 
Damit wird er fortwahrend abgelagert. Und der Gehirnsand, der da 
drinnen ist (es wird gezeichnet), ist den Kraf ten des Weltenalls geradeso Tafel 2 
ausgesetzt, wie das, was in der Natur draufien ist, so daft sich also da 
drinnen fortwahrend winzige Kristalle bilden wollen. Die durfen sich 
aber nicht bilden. Wenn wir keinen Gehirnsand haben, werden wir 
blode. Wenn sich die Kristalle bilden wiirden, wiirden wir fortwahrend 
in Ohnmacht fallen, weil wir gewissermafien Gehirnrheumatismus oder 
Gehirngicht kriegen wiirden. Denn im iibrigen Korper tut es einem 
blofi weh; wenn aber das Gehirn diese Kristallchen in sich enthalt, 
kann man nichts mehr machen und fallt in Ohnmacht. Also Gehirn- 
sand braucht man, aber man mufi ihn fortwahrend auflosen. Das ist ein 
fortwahrender Prozefi, dafi Gehirnsand abgelagert wird, aufgelost 
wird, abgelagert wird, aufgelost wird. 

Wenn zu viel abgelagert wird, kann er manchmal auch die Wande 
von den Blutadern im Gehirn verletzen. Dann tritt das Blut aus. Dann 
kommt der Schlag, nicht nur die Ohnmacht, sondern der Schlag, der 
Gehirnschlag. 

Also gerade wenn man die Krankheitsprozesse studiert, sieht man 
ein, was der Mensch eigentlich in sich hat. Denn in der Krankheit ist 
auch alles das in uns, was in einem gesunden Menschen ist, nur zu stark. 
Kranksein heifit nichts anderes, als dafi wir irgend etwas zu stark aus- 
bilden. 

Das geschieht ja im Leben auch, meine Herren. Sie haben schon 
gesehen, dafi wenn ein kleines Kind da ist und man beruhrt es an der 
Wange mit der Hand, und zwar sanft, schwach; dann ist es eine Lieb- 
kosung, man streichelt es. Und man kann ja auch dieseibe. Beriihrung 
mit der Hand zu stark machen; dann ist es nicht mehr eine Liebkosung, 
dann ist es eine Ohrfeige. 

Nun, sehen Sie, so ist es uberhaupt in der Welt. Die Dinge, die auf 



der einen Seite Liebkosung sein konnen, konnen auf der anderen Seite 
Ohrfeige sein. Und so wird im Leben auch dasjenige, was da sein mufi 
im Gehirn, diese sanfte Arbeit im Gehirnsand, zu einer Lebensohrf eige, 
wenn sie zu stark wird, wenn also die Kraft in uns zu schwach ist, dafi 
wir dieses Mineralische, das wir in uns haben, nicht auflosen konnen. 
Dann wiirden wir also fortwahrend ohnmachtig werden oder wenn 
es zu stark wird, wenn diese Kristallchen uns die Blutadern immer 
durchstofien, wiirden wir einen Gehirnschlag kriegen. Es miissen also 
fortwahrend diese Kristallchen von uns aufgelost werden. Diese Sache, 
die ich Ihnen jetzt erzahlt habe, die geht fortwahrend in Ihnen vor 
sich. 

Ich will Ihnen jetzt noch etwas anderes sagen. Wir wollen einmal 
die Dinge ganz anschaulich machen. Nehmen wir an, Sie haben hier 
den Menschen - ich will es ganz schematisch zeichnen -, hier haben Sie 




sein Gehirn, hier sein Auge, und hier will ich etwas herzeichnen, das 
Sie irgendwie anschauen, also, sagen wir, es stent vor Ihrem Auge 
meinetwillen eine Pflanze. 

Jetzt wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit dieser Pflanze zu. Sehen Sie, 
wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit dieser Pflanze zuwenden - Sie konnen 
das naturlich nur, wenn da ringsumher Tag ist — und die Pflanze wird 
beschienen von den Sonnenstrahlen, dann ist sie hell, dann bekommen 



Sie die Lichtwirkung in Ihr Auge hinein. Durch den Sehnerv aber, der 
da vom Auge nach ruckwarts geht, geht das, was Lichtwirkung ist, in 
Ihr Gehirn hinein. Wenn Sie also eine Pflanze anschauen, so sind Sie 
durch Ihr Auge auf die Pflanze gerichtet, und von der Pflanze aus geht 
die Lichtwirkung durch Ihr Auge nachher ins Gehirn hinein. 

Meine Herren, wenn Sie auf dieseWeise die Pflanze anschauen, zum 
Beispiel eine Blume, da sind Sie auf die Blume aufmerksam. Das heifk 
aber sehr viel: man ist auf eine Blume aufmerksam. Wenn man auf die 
Blume aufmerksam ist, dann vergifit man eigentlich auch sich selber. 
Sie wissen ja, man kann so aufmerksam sein, dafi man iiberhaupt ganz 
sich selber vergifit. In dem Augenblick, wo man das nur ein ganz klein 
bifichen vergilk, daft man da hinguckt auf die Blume, entsteht gleich 
irgendwo im Gehirn die Kraft, welche etwas Gehirnsand absondert. 
Also hingucken heiftt, von innen heraus Gehirnsand absondern. 

Dieses Absondern, das miissen Sie sich als einen ganz menschlichen 
Prozeft vorstellen. Sie werden es schon bemerkt haben, daft man nicht 
nur schwitzt, wenn man sich sehr anstrengt, sondern auch, wenn man 
zum Beispiel eine furchtbare Angst vor etwas hat, sondert man nicht 
gerade Gehirnsand, aber andere Salze, und damit Wasser ab durch seine 
Haut. Das ist Absonderung. Aber anschauen heiftt, fortwahrend Ge- 
hirnsand absondern. Wenn einer ganz aufmerksam auf etwas hinschaut, 
dann sondert sich fortwahrend Gehirnsand ab. Und da liegt das vor, 
daft wir diesen Gehirnsand auflosen miissen. Denn wurden wir diesen 
Gehirnsand nicht wieder auflosen, dann wiirde in uns aus dem Gehirn- 
sand im Gehirn eine winzige kleine Blume entstehen! Die Blume an- 
schauen, das heiftt eigentlich, daft sich in uns aus dem Gehirnsand eine 
ganz kleine, winzige Blume bildet, die dann nur von oben nach unten 
gerichtet ist, so wie das Bildchen im Auge auch von oben nach unten 
gerichtet ist. Das ist der Unterschied, meine Herren. 

Es ist so: Wenn wir einen Stuhl anschauen - es braucht nicht einmal 
eine Blume zu sein -, bildet sich durch das Anschauen da drinnen ein 
biftchen Gehirnsand, und wenn wir uns jetzt nur diesem Anschauen 
iiberlassen wurden, wurden wir da drinnen in uns ein ganz kleines — viel 
kleiner, als es im Mikroskop sein kann — , ein winziges Bildchen aus 
Kieselsand von diesem Stuhl kriegen. Und wenn ich da in einem solchen 



Raume stehen wiirde, und ich wiirde eine gewisse Kraft des Anschauens 
als Mensch entwickelt haben, wiirde in mir der ganze Raum umgekehrt, 
nur mit dem Boden oben, als Bild aus ganz winzig kleinen Kieselsteinen 
zusammengesetzt sein. Es ist ganz kolossal, wie da in uns fortwahrend 
gebaut wird. Nur sind wir solche Kerle, die das dann nicht entstehen 
lassen. Ohne daft wir das mit dem Bewufttsein tun, losen wir die ganze 
Geschichte wieder auf . In dieser Beziehung sind wir ganz eigentiimlich 
als Menschen eingerichtet. Wir schauen uns die Welt an. Die Welt will 
fortwahrend in uns solche Gestaltungen bilden, welche so sind wie die 
Welt, nur umgekehrt. Und wenn wir nicht dabei waren, wenn wir gar 
nicht anschauen wiirden, so wiirden sich - namentlich in der Nacht, 
wenn wir schlafen, wenn wir von innen heraus die Kraft nicht ent- 
wickeln wiirden, aufzulosen - fortwahrend durch dasjenige, was im 
Weltenall ist, solche Gestaltungen bilden. Diese Gestaltungen bilden 
sich auch hauptsachlich, wenn die Erde nicht von der Sonne, vom Licht 
beschienen ist, sondern von Kraften, die von viel weiter herkommen, 
bilden sich diese. Aber diesen Kraften sind wir immer hingegeben. So 
daft wir also sagen konnen: Wenn wir schlafen, dann wollen sich in uns 
fortwahrend durch das Weltenall allerlei mineralische, leblose Gestal- 
ten bilden, und wenn wir anschauen, dann wollen sich in uns ebenso 
Gestalten bilden, die nur so sind wie unsere Umgebung. Wenn wir 
schlafen, bilden wir das Weltenall nach. Im Weltenall ist alles kristal- 
linisch angeordnet. Das, was wir da (in den Kristallen) sehen, ist des- 
halb so, weil die Krafte im Weltenall eben so angeordnet sind wie die 
Kristalle. Die einen gehen so hin, die anderen gehen so hin, so daft die 
Kristalle aus dem ganzen Weltenall gebildet werden. Das will aber in 
uns geschehen. Und wenn wir wahrnehmen, wenn wir unsere unmittel- 
bare Umgebung anschauen, will sich das, was in unserer unmittelbaren 
Umgebung ist, gestalten. Wir miissen fortwahrend verhindern, daft das 
fest wird, miissen fortwahrend auflosen. 

Nun, meine Herren, da geht ein eigentiimlicher Vorgang vor sich. 
Denken Sie sich, die Blume will da drinnen ein lebloses Kieselbild von 
sich bilden. Das darf nicht entstehen, sonst wiirden wir von der Blume 
nichts wissen, sondern Gicht kriegen im Kopfe. Das muft also erst auf- 
gelost werden. 



Ich will diesen Vorgang, der da fortwahrend vor sich geht, Ihnen 
noch dadurch anschaulich machen, daft ich folgendes sage. Nehmen Sie 
an, Sie hatten hier einen Topf mit lauwarmem Wasser und einer ver- 
binde Ihnen die Augen, und nachdem er Ihnen die Augen verbunden 
hat, bringt er irgendeinen Gegenstand, der in diesem lauwarmen Was- 
ser auflosbar ist. Sie sollen mit Ihrer Hand nur in dieses lauwarme 
Wasser hineingreifen. Den Gegenstand sehen Sie nicht, weil Sie die 
Augen verbunden haben. Aber der andere kann Sie jetzt fragen: Sieh 
einmal, du greifst jetzt mit deiner Hand ins Wasser hinein; fiihlst du 
etwas da drinnen? - Ja, das lauwarme Wasser. - Fiihlst du noch etwas 
anderes darinnen? — Ja, es wird um die Finger herum kalt. 

Woher kann das kommen? Der andere hat namlich einen Gegen- 
stand ins Wasser hineingegeben, der sich auflost! Und dieses Auflosen 
bewirkt eben um die Finger herum, dafi dieses lauwarme Wasser kalter 
wird. Er spurt dieses Auflosen um seine Finger herum, und er kann 
sagen: Da drinnen lost sich etwas auf. 

Das ist aber fortwahrend der Fall, wenn wir hier drinnen den Ge- 
genstand gebildet haben und ihn wieder auflosen miissen. Wir spiiren 
die Auflosung und sagen dann, weil wir die Auflosung spiiren: Ja, da 
draufien ist der Gegenstand, denn der hat uns ein Bild gebildet, und das 
Bild, das haben wir aufgelost. Weil wir das aufgelost haben, wissen wir, 
wie der Gegenstand ausschaut. Dadurch kommt uns der Gedanke an 
den Gegenstand, weil wir zuerst das Bild des Gegenstandes auflosen 
miissen. Dadurch kommt der Gedanke. Wir wiirden, wenn wir nur das 
Bild hatten, in Ohnmacht fallen. Wenn wir aber so stark sind, daft wir 
das Bild auflosen, dann wissen wir davon. Das ist also der Unterschied 
zwischen In-Ohnmacht-Fallen, wenn wir etwas sehen, oder ein Wissen 
haben davon. 

Betrachten Sie also jemand, der, sagen wir, etwas kranklich ist, und 
es kommt ein furchtbarer Donner - das kann geschehen. Da wird in 
ihm von diesem Donner, wenn auch nicht durch das Auge, sondern 
durch das Ohr Gehirnsand abgelagert, ein Bild gebildet. Er kann das 
nicht schnell genug auflosen. Er bekommt vielleicht eine Ohnmacht, 
verliert das Bewufksein. Wenn er gesund ist, verliert er nicht das Be- 
wufitsein, das heifit, er hat seinen Gehirnsand schnell genug aufgelost. 



Also In-Ohnmacht-Fallen heifit, den Gehirnsand nicht schnell genug 
auflosen. Nicht-in-Ohnmacht-Fallen heifit, den Gehirnsand schnell 
genug auflosen. Wir miissen immer, indem wir die Dinge urn uns herum 
anschauen, den Gehirnsand schnell genug auflosen. 

Damit kommen wir also zu dem, wie der Mensch zu den Kraften im 
ganzen Weltenall steht. Ich habe Ihnen das letzte Mai gesagt: Wenn 
der Mensch so zu den Kraften im Weltenall steht, daft in seinem Gehirn 
die Gehirnzellen fortwahrend sterben wollen, dann sind sie ja total 
unlebendig, dann mufi er sie handhaben. Das ist sein Seelisch-Geistiges, 
mit dem er sie handhabt. Jetzt finden wir sogar die Kraft, die fort- 
wahrend die Gehirnzellen auflost. Der Gehirnsand macht ja die Zellen 
fortwahrend tot. Dafi sich da Gehirnsand hereinmischt, das macht die 
Zellen fortwahrend tot. Und wir miissen dem entgegenarbeiten. Und 
das, sehen Sie, das ist der Grund, warum wir Menschen sind: Damit wir 
in einer gewissen Weise dem Gehirnsand entgegenarbeiten konnen. 

Beim Tiere ist das nicht in der selben Weise der Fall. Das Tier kann 
nicht so stark, wie wir Menschen, dem Gehirnsand entgegenarbeiten. 
Daher hat das Tier nicht einen solchen Kopf , wie wir ihn haben, hoch- 
stens die hoheren Tiere. Wir haben einen solchen Kopf, der alles, was 
fortwahrend in uns hereinkommt, auflosen kann. Dieses Auflosen 
dessen, was in uns hereinkommt, das ist es, was beim Menschen be- 
wirkt, dafi der Mensch sich so empfinden kann, dafi er sagt: Ich. - Das 
ist die starkste Auflosung des Gehirnsandes, wenn wir sagen: Ich. - 
Da durchdringen wir unsere Sprache mit dem Bewulksein. Also der 
Gehirnsand lost sich auf, iiberhaupt der ganze Nervensand. Beim Tier 
ist das nicht der Fall. Daher bringt es das Tier zum Schreien oder zu so 
etwas ahnlichem, aber nicht zu der wirklichen Sprache. Daher hat kein 
Tier die Moglichkeit, sich selbst zu empfinden, Ich zu sich zu sagen wie 
der Mensch, weil der Mensch in einem viel hoheren Mafie den Gehirn- 
sand auflost. 

So dafi wir sagen konnen: Wir arbeiten in uns nicht nur demjenigen 
entgegen, was auf der Erde ist, sondern wir wirken auch den Kraften 
des Weltenalls entgegen. Die Krafte des Weltenalls, die wiirden uns 
innerlich kristallisieren. Wir wiirden innerlich ein Gebirge werden mit 
alien solchen Obereinanderschichtungen von Kristallen. Wir arbeiten 



innerlich dem entgegen. Wir losen das fortwahrend auf. Wir wirken 
fortwahrend mit den auflosenden Kraften den Kraften des Weltenalls 
entgegen. 

Und so losen wir nicht nurKieselsaure auf - denn das ist Kieselsaure, 
was diese Kristalle hier bilden — , wir losen alles mogliche auf; wir losen 
die Bestandteile, die der Zucker hat, auf und so weiter. 

Man kann ja formlich diesen Geschichten nachgehen. Nehmen Sie 
an, ein Mensch weifi gar nichts eigentlich so richtig davon — denn solche 
Sachen spielen sich wie ein Instinkt im Menschen ab aber er spurt 
doch etwas Unbestimmtes in sich. Denken Sie sich, der Mensch spurt: 
Ach, ich komme eigentlich nicht richtig zum Denken, ich kann nicht 
recht meine Gedanken zusammenhalten. 

In diese Stimmung kann ja ganz besonders leicht ein Journalist kom- 
men, der jeden Tag einen Artikel schreibt. Ja, meine Herren, jeden Tag 
einen Artikel schreiben, das heifit furchtbar viel Gehirnsand auflosen - 
furchtbar viel Gehirnsand auflosen! Das ist eine ganz ekligeGeschichte, 
jeden Tag einen Artikel schreiben, denn das heifk, furchterlich viel 
Gehirnsand auflosen. Und da fangt man dann an, wenn man den Ar- 
tikel schreiben soil - wenigstens friiher war das so -, an dem hinteren 
Teil des Federstiels herumzuknabbern. Das ist ja etwas, was man be- 
sonders den Journalisten nachgesagt hat, dafi sie hinten ihre Federstiele 
zerbeiften, um noch die Kraf te in sich heraufzuholen. Nicht wahr, wenn 
man etwas anbeifit, da holt man noch die letzten Kraf te aus dem ganzen 
Korper herauf, um sie im Kopf zu haben, um noch diesen Gehirnsand 
zu bezwingen. Viel Gehirnsand mufi man auflosen. 

Das alles geht so instinktiv vor sich. Natiirlich sagt der Journalist 
sich nicht: Ich zerbeifte meinen Federstiel, um zu Gedanken zu kom- 
men. - Das kann weitergehen. In diesem Instinkt geht er dann ins 
Kaffeehaus und trinkt da schwarzen Kaffee. Sie denken sich gar nichts 
dabei, die Journalisten, weil sie iiber diese Vorgange nichts wissen. Aber 
wenn sie nun schwarzen Kaffee getrunken haben - Donnerwetter, da 
geht die Geschichte, da konnen sie wieder schreiben, wenn sie schwar- 
zen Kaffee getrunken haben. 

Woher kommt das? Das kommt daher, dafi in diesem Falle mit dem 
schwarzen Kaffee das sogenannte Koffein aufgenommen wird. Das ist 



ein giftiger Stoff, der sehr viel Stickstoff enthalt. Der Stickstoff ist in 
der Luft. Aber da konnen wir ihn wieder hereinkriegen. Mit der At- 
mung kriegen wir immer eine gewisse Menge Sauerstoff und Stickstoff. 
Derjenige nun, der den Gehirnsand auflosen mufi, der braucht gerade 
zur Auflosung des Gehirnsandes eine Kraft, die ganz besonders im 
Stickstoff liegt. Aus dem Stickstoff heraus holen wir uns diese Kraft, 
urn uns den Gehirnsand aufzulosen. 

Deshalb sind wir in der Nacht, wenn wir schlafen, auch machtiger 
dem Stickstoff ausgesetzt, als wenn wir wachen, und wir haben ja ge- 
sagt: Dadurch, daft wir mehr Sauerstoff einatmen, leben wir sehr viel 
schneller; wenn wir mehr Stickstoff einatmen, wiirden wir viel lang- 
samer leben und wiirden also mehr da sein. Wir konnten mehr auflosen. 

Der Journalist, der Kaffee trinkt, rechnet namlich ganz unbewuftt 
auf diesen Stickstoff, den er da in sich kriegt, und durch diesen Stick- 
stoff, den er gerade durch das Koffein kriegt, bekommt er die Moglich- 
keit, mehr Gehirnsand zu bilden und dann auch mehr auflosen zu kon- 
nen. Dann braucht er nicht mehr am Federstiel zu knabbern, sondern 
kann mit der Feder schreiben, weil seine Gedanken sich wieder mehr 
aneinanderschlieften. 

Also Sie sehen, wie da das menschliche Ich arbeitet. Das menschliche 
Ich befordert, weil Sie ja in den Magen hineinkriegen eine stickstoff- 
reiche Nahrung, das Koffein, befordert ins Gehirn hinein diesen Stick- 
stoff, und dadurch wird uns die Auflosung des Gehirnsandes erleich- 
tert, und wir kriegen dadurch die Moglichkeit, einen Gedanken mit 
dem anderen zusammenzubringen. 

Manche Menschen haben wiederum die Eigentiimlichkeit, daft ihnen 
die Gedanken zu stark zusammenhalten, daft sie nicht loskommen von 
ihren Gedanken. Die sind so, daft sie veranlagt sind dazu, eigentlich 
immerfort an ihrem Gehirnsand zu arbeiten. Ja, die tun dann gut, wenn 
sie den entgegengesetzten Prozefi machen. Wahrend der eine dadurch 
in seinen Gedanken zusammengehalten wird, daft er irgendeinen zu- 
sammenhangenden Gedankengang entwickeln kann, mufi der andere 
sich mit dem Koffein, sich mit dem Kaffee helfen. Wer aber seine 
Gedanken nicht zu stark zusammenhalten will, sondern sie brillieren, 
glanzen lassen will, wer, wie man sagt, den Menschen Gedanken an den 



Kopf schmeifSen will, was sehr geistreich ausschaut, der trinkt dann 
Tee. Das hat den entgegengesetzten Einfluft. Das treibt die Gedanken 
auseinander. Und da wird eine andere Auflosung des Gehirnsandes 
unterstutzt. 

So daft tatsachlich diese Geschichte, die da im Menschen vor sich 
geht, eine aufierordentlich interessante, komplizierte ist. Jedes Nah- 
rungsmittel wirkt in verschiedener Weise, und wir miissen immer dem, 
was da eigentlich entstehen will, das Entgegengesetzte hinzufiigen. Wir 
miissen es wiederum auflosen. Das ist eigentlich jetzt unser hochstes 
Geistiges, durch das wir fortwahrend unseren Menschen eigentlich 
innerlich auflosen. 

Und sehen Sie, wenn dann ein Mensch in einer gewissen Weise so 
ilk, daf$ er eine Zeitlang zu wenig bekommt von dem, was geniigend 
viel Stickstoff enthalt, dann geschieht eben dasjenige, was ihn so leicht 
zum Schlafen bringt, woriiber mich einer der Herren auch gefragt hat. 

Also dies beruht darauf , dafi wir mit den Nahrungsmitteln zu wenig 
Stickstoff kriegen. Und deshalb miissen wir in einem solchen Falle, 
wenn wir zu stark schlafrig werden, versuchen, stickstoffreichere Nah- 
rung in uns aufzunehmen. Das kann naturlich in der verschiedensten 
Weise geschehen. Aber es geschieht namentlich dann, wenn wir ver- 
suchen, etwa, sagen wir, Kasiges oder Eiweifi, also Eier zu uns zu 
nehmen. Dann wird der Stickstoff in uns immer wieder aufgebessert. 
So mufi man eben im Menschen arbeiten, daft er in der Lage ist, mit 
demjenigen, was sein Ich ist, in dieser Sache zu arbeiten. 

Ich sagte Ihnen heute zum Anfang: Der Acker kann da sein, Kohl- 
kopfe konnen darauf wachsen; sie wachsen aber nicht, wenn der 
Mensch nicht da ist, der die Kohlkopfe anbaut. Aber der Acker raufi 
auch richtig zubereitet sein. So mufi unser Gehirn die notigen Stoffe 
enthalten, damit unser Ich drinnen arbeiten kann. Aber dieses Ich 
hangt zusammen mit den ganzen weiten Kraften des Weltenalls, die et- 
was anderes wollen. Diese Kraf te des Weltenalls, die wollen uns immer- 
fort zu ganz harten Steinen machen, und wir miissen uns immer wieder 
auflosen. Wenn wir uns nicht auflosen konnten, wiirden wir nicht den- 
ken konnen, wiirden wir nicht zum Ich-Bewufitsein kommen. In die- 
sem Auflosen besteht dasjenige, was wir unser Ich-Bewufitsein nennen. 



Sehen Sie, meine Herren, diese Fragen miissen ja zuallererst ver- 
niinftig beantwortet werden, wenn man weitergehen will im Wissen- 
schaf tlichen zu einer Weltanschauung, wenn man etwas wissen will vom 
Menschen in seinem Verhaltnis zur Welt. Es ist das Allerwichtigste im 
Menschen, daft der Mensch etwas begreift, was mit seiner Auflosung 
zusammenhangt. Wir sehen einen Menschen sterben, das heiftt, er lost 
sich jetzt ganz auf als physischer Mensch. Wenn man nicht weifi, daft 
in jedem wachen Augenblick eine Auflosung in uns vor sich geht, so 
konnen wir niemals begreifen, was die Auflosung bedeutet, die da sich 
vollzieht, wenn der Mensch sich im Tode auflost. 

Also das mufi man zunachst wissen, meine Herren, daft wir uns 
eigentlich dadurch, daft wir in uns den Weltenkraften entgegenarbeiten 
konnen, fortwahrend auflosen konnen in uns. Die Auflosung wird nur 
fortwahrend aufgehoben, weil die Ernahrung uns die Stoffe wieder 
liefert, durch die wir auflosen. Wenn aber der Mensch so geworden ist, 
daft er die Stoffe, die er in sich hat, nicht mehr auflosen kann, dann lost 
er sich selber auf. Dann wird der Mensch eine Leiche; dann lost er sich 
selber auf. 

Wenn wir wieder zusammenkommen, miissen wir fragen: Was ist 
nun dann der Fall, wenn der Mensch sich selber auflost? - Heute sind 
wir wenigstens so weit gekommen, daft wir wissen: Es ist fortwahrend 
ein Auflosungsprozefi da, und wenn wir nicht die Kraft haben - da- 
durch, daft wir zu wenig Stickstoff in uns haben -, die Sachen aufzu- 
losen, die in uns sich bilden wollen aus dem Weltenall heraus, so wird 
unser Ich zuerst ohnmachtig, oder aber es wird schlafrig. Schlafrig 
sein bedeutet eben, wir konnen nicht genug auflosen, es uberwaltigt 
uns die Kraft des Ablagerns. Und so, nicht wahr, steigern sich diese 
Krafte. 

Aber gerade so, wie Sie da sind, wenn Sie einschlafen, denn Sie kon- 
nen wieder aufwachen, so miissen Sie nicht aus dem, was aufterlich im 
Leibe geschieht, auf das Geistige schlieften. Denn geradeso wie an der 
Maschine nichts geschehen kann, ohne daft der Mensch dabei ist, konnte 
am Menschen nichts geschehen, ohne daft nicht der Geist dabei ist. Das 
ist wissenschaftlich, meine Herren, das andere ist unwissenschaftlich. 
Das ist nicht etwas, was ich Ihnen etwa aufbinden will; das ist etwas, 



was derjenige sich erobert, der wirklich die Sache wissenschaf tlich ganz 
ernst nehmen kann. 

Anfang September werden wir diese Betrachtungen fortsetzen. Sie 
werden schon sehen 3 dafi die Sache weit hineinfiihrt in das Verstandnis 
des Menschen, auf alien moglichen Umwegen darauf fiihrt, dafi Sie den 
Menschen im Alltag verstehen konnen. Sie werden noch ganz anders 
den Menschen verstehen, wenn wir jetzt weiterreden, auf Grund dessen, 
was wir jetzt schon eine Zeitlang besprochen haben. Der Mensch wird 
immer wieder hergestellt, er lost sich auf und so weiter. Das wollen wir 
in der nachsten Zeit weiter betrachten. Dann werden Sie schon sehen, 
wie eigentlich der Mensch fur einen wirklichen Wissenschafter be- 
schaffen ist. 



VIERTER VORTRAG 



Dornach, 9. September 1922 



Nun, meine Herren, da eine ziemlich lange Zwischenzeit zwischen 
unseren Vortragen war, so mochte ich doch an das ankniipfen, was wir 
das letzte Mai besprochen haben. Ich habe Ihnen ja dazumal haupt- 
sachlich auseinanderzusetzen versucht, wie im Leben der Schlaf und 
das Wachen drinnenstehen. Ich habe Ihnen gesagt, dafi wir im Gehirn 
gewisse kleine Gebilde haben, Zellen nennt man sie, und ich habe Ihnen 
auch die Form aufgezeichnet. Diese Zellen, die haben hier den Eiweifi- 




korper (siehe Zeichnung) und dann Fortsatze, sind also sternformig. 
Aber diese Fortsatze sind ungleich. Der eine ist lang, der andere ist 
kurz. Dann ist in der Nahe eine andere solche Zelle, die ihre Fortsatze 
hat, dann eine dritte, die auch ihre Fortsatze hat, und diese Fortsatze, 
diese Faden, die da von den runden Zellen ausgehen, die verstricken 
sich miteinander, so dafi sie ein Netz bilden. So dafi das Gehirn eigent- 
lich - man sieht es nicht mit freiem Auge, sondern nur, wenn man 



starke Vergrofierungen anwendet - ein Netzwerk ist, ein Netz bildet, 
und in dem Netze hier die kleinen Kiigelchen einlagert. 

Sehen Sie, diese Gehirnzellen sind im Grunde genommen halb tot. 
Das ist dasjenige, was eben das Auffalligste ist. Denn solche kleinen 
Wesen, wie sie die Gehirnzellen sind - wenn sie leben, dann bewegen 
sie sich auch. Und ich habe ja Ihnen die anderen Zellen auch erklart, 
die weifien Blutkorperchen, die schwimmen herum wie kleine Tiere. 
Sie sind auch kleine Tiere; die sehen geradeso aus. Aber sie schwimmen 
herum und fressen. Wenn irgend etwas im Blut ist, was sie aufnehmen 
konnen, so nehmen sie das auf, strecken ihre Fiihlfaden aus und saugen 
es in ihren eigenen Leib hinein. Und so durchschwimmen, durchstromen 
sie wie Bache unseren Korper. So haben wir halb tote und halb leben- 
dige Zellen im Blut herumschwimmend. 

Nun ist das so, daft, wenn wir wach sind, diese Gehirnzellen dann 
wirklich fast ganz tot sind. Und nur dadurch, daft die Gehirnzellen tot 
sind, konnen wir denken. Wenn die Gehirnzellen lebendiger waren, 
konnten wir nicht denken. Und das kann man ja auch sehen. Denn im 
Schlafe, da fangen diese Gehirnzellen ein bifichen an zu leben; gerade 
dann, wenn wir nicht denken, wenn wir schlafen, da fangen die Gehirn- 
zellen an zu leben. Und sie bewegen sich nur deshalb nicht, weil sie so 
nahe beieinanderliegen, weil sie einander nicht ausweichen konnen. 
Sonst, wenn sie anfangen wiirden, sich zu bewegen, wiirden wir iiber- 
haupt nicht mehr aufwachen. 

Wenn jemand schwachsinnig wird, also nicht mehr denken kann, 
und dann stirbt und man untersucht seine Gehirnzellen, dann findet 
man auch: diese Gehirnzellen bei einem schwachsinnig gewordenen 
Menschen haben angefangen zu leben, zu wuchern. Sie sind weicher, 
als sie bei einem normalen Menschen sind. Daher redet man auch von 
einer Gehirnerweichung bei schwachsinnig gewordenen Menschen, und 
der Ausdruck «Gehirnerweichung» ist nicht ganz schlecht. 

Wenn man wirklich ohne Vorurteil den lebendigen Menschen ken- 
nenlernt, so sagt man sich: Das Leben, das in ihm ist, dieses korperliche 
Leben, das kann nicht sein Denken bewirken, denn das muft ja gerade 
absterben im Gehirn, wenn der Mensch denken soli. Das ist ja eben die 
Sache. Wenn die Wissenschaft heute wirklich richtig vorgehen wiirde, 



richtig arbeiten wiirde, dann wiirde die Wissenschaft nicht materia- 
listisch sein konnen, weil man dann aus der Korperbeschaffenheit des 
Menschen selber sehen wiirde, daft ein Geistiges in ihm gerade dann am 
lebendigsten tatig ist, wenn das Korperliche abstirbt, wie im Gehirn. 
Man kann also streng wissenschaftlich Seele und Geist beweisen. 

In der Nacht, wenn wir schlafen, sind die Gehirnzellen etwas leben- 
diger. Deshalb konnen wir auch nicht denken. Und die weifien Blut- 
korperchen, die fangen dann an rege zu werden, wenn wir wachen. Das 
ist der Unterschied zwischen Schlafen und Wachen. Also v/ir wachen, 
wenn unsere Gehirnzellen gelahmt sind, fast abgetotet sind; dann kon- 
nen wir denken. Wir schlafen und konnen nicht denken, wenn unsere 
weifien Blutkorperchen etwas abgetotet sind, und unsere Gehirnzellen 
anfangen, ein bifichen Leben zu haben. Der Mensch mufi also eigentlich 
etwas vom Tod in sich haben in bezug auf seinen Korper, wenn er den- 
ken soil, das heiftt, wenn er seelisch leben soil. 

Sehen Sie, meine Herren, es ist gar nicht zu verwundern, daft die 
heutige Wissenschaft auf solche Sachen nicht kommt, denn diese heu- 
tige Wissenschaft, die hat sich ja in ganz besonderer Art entwickelt. 
Wenn man Gelegenheit hat, so etwas anzusehen, wie ich zum Beispiel 
jetzt in Oxford angesehen habe - ich konnte ja in Oxford eine Reihe 
von Vortragen halten, und Oxford ist ja eine der hauptsachlichsten 
Hochschulen in England so kann einem auffallen, daft diese Ox- 
forder Hochschule ganz anders eingerichtet ist als unsere Hochschulen 
hier in der Schweiz oder in Deutschland oder in Dsterreich. Diese 
Oxforder Hochschule, Universitat, die hat noch etwas ganz Mittel- 
alterliches, absolut Mittelalterliches. Sie hat so stark Mittelalterliches, 
daft diejenigen Menschen, welche dort promovieren, das heiftt, den 
Doktor machen, einen Talar und ein Barett bekommen. Jede solche 
Universitat hat ihren eigenen Schnitt fur Talar und Barett. Man kann 
einen Oxforder Baccalaureus oder Doktor unterscheiden von einem 
Cambridger, weil er einen anderen Schnitt im Talar und Barett hat. 
Diesen Talar und dieses Barett miissen aber die Leute anziehen bei 
irgendwelchen feierlichen Gelegenheiten, damit man weifi: der ist an 
der und der Universitat gewesen und gehort dazu. Das ist gerade so, 
weil in England sich eben viele solche Dinge aus dem Mittelalter noch 



erhalten haben, wie zum Beispiel bei den Richtern dort; wenn sie im 
Amte tatig sind, miissen sie noch die Periicke tragen; die gehort dazu. 
Nun sehen Sie, da hat sich das Mittelalterliche noch ganz erhalten. Das 
ist auf dem Kontinente, in der Schweiz, in Osterreich, in Deutschland 
nicht mehr der Fall. Da bekommt man keinen Talar, und man tragt 
audi als Richter nicht mehr eine Periicke. Ich glaube, das ist auch in der 
Schweiz nicht mehr der Fall, so viel mir bekannt ist. 

Das ist ja von aufien sehr spafiig anzuschauen fur einen kontinen- 
talen Menschen. Der sagt sich einfach: Nun, da haben sie noch das tiefe 
Mittelalter. Die Baccalauren, die Doktoren, die gehen herum auf der 
Strafte mit Talar und Barett und so weiter. Aber es bedeutet das doch 
noch etwas ganz anderes. Sehen Sie, die Wissenschaft wird dort auch 
noch so betrieben, wie sie im Mittelalter betrieben worden ist. Das 
heifk, das, was dort getrieben wird, ist auflerordentlich sympathisch, 
ist eigentlich gegeniiber einer heutigen Hochschule, die alles das ab- 
geschafft hat - ich mochte nicht, daft der Talar wieder eingefiihrt wird, 
mifiverstehen Sie mich nicht -, aber gegeniiber manchem, was heute 
alles an anderen Hochschulen ist, ist das eigentlich etwas aufterordent- 
lich Sympathisches, denn es hat etwas Ganzes. Es hat das Mittelalter 
wirklich in alien Formen erhalten. Es hat schon etwas Ganzes. Denn im 
Mittelalter konnte man ja alles mogliche erforschen, nur durfte man 
nichts iiber die Welt erforschen, die die Religion als Monopol ge- 
nommen hatte. Das ist auch etwas, was Sie in Oxford noch fiihlen. 
Sobald irgend jemand sich aufmachen wiirde und wiirde auch iiber die 
iibersinnliche Welt etwas sagen wollen, dann waren sie dort aufier- 
ordentlich reserviert. 

Nun, die mittelalterliche Wissenschaft hatte, solange wie die Leute 
sich nicht iiber das religiose Leben ausliefSen, ihre vollstandige Freiheit. 
Das ist ja bei uns verlorengegangen. Bei uns mufi man heute an den 
Hochschulen Materialist sein. Wenn man nicht Materialist ist, dann 
wird man wie ein Ketzer behandelt - nicht wahr, wenn das, sagen wir, 
anstandig ware, die Leute zu verbrennen, so wiirde man sie auch heute 
noch verbrennen, auch von den Hochschulen aus. Das konnen Sie ja 
aus nachster Nahe sehen, wie man behandelt wird, wenn es sich darum 
handelt, irgend etwas Neues in die Wissensgebiete einzufiihren. Die 



aufteren Periicken sind ja verschwunden, aber die inneren Periicken, 
die sind auch auf dem Kontinente durchaus noch nicht verschwunden! 

Es ist nun so, daft auf dem Kontinent zwar eine Wissenschaft sich 
entwickelt hat, aber diese Wissenschaft hat noch die anderen Gewohn- 
heiten, und die wird deshalb materialistisch, weil sie sich nie angewohnt 
hat, sich mit dem Geistigen zu befassen. Im Mittelalter durfte man sich 
nicht mit dem Geistigen befassen, weil das der Religion iiberlassen war. 
In der Weise machen das die Leute heute noch weiter. Sie befassen sich 
eben nur mit dem Korper, und aus dem Grunde lernen sie gar nichts 
iiber dasjenige, was eigentlich am Menschen geistig ist. Also es ist tat- 
sachlich nur eine Vernachlassigung von seiten der Wissenschaft, daft 
man diejenigen Dinge, die da sind, durchaus nicht wirklich studiert. 

Das mochte ich Ihnen gerade heute an einem Beispiel zeigen, damit 
Sie sehen: Derjenige, der heute wirkliche Wissenschaft treibt, der kann 
durchaus wissenschaftlich davon sprechen, daft eine Seele oder ein Geist 
einzieht in den Korper, wenn der Mensch im Mutterleibe seinen Korper 
entwickelt, und daft im Tode wiederum der Geist den Korper verlaftt. 
Das ist heute wissenschaftlich zu beweisen, aber man mufi wirklich die 
Wissenschaft dann kennen. Man mufi sich mit der Wissenschaft sach- 
gemaft abgeben konnen. Was tut heute die Wissenschaft in einem be- 
stimmten Fall? Sagen wir zum Beispiel, irgend jemand wird als fiinfzig- 
jahriger Mensch leberkrank und stirbt an seiner Leberkrankheit. Nun 
schon! Man legt ihn auf den Seziertisch, schneidet den Bauch auf und 
untersucht die Leber. Man findet, daft die Leber vielleicht etwas ver- 
hartet ist innerlich, und man denkt nach, woher das kommen kann. 
Hochstens noch denkt man nach, was der Mensch gegessen haben 
konnte, daft durch ein falsches Essen die Leber verhartet sein konnte. 
Aber so leicht ist unsere Natur nicht zu verstehen, daft wir einfach 
einen Menschen haben, seine Leber untersuchen konnen und wissen, 
wie es nun mit der Leber ist; so leicht ist es nicht. Man kann iiberhaupt 
aus der Leber, wenn man nur iiber die letzten Jahre des Menschen 
nachdenkt, gar nicht erkennen, warum sie so ist, wie sie ist. 

Wenn man einem fiinfzigjahrigen Menschen die Leber herausschnei- 
det und findet, die Leber ist verhartet, dann ist in den meisten Fallen 
- nicht in alien, aber in den meisten Fallen - die Schuld daran, daft der 



Mensch als ganz kleines Kind, als Saugling, mit einer falschen Milch 
ernahrt worden ist. Dasjenige, was oftmals erst im funfzigsten Jahre 
auftritt als eine Krankheit, das hat seine Ursache in der ganz friihen 
Kindheit. Denn warum? 

Sehen Sie, derjenige, der nun die Leber wirklich untersuchen kann 
und der weifi, was die Leber im Menschen bedeutet, der kann sich das 
Folgende sagen. Er weifi, daft die Leber bei einem ganz kleinen Kinde 
noch frisch ist; sie ist sogar noch in Entwickelung. Nun ist die Leber 
ein menschliches Glied, das ganz anders ist als alle anderen mensch- 
lichen Glieder. Die Leber ist etwas ganz Besonderes. Das kann man 
auch aufterlich sehen. Sehen sie, wenn Sie irgendein Organ des Men- 
schen nehmen, Herz oder Lunge oder was Sie wollen, so kann man 
sagen: Dieses Organ gehort eben zum ganzen menschlichen Leibe. 
Nehmen Sie irgendein Organ, sagen wir zum Beispiel den rechten 
Lungenfliigel, so konnen Sie sagen: In diesen rechten Lungenfliigel, da 
gehen rote Blutadern hinein - Sie wissen, was das bedeutet - und blaue 
Blutadern gehen wiederum heraus. Die roten Blutadern, die hinein- 
gehen, die haben Sauerstoff - den sehen Sie in den Korper iibergehen - 
und die blauen Blutadern, die haben das Verbrauchte, die haben Koh- 
lensaure, die weg raufi, ausgeatmet werden mufi (siehe Zeichnung). 



Nun, sehen Sie, jedes Organ - Magen, Herz - ist so eingerichtet, dafi 
der Mensch in diese Organe rotes Blut bekommt und blaues Blut heraus- 




Tafel3 



geht. Bei der Leber ist es anders. Zwar zuerst schaut es im wesentlichen 
Tafel3 auch bei der Leber so aus. Wenn Sie da die Leber haben - die Leber 
liegt unter dem Zwerchfell auf der rechten Seite des menschlichen Kor- 
pers -, da haben Sie auch so die Sache zunachst, dafi rote Blutadern 
hineingehen und blaue Blutadern herausgehen. Wenn das der Fall ware, 
ware eben die Leber ein Organ wie die anderen menschlichen Organe. 



Aber aufierdem geht noch eine grofie Ader, welche blaues Blut, Kohlen- 
saure enthalt, extra in die Leber hinein, was bei keinem anderen Organ 
der Fall ist. Es geht also eine blaue Ader, die sogenannte Pfortader in 
die Leber hinein, eine machtige blaue Ader. Die verzweigt sich uberall 
da drinnen und versorgt die Leber mit blauem Blut, also fiir alle an- 
deren Organprozesse unbrauchbar gewordenem Blut, das sonst gereinigt 
wird, indem man die Kohlensaure ausatmet. In die Leber schicken wir 
fortwahrend Kohlensaure herein. Die Leber braucht gerade, was die 
anderen Organe fortschmeifien miissen. 

Wbher kommt das? Das kommt daher, dafi die Leber eine Art inneres 
Auge ist. Die Leber ist wirklich eine Art inneres Auge. Die Leber ver- 
spiirt - besonders, wenn sie frisch ist, beim Kinde - den Geschmack, 
aber auch die Gute der Milch, die das Kind an der Mutterbrust saugt. 
Und viel spater noch nimmt die Leber alles wahr, was an Nahrungs- 
mitteln in dem menschlichen Korper sich auslebt. Die Leber ist ein 
Wahrnehmungsorgan, ein Auge, mochte man sagen; ich konnte auch 
sagen, einTastorgan, ein Gefuhlsorgan. Die Leber nimmt alles das wahr. 

Ein anderes Organ am Menschen, das wahrnimmt, ist das Auge. 
Aber das Auge nimmt ja deshalb gerade so stark die Aufienwelt wahr, 
weil es fast extra da drinnen sitzt im Kopfe. Es ist ja ganz in dieser 
Knochenhohle drinnen, aber es ist fast ein abgesondertes Organ. Man 
kann es herausnehmen, und es liegt ganz extra, abgesondert vom Kor- 



Tafel3 




per da drinnen in dieser Knochenhohle. Die anderen Sinne fuhren uns 
nicht so in die Aufienwelt wie das Auge. Wenn Sie horen, so erleben Sie 
innerlich noch. DieMusik ist daher innerlicher als das Sehen. Das Auge, 
das ist so eingerichtet, damit es eben nicht so sehr dem menschlichen 
Leibe angehort, sondern der Auftenwelt angehort. 

Dadurch aber, daft in die Leber hineingeht blaues Blut, das sonst die 
Kohlensaure rausschmeifk in die Auftenwelt und wieder rot gemacht 
wird, dadurch ist die Leber fast so abgesondert vom anderen mensch- 
lichen Leibe wie das Auge. Es ist also die Leber ein Sinnesorgan. Das 
Auge nimmt Farben wahr. Die Leber nimmt wahr, ob der Sauerkohl, 
den ich esse, dem Korper nutzlich oder schadlich ist, ob die Milch, die 
ich trinke, dem Korper nutzlich oder schadlich ist. Die Leber nimmt 
das fein wahr, und die Leber gibt die Galle ab, und die Galle wird ab- 
gegeben - das ist wirklich so - wie das Auge die Tranen abgibt. Wenn 
der Mensch traurig wird, fangt er an zu weinen. Die Tranen kommen 
nicht umsonst aus dem Auge. Mit dem Wahrnehmen, mit dem Bemer- 
ken von den Dingen hangt das Traurigwerden zusammen. Und ebenso 
hangt das Absondern der Galle damit zusammen, daft die Leber wahr- 
nimmt, ob irgend etwas dem Korper schadlich oder nutzlich ist. Sie 
sondert mehr oder weniger Galle ab, je nachdem wie schadlich es ist, 
was der Mensch bekommt. Also wir haben in der Leber ein Wahr- 
nehmungsorgan. 

Nun denken Sie sich: Wenn das Kind ungesunde Milch bekommt, 
dann argert sich die Leber fortwahrend. Und wenn der Mensch doch 
so gesund ist, dafl er dann nicht gleich die Gelbsucht kriegt durch zu 
starke Gallenabsonderung, so ist ein fortwahrendes Drangen da nach 
Gallenabsonderung beim Kind. Und dann wird die Leber schon beim 
Kind krank. Der Mensch kann viel aushalten. Er kann vierzig, funf- 
undvierzig Jahre diese kranke Leber, die er sich als Saugling erworben 
hat, mit sich herumschleppen; aber zuletzt, im fiinfzigsten Jahre, 
kommt es zum Ausbruch: Die Leber ist verhartet. 

So also ist es wirklich nicht, daft man bloft den Menschen, der fiinf- 
zig Jahre alt ist, auf den Seziertisch legt, ihm den Bauch aufschneidet, 
die Organe herausnimmt, sie anguckt und etwas dariiber sagt. Da kann 
man eben nichts sagen. Der Mensch ist nicht bloft dieses Augenblicks- 



wesen, sondern der Mensch ist ein Wesen, das sich eben durch eine 
bestimmte Anzahl von Jahrzehnten entwickelt. Und was manchmal 
fiinfzig Jahre zuriickliegt, das kommt nach fiinfzig Jahren zum Aus- 
druck. Da mufi man aber den Menschen vollstandig kennen, wenn man 
das verstehen will. 

Nun nehme ich an, Sie seien jetzt einmal Materialisten. Aber wenn 
Sie Materialisten sind, dann sagen Sie sich das Folgende. Ich habe Ihnen 
gesagt, die Leber ist ein Organ, dessen Krankheit beim Saugling ver- 
ursacht sein kann und im fiinfzigsten Lebensjahre zum Ausbruch kom- 
men kann. Ja, meine Herren, wie ist die Geschichte aber mit dem Men- 
schen? Nehmen wir einmal ganz schematisch an, der Mensch ist ein 
Wesen aus Fleisch, aus Blut, aus Muskeln und so weiter bestehend. Er 
hat Blutgefafle in sich, er hat Adern in sich, Nerven - das alles sind 
Stoffe natttrlich, richtige Stoffe. Aber glauben Sie, daft die Stoffe, die 
zum Beispiel in der Leber sind beim kleinen Kinde, das gesaugt wird, 
noch im fiinfzigsten Jahre vorhanden sind? Nein, das ist nicht der Fall. 
Denn, nehmen Sie nur das Allereinfachste: Sie schneiden sich die 
Fingernagel. Wenn Sie sich die Nagel nicht schneiden, so wachsen sie 
wie die Habichtskrallen fort. Da schneiden Sie ja fortwahrend ein 
Stuckchen Stoff von sich ab! Und wenn Sie sich die Haare schneiden, 
schneiden Sie auch ein Stuckchen Stoff von sich ab. Aber Sie werden 
schon manchmal bemerkt haben, daf5 das nicht nur beim Haare- und 
Fingernagelschneiden stattfindet, dafi Stoff weggeht, sondern wenn Sie 
sich manchmal kratzen und langere Zeit den Kopf nicht gewaschen 
haben, dann kratzen Sie Schuppen mit ab. Das sind Stuckchen Haut. 
Und wenn Sie sich nicht ganz waschen wiirden, wenn nicht der Schweifi 
kleine Schuppen vom Korper fortschwemmen wiirde, konnten Sie einen 
ganz geschuppten Korper kriegen. Das heiftt, an der Aufienseite des 
Korpers, da fallt fortwahrend der Stoff weg. 

Nun denken Sie sich einmal, Sie schneiden sich da ein Snick Finger- 
nagel weg. Das wachst wieder nach. Das kommt von innen nach. Ja, so 
ist es namlich mit dem ganzen menschlichen Korper. Dasjenige, was 
am allerinnersten ist, das ist nach ungefahr sieben Jahren an der Aufien- 
flache, und wir konnen es als Schuppen wegtun. Sonst macht das nur 
die Natur, und wir bemerken nicht, wie wir die f einen Schuppen immer 



loskriegen. Der Stoff namlich, die Materie des Menschen, die geht 
immer von innen nach aufien und schuppt sich auflerlich ab. Dasjenige, 
was Sie heute da ganz drinnen haben, das wird nach sieben Jahren 
auften sein und sich ganz abgeschuppt haben, und dasjenige, was Sie 
dann in sich drinnen haben, das ist neugebildet, ganz neugebildet. Je 
nach sieben Jahren werden namlich die weichen Teile des menschlichen 
Stoffes neu gebildet. Wenn man ein kleines Kind ist, so gilt das sogar 
noch fur gewisse aufiere Knochenorgane. Daher haben wir die Milch- 
zahne nur so ungefahr bis zum siebenten Jahre; dann werden sie ab- 
gestofien und neue Zahne bilden sich aus dem Inneren heraus. Die blei- 
ben nur dann, weil man nicht mehr die Kraft hat, die Zahne abzu- 
stofien; wie man die Fingernagel abstolk, so kann man sie eben nicht 
abstofien. Aber sie haben eigentlich beim modernen Menschen doch 
nicht die Neigung, sich langer zu halten! Nun, der Mensch kann viel 
aushalten. Die Zahne halten sich, aber wie lange? Sie werden ja, beson- 
ders in der Schweiz, furchtbar schadhaft nach einiger Zeit. Es hangt 
mit dem Wasser zusammen, das Schadhaftwerden der Zahne, besonders 
in dieser Gegend. 

Aber daraus sehen Sie, dafi Sie den Stoff, den Sie heute in sich haben, 
nach sieben Jahren nicht mehr in sich haben. Sie haben ihn ausgeworfen 
und neu gebildet. Wenn es auf den Stoff ankame, dann ware zum Bei- 
spiel heute der Herr Dollinger nicht derjenige, der da sitzt; denn die 
Stoffe, die er dazumal gehabt hat, die sind fort, die sind verflogen. Er 
ist seit der Zeit ein ganz neuer geworden dem Stoff nach. Nun hat man 
ihn ja aber dazumal auch schon mit demselben Namen angeredet. Er ist 
heute noch derselbe; ja, aber der Stoff ist es nicht, der Stoff ist es gar 
nicht. Dasjenige, was den Stoff fortwahrend als eine Kraft zusammen- 
halt, was also, wenn der Stoff von irgendeiner Stelle hier fortgeht, da 
wiederum einen neuen hintragt - den Stoff kann man sehen, wenn man 
den Menschen auf den Seziertisch legt, aber das, was da als Kraft im 
Menschen ausgedehnt ist, das kann man nicht sehen -, das ist das so- 
genannte Obersinnliche. 

Ja, meine Herren, wenn also die Leber beim Saugling ruiniert wird 
und im fiinfzigsten Jahre eine Leberkrankheit herauskommt, so ist ja 
das Stuck Leber, das da drinnen liegt, ganz ausgewechselt. Der Stoff 



ist langst fort. Am Stoff liegt es nicht, daft wir uns eine Leberkrankheit 
erworben haben, sondern es liegt an den Kraften, die unsichtbar sind. 
Die haben sich angewohnt, wahrend der Sauglingszeit die Leber nicht 
ordentlich tatig sein zu lassen. Die Tatigkeit, nicht der Stoff, die Tatig- 
keit ist in Unordnung gekommen. Also wenn wir uns klar sind dariiber, 
daft es sich mit der Leber so verhalt, mussen wir sagen: Es ist ja ganz 
offenbar auch klar, daft der Mensch, da er den Stoff immer auswech- 
selt, etwas, was nicht Stoff ist, in sich tragt. 

Wenn man diesen Gedanken nur ordentlich faftt, so kommt man ja 
dazu, aus wissenschaftlichen Griinden unmoglich Materialist sein zu 
konnen. Nur diejenigen Leute, welche glauben, daft der Mensch mit 
fiinfzig Jahren derselbe Stoff ist, wie er als Kind war, die sind Materia- 
listen. Das ist es also, was aus rein wissenschaftlichen Griinden es not- 
wendig macht, daft man dem Menschen ein Geistiges zugrunde liegend 
denkt, daft also der Mensch ein Geistiges in sich tragt. 

Aber, meine Herren, Sie werden doch nicht glauben, daft diese 
Leberstoffteilchen, die mit fiinfzig Jahren langst fort sind, die Leber 
aufbauen, daft die etwas tun konnen dazu, daft die Leber aufgebaut 
wird. Die gehen ja eben fort, die yerlassen ja eben die Leber. Fur diese 
Stoffteilchen bleibt eigentlich nichts dort als der Raum. Dasjenige, was 
die Leber fortwahrend neu bildet, das ist Kraft, das ist etwas Uber- 
sinnliches. Das bildet die Leber fortwahrend neu. 

So neugebildet muft der ganze Mensch werden, wenn er iiberhaupt 
zur Welt kommen will. Die Kriifte, die da in der Leber sind, die mussen 
ja schon da sein, wenn der Mensch iiberhaupt im Leibe der Mutter ge- 
bildet wird. 

Nun, Sie konnen sagen: Im Leibe der Mutter kommen die weibliche 
Eizelle und die mannliche Samenzelle zusammen, und aus dem entsteht 
der Mensch. Ja, meine Herren, aus dieser Stoffmischung kann ebenso- 
wenig der Mensch entstehen, wie die Leberkrankheit im fiinfzigsten 
Jahre entstehen kann aus dem Stoff, der verdorben worden ist im ersten 
Lebensjahre. Dieser Stoff, der muft da sein. Derjenige, der behauptet, 
im mutterlichen Leibe bilde sich der Mensch aus Stoff, der soil nur auch 
gleich behaupten, ich lege da Holz zusammen und setze mich ein paar 
Jahre nieder, und dann wird nach ein paar Jahren eine sehr schb'ne 



Bildsaule daraus. Natiirlich, der Stoff mufi dem Geist zur Verfiigung 
gestellt werden. Das geschieht im mutterlichen Leibe. Aber der Mensch 
wird nicht im mutterlichen Leibe gebildet, sondern dieser Stoff, der 
wird, wie der Stoff von einem Bildhauer, von dem Geiste eben be- 
arbeitet, und dadurch bildet sich das im Menschen, was ihn immer wie- 
der neu bildet, wenn ein physischer Stoff ausgeworfen wird. Wir 
brauchten wirklich viel weniger zu essen, als wir essen miissen, wenn 
der Stoff eine groftere Bedeutung hatte. Da wiirden wir, wenn wir ein 
kleines Kind sind, allerdings essen miissen, damit wir grofier werden 
konnen. Wenn wir aber dann mit zwanzig Jahren ausgewachsen waren 
und der Stoff immer derselbe bliebe, so brauchten wir nachher gar 
nichts mehr zu essen. Es ware eine wunderbare Geschichte fur den 
Arbeitsunternehmer, denn Kinder sind heute verboten zu verwenden, 
und die Arbeiter brauchten nichts mehr zu essen. Es wurde also eine 
wunderbare Geschichte sein! Aber dafi wir fortwahrend noch essen 
miissen, wenn wir ausgewachsen sind, das beweist, daft dasjenige, was 
bleibt, was im Menschen noch wahrend des Lebens ist, eben nicht der 
Stoff, sondern das Geistig-Seelische ist. Und das mufi da sein, bevor 
iiberhaupt die menschliche Empfangnis stattfindet, ist auch da, und 
bearbeitet den Stoff von allem Anfange an, wie es ihn auch weiter 
bearbeitet. 

Wenn nun der Mensch geboren wird, dann kann man sehen, wie er 
da in der allerersten Kindheit fast fortwahrend schlaft. Er schlaft fort- 
wahrend. Gesund ist es eigentlich fur den Menschen nur, wenn er in der 
allerersten Sauglingszeit hochstens ein bis zwei Stunden wach ist; sonst 
sollte der Saugling fortwahrend schlafen, hat auch das Bediirfnis, fast 
immer zu schlafen. 

Was heifit denn aber das: der Saugling hat das Bediirfnis, fort- 
wahrend zu schlafen, und er soil schlafen? Das heifit, sein Gehirn soli 
dann noch etwas lebendig sein. Die weifien Blutkorperchen sollen noch 
nicht zu lebhaft durch den Korper schiefien; die sollen sich da noch 
beruhigen, diese weifSen Blutkorperchen, und das Gehirn soli noch nicht 
tot sein. Deshalb mufi der Saugling schlafen. Er kann aber auch noch 
nicht denken. Sobald er anfangt zu denken, so fangen auch die Gehirn- 
zellen an, immer mehr und mehr tot zu werden. Solange wir im Wachsen 



sind, treibt immerfort die Kraft, die uns grofler macht, auch noch die- 
jenigen Vorgange zum Gehirn hin, die das Gehirn recht weich erhalten 
konnen. Aber wenn wir nicht mehr wachsen, wenn das Wachsen stockt, 
dann wird es immer schwerer, dafi dasjenige, was ins Gehirn komtnen 
soli, auch wahrend des Schlafes hinaufkommt. Und die Folge davon ist, 
dafi wir zwar immer besser denken lernen, je alter wir werden, dafi 
aber unser Gehirn viel mehr die Neigung zum Totsein erhalt, und wir 
sterben eigentlich im Gehirn, wenn wir einmal ausgewachsen sind, 
fortwahrend ab. 

Nun kann der Mensch eben viel aushalten. Er halt sein Gehirn noch 
sehr lang so, dafi es in der Nacht weich genug wird. Aber es kommt 
eben doch einmal die Zeit, wo die Krafte, die nach dem Kopf hinauf- 
treiben, das Gehirn nicht mehr ordentlich versorgen konnen, und dann 
nahert es sich dem Alter. 

Woran stirbt denn eigentlich der Mensch in Wirklichkeit? Natiir- 
lich, wenn irgendein Organ zugrunde geht, dann kann der Geist nicht 
mehr arbeiten, wie man an einer Maschine, die nicht in Ordnung ist, 
nicht mehr arbeiten kann. Aber abgesehen davon wird ja sein Gehirn 
immer steifer und steifer, und er kann sein Gehirn nicht mehr ordent- 
lich herstellen. Bei Tag wird ja das Gehirn fortwahrend ruiniert, weil 
der Korper nicht dasjenige ist, was das Gehirn wieder herstellt, sondern 
es ist das Geistig-Seelische. Aber das ist, wenn man es so ausdriicken 
darf, wie ein Gift; das Geistig-Seelische ruiniert das Gehirn im Wachen. 
Daher miissen wir schlafen, damit das Gehirn wieder hergestellt wer- 
den kann. Wenn das Gehirn nicht denken konnte, dann wiirde ja das 
Gehirn nicht abgetotet werden, sondern immer starker werden. Denn 
der Arm, der nicht denkt, der arbeitet, wird immer starker und starker. 
Aber das Gehirn wird immer schwacher und schwacher beim Denken. 
Das Gehirn ist nicht ein solches Organ, das durch sein Leben denkt, 
sondern dadurch, dafi es abstirbt, denkt es, und dadurch wird der Kor- 
per fur den Menschen einmal unbrauchbar. Der Geist ist da, aber der 
Korper wird einmal unbrauchbar. 

Das zeigt sich auch, wenn Sie wiederum sich erinnern, was ich gesagt 
habe: Die Leber ist wie ein Sinnesorgan, wie eine Art Auge da drinnen. 
Ja, meine Herren, das ist eine Leberkrankheit, wenn bei einem fiinfzig 



Jahre alten Menschen die Leber so versteift und so verhartet ist, wie 
ich es vorhin angenommen habe. Aber etwas verhartet ist die Leber im 
spateren Alter immer. Beim kleinen Kind ist sie frisch und weich. Da 
sind diese rotbraunen Gewebe-Inselchen - die Leber besteht ja daraus, 
dafi da solche Gewebe-Inselchen sind - so verbunden durch ein solches 
Netz wiederum. Das ist das Lebergewebe. 

Nun, diese Leber ist ganz weich und elastisch im Kindheitsalter. 
Aber sie wird immer steifer und harter, je alter man wird. Denken Sie, 
dieselbe Geschichte tritt beim Auge auf. Wenn man alter wird, dann 
wird das Innere des Auges immer steifer und steifer. Wenn es krank- 
haft sich versteift, dann kommt der Star. Wenn die Leber krankhaft 
sich versteift, dann kommt die innere Leberverhartung mit Leber- 
abszessen und so weiter. 

Aber auch im gesunden Zustande wird die Leber ebenso abgebraucht 
als Sinnesorgan, wie abgebraucht wird das Auge. Und die Leber nimmt 
immer weniger wahr, wie da drinnen die Nahrungsmittel niitzlich oder 
schadlich sind, weil sie abgebraucht worden ist. "Wenn also einer alt 
geworden ist, dann dient ihm die Leber nicht mehr so gut, diese Dinge, 
die in den Magen kommen, zu beurteilen, ob sie niitzlich oder schad- 
lich sind. Da wird nicht mehr so gut abgehalten. Die Leber bewirkt, 
wenn sie gesund ist, dafi die nutzlichen Stoffe im Korper verbreitet 
und die schadlichen abgehalten werden. Wenn aber die Leber schad- 
haft geworden ist, dann kommen auch die schadlichen Stoffe in die 
Darmdriisen, in die Lymphe, und gehen dann im Korper herum und 
erzeugen allerlei Krankheiten. Und das macht es, daft derjenige, der 
alt geworden ist als Mensch, seinen Korper innerlich nicht mehr so 
wahrnehmen kann wie er ihn friiher durch die Leber wahrnehmen 
konnte. Er ist, ich mochte sagen, fur seinen eigenen Korper innerlich 
blind geworden. Wenn man aufierlich blind ist, kann einen ein anderer 
fiihren, kann einem helfen. Wenn man aber innerlich blind wird, dann 
gehen die Vorgange nicht mehr ordentlich vor sich, dann kommt sehr 
bald der Darmkrebs, oder Magen- oder Pfortnerkrebs, oder irgend 
etwas, wo die Leber nicht in Ordnung ist. Dann ist der Korper nicht 
mehr zu gebrauchen. Dann konnen aber auch die neuen Stoffe, die 
fortwahrend abgestofien werden miissen, nicht mehr ordentlich in den 



Korper eingefiigt werden. Die Seele kann nicht mehr so mitmachen mit 
dem menschlichen Korper, und die Zeit ist da, wo der Korper ganz 
weggeworfen werden mufi. 

Ja, meine Herren, man sieht, wie der Korper schon von Jahr zu Jahr 
weggeworfen wird, denn wenn Sie sich am Kopf abschuppen oder die 
Nagel schneiden, dann werfen Sie das unbrauchbar Gewordene weg. 
Aber dasjenige, was als Krafte drinnen ist, bleibt. Wenn aber das Ganze 
unbrauchbar wird, dann kann dasjenige, was drinnen arbeitet, nichts 
mehr ersetzen. Dann wird, so wie sonst die Nagel und die Schuppen 
und anderes vom Korper abgeworfen wird, jetzt der ganze Korper 
abgeworfen, und dasjenige, was vom Menschen zurtickbleibt, ist eben 
das Geistige. So daft Sie sagen konnen: Wenn ich den Menschen ver- 
stehe, so verstehe ich ihn eben nach Leib und Geist, und es ist nicht 
wahr, daft der Mensch nur irgend etwas Korperliches ist. 

Ja, sehen Sie, man konnte sagen, das ist nur eine religiose Sache. 
Aber es ist nicht bloft eine religiose Sache. Hier in dieser Goetheanum- 
wissenschaft, da tritt es eben hervor, daft es sich nicht bloft um eine 
religiose Sache handelt. Durch die Religion soil der Mensch beruhigt 
werden, daft er nicht stirbt, wenn sein Korper stirbt. Das sind im 
Grunde genommen egoistische Gefiihle, und die Prediger rechnen auch 
damit. Die sagen den Menschen so etwas, daft sie nicht sterben. Hier 
handelt es sich nicht urn eine religiose Sache, sondern um eine wirkliche 
praktische Sache. 

Derjenige, der bloft den Menschen auf den Seziertisch legt, den 
Bauch aufschneidet und die Leber anschaut, der wird nicht auf den 
Gedanken kommen, wie man sich Miihe geben musse, damit das Kind 
als Saugling ordentlich ernahrt wird. Wer aber weift, wie das vor sich 
geht, der wird darauf kommen, wie das Kind erzogen werden soil, 
damit es ein gesunder Mensch werden kann. Gesundheit herstellen in 
der Kindheit ist viel wichtiger, als spater Krankheit heilen. Aber man 
weift ja nichts davon, wenn man den Menschen nur wie einen Stoff- 
klotz ansieht. 

Nun, an diesem Beispiel ist es leicht ersichtlich, was ich da gesagt 
habe. Aber nehmen Sie ein anderes Beispiel. Nehmen Sie an, ich habe 
ein Kind in der Schule, und ich fiittere es fortwahrend mit allem mog- 



lichen Zeug, lasse es lernen, dafi sein Gedachtnis iiberlastet wird, daft 
das Kind gar nicht recht zu sich kommt. Ja, meine Herren, da strengt 
man den Geist an in Wirklichkeit. Aber es ist nicht wahr, dafi man bloft 
den Geist anstrengt, denn der Geist arbeitet fortwahrend an dem Kor- 
per. Und wenn ich das Kind falsch unterrichte und falsch erziehe, auch 
nur, sagen wir, dem Gedachtnis nach, dann verharte ich bei ihm ganz 
bestimmte Organe, weil dasjenige, was im Gehirn verwendet wird, den 
anderen Organen verlorengeht. Und wenn Sie das Kind gar zu stark 
dem Gehirn nach belasten, so werden seine Nieren krank. Das heifit, 
Sie konnen nicht nur durch kbrperliche Einfliisse das Kind krank 
machen, sondern durch die Art, wie Sie unterrichten und erziehen, das 
Kind gesund oder krank machen. 

Sehen Sie, da wird die Geschichte praktisch. Kennt man den Men- 
schen wirklich, so bekommt man eine ordentliche Padagogik in der 
Schule. Kennt man den Menschen so, wie die heutige Wissenschaft ihn 
kennt, so kann man an den Universitaten den Leuten vortragen, wie 
wir gesehen haben: Die Leber schaut so aus, wir haben rotbraune Leber- 
Inselchen und so weiter. - Und was ich Ihnen da aufgezeichnet habe, 
kann man natiirlich an der Universitat beschreiben. Aber nachher ver- 
stummt man. 

Eine solche Wissenschaft ist nicht praktisch, weil sie nicht in die 
Schulen hineingetragen werden kann. Der Lehrer kann nichts anfangen 
mit einer solchen Wissenschaft. Der Lehrer kann erst etwas damit an- 
fangen, wenn er weift: Wenn die Leber im dreifiigsten Jahre so aus- 
schaut, mufi ich, damit sie sich ordentlich entwickelt, im achten oder 
neunten Lebensjahre das tun, damit sie sich ordentlich entwickelt, nicht 
von dem Kinde verlangen, dafi es Anschauungsunterricht treibt, son- 
dern im achten oder neunten Jahre dem Kinde etwas beibringen, was 
seine Organe in der richtigen Weise fiihrt. Also ich mu8 ihm zum Bei- 
spiel etwas erzahlen und mir nacherzahlen lassen, und mufi das Ge- 
dachtnis nicht iiberlasten, sondern es sich selber iiberlassen. Das bringt 
man heraus, wenn man den Menschen kennt nach Leib, Seele und Geist. 
Dann aber kann man auch ordentlich erziehen. 

Nun frage ich Sie, ist das nicht das Allerwichtigste, dafl man nicht 
bloft mit einer Geschichte vom Oberirdischen den Menschen beruhigt 



durch Kanzelreden, dafi er nicht stirbt, wenn sein Leib stirbt? Das tut 
man gewifi nicht - ich habe es Ihnen ja bewiesen aber man wirkt 
dadurch nur auf den Egoismus der Menschen, die eben wiinschen fort- 
zuleben, und diesen Wiinschen kommt man entgegen. Die Wissenschaft 
hat es nicht mit Wiinschen zu tun, sondern mit Tatsachen, und diese 
Tatsachen, wenn man sie kennt, machen die ganze Geschichte prak- 
tisch. Da hat man etwas in die Schule hineinzutragen, wenn man den 
Menschen wirklich kennt. 

Und das ist dasjenige, wodurch sich diese Goetheanumwissenschaft 
von einer anderen Wissenschaft unterscheidet. Hier mochte man all- 
mahlich einen Zustand herbeifiihren, der anwendbar ist nicht nur fiir 
ein paar Leute, die eben gerade dem Wissenschaftsstande angehoren, 
sondern wo die Wissenschaft ganz allgemein menschlich ist, der 
Menschheit zugute kommt, an der Entwickelung der Menschheit ar- 
beitet. 

Die heutige Wissenschaft arbeitet nur in der Technik praktisch, 
manchmal noch auf dem oder jenem anderen Gebiete, zum Beispiel der 
Medizin, aber auch nicht sehr stark. Ja, meine Herren, da wird zum 
Beispiel Theologie gelehrt oder Geschichte gelehrt - ja, fragen Sie, ob 
das im Leben irgendwo angewendet wird. Nicht einmal auf der Kanzel 
kann der Theologe seine Wissenschaft anwenden; er muft so reden, wie 
die Leute es horen wollen. Oder fragen Sie den Juristen, den Advo- 
katen, den Richter! Der lernt seine Sachen, damit er sie eingepaukt hat 
und nachher im Examen die Sachen weift. Aber nachher vergifk er sie 
so schnell wie moglich, denn draufien richtet er sich nach ganz anderen 
Gesetzen. Es wird nichts angewendet auf den lebendigen Menschen. 
Kurz, wir haben eine Wissenschaft, die gar nicht mehr lebenspraktisch 
ist. Und das ist das Schlimme. 

Daraus konnen Sie auch sehen, dafi wirklich sich Klassen von Men- 
schen bilden. Im Leben ist es so, dafi, was im Leben steht, auch an- 
gewendet werden mufi. Wenn also eine Wissenschaft da ist, die nicht 
angewendet werden kann, eine unniitzliche Wissenschaft da ist, dann 
sind die Leute, die diese Wissenschaft treiben, auch in einem gewissen 
Sinne unnutzlich, und dann entsteht eine unniitzliche Menschenklasse. 
Da haben Sie die Klassenunterschiede. 



Das habe ich in meinen «Kernpunkten» versucht darzustellen, dafi 
eigentlich mit dem geistigen Leben auch die Klassenunterschiede zu- 
sammenhangen. Aber wenn man auf die Wahrheit hindeutet, wird man 
ja von alien Seiten als Phantast erklart. Aber Sie konnen sich hier iiber- 
zeugen, dafi es sich nicht urn Phantastisches handelt, sondern um ein 
wirkliches, tatsachliches Erkennen und um ein Praktischmachen der 
Wissenschaft, die wirklich eingreifen kann ins Leben. Dann beruhigen 
die Menschen sich auch iiber den Tod. 

Es ist ja natiirlich so manches fiir Sie schwierig, gerade aus dem 
Grunde, weil die Schulerziehung nicht so ist, wie sie sein sollte. Aber 
Sie werden schon allmahlich die Dinge verstehen. Und Sie konnen 
sicher sein, so recht verstehen es auch die anderen nicht. Wenn man so 
mit der heutigen Wissenschaft unter all diese mittelalterlichen Verhalt- 
nisse kommt, so sieht man, was das fiir eine Wissenschaft ist. Wenn ich 
die Wissenschaft des Goetheanums in Oxford vortrage, so unterscheidet 
sich das ganz betrachtlich von dem, was sonst in Oxford vorgetragen 
wird. Das ist eben ein ganz anderer Zug und wird erst allmahlich ver- 
standen werden. 

Und so mochte ich, dafi Sie ein Verstandnis bekommen, wie schwer 
es ist, damit durchzudringen. Es ist schwer, aber es wird werden und 
mufi werden, denn sonst geht einfach die Menschheit zugrunde. 



FONFTER VORTRAG 



Dornach, 13. September 1922 

Meine Herren! Die Dinge, die wir in den letzten Betrachtungen bespro- 
chen haben, sind so wichtig auch zum Verstandnisse dessen, was ich 
noch weiter zu sagen hajben werde, daft ich wenigstens mit ein paar 
Worten diese wichtigen Dinge noch einmal vor Augen stellen will. 

Nicht wahr, wir haben gesehen, daft im wesentlichen das mensch- 
liche Gehirn aus kleinen Gebilden besteht, die sternformig sind. Aber 
die Strahlen der Sterne sind sehr weit verlaufend. Die Auslaufer dieser 
kleinen Wesenheiten, die verschlingen sich ineinander, verweben sich 
ineinander, so daft das Gehirn eben eine Art von Gewebe ist, auf die Art 
entstanden, wie ich es Ihnen gesagt habe. 

Solche kleinen Wesen, wie sie im Gehirn sind, sind auch im Blut, nur 
mit dem Unterschiede, daft die Gehirnzellen - so nennt man ja diese 
kleinen Gebilde - nicht leben konnen, nur in der Nacht, beim Schlafen, 
etwas leben konnen. Sie konnen dieses Leben nicht ausiiben. Sie konnen 
sich nicht bewegen, weil sie wie in einem Heringsfaft zusammen- 
gepfercht, zusammengeklumpt sind. Aber die Blutkorperchen, die 
weiften Blutkorperchen im roten Blute da drinnen, die konnen sich 
bewegen. Die schwimmen im ganzen Blut herum, bewegen ihre Aus- 
laufer und kommen nur von diesem Leben etwas ab, ersterben etwas, 
wenn der Mensch schlaft. So daft also der Schlaf und das Wachen 
zusammenhangen mit dieser Tatigkeit oder auch Untatigkeit der Ge- 
hirnzellen, iiberhaupt der Nervenzellen, und der Zellen, die als weifte 
Blutkorperchen im Blute herumschwimmen, sich darinnen herum- 
bewegen. 

Nun habe ich Ihnen auch gesagt, daft man gerade an einem solchen 
Organ, wie es die Leber ist, beobachten kann, wie der menschliche Kor- 
per im Laufe seines Lebens sich verandert. Ich habe Ihnen das letzte 
Mai gesagt, daft wenn beim Saugling etwa die Leber nicht in ordent- 
licher Weise wahrnimmt - es ist ja eine Art Wahrnehmungstatigkeit, 
die Leber nimmt wahr und ordnet die Verdauung — , wenn also die 
Leber gestort wird in ihrer Wahrnehmung, so daft sie eigentlich eine 



unrichtige Verdauung wahrnimmt wahrend des Sauglingsalters, so 
zeigt sich das oftmals erst im allerspatesten Leben, ich sagte Ihnen, beim 
fiinfundvierzig-, funfzigjahrigen Menschen. Der menschliche Organis- 
mus kann eben viel aushalten. Also wenn die Leber auch schon wahrend 
des Sauglingsalters gestort wird, halt sie dies noch durch bis zum fiinf- 
undvierzigsten, fiinfzigsten Lebensjahre. Dann zeigt sie sich innerlich 
verhartet und es entstehen die Leberkrankheiten, die manchmal eben so 
spat beim Menschen auftreten und die dann eine Folge sind von dem, 
was wahrend des Sauglingsalters verdorben worden ist. 

Am besten wird daher der Saugling mit der Milch der eigenen Mut- 
ter ernahrt. Nicht wahr, das Kind geht ja hervor aus dem Leibe der 
Mutter. Man kann also begreifen, dafi es in seinem ganzen Organismus, 
in seinem ganzen Leib verwandt ist mit der Mutter. Es mufi daher am 
besten dann gedeihen, wenn es nicht gleich, wenn es zur Welt kommt, 
etwas anderes bekommt als dasjenige, was auch aus dem Leib der Mut- 
ter kommt, mit dem es also verwandt ist. 

Allerdings, es kommt ja vor, dafi die Muttermilch nicht geeignet ist 
durch ihre Zusammensetzung. Manche Menschenmilch ist zum Beispiel 
bitter, manche zu salzig. Da mufi dann eine andere Ernahrung, durch 
eine andere Personlichkeit am besten, einsetzen. 

Nun kann ja die Frage entstehen: Kann das Kind nicht gleich vom 
Anfange an mit Kuhmilch ernahrt werden? - Nun, da raufi man sagen: 
In den allerersten Zeiten des Sauglingsalters ist die Ernahrung mit der 
Kuhmilch nicht sehr gut. Aber man braucht auch nicht zu denken, dafi 
nun gleich eine furchtbar grofie Sunde gegen den menschlichen Orga- 
nismus verrichtet wird, wenn man das Kind mit einer Kuhmilch nahrt, 
die man in der entsprechenden Weise verdiinnt und so weiter. Denn es 
ist ja natiirlich die Milch bei den verschiedenen Wesen verschieden, aber 
nicht so stark, dafi man nicht auch Kuhmilch statt der Menschenmilch 
zur Ernahrung einfuhren konnte. 

Aber wenn nun diese Ernahrung vor sich geht, so geht sie ja so vor 
sich, dafi noch nichts, wenn das Kind nur Milch trinkt, zerkaut zu wer- 
den braucht. Dadurch sind gewisse Organe im Korper wesentlicher 
in Tatigkeit als spater, wenn die feste Nahrung zubereitet werden muft. 
Die Milch ist im wesentlichen so, dafi sie, ich mochte fast sagen, noch 



lebt, wenn das Kind sie bekommt. Es ist fast fliissiges Leben, was das 
Kind in sich aufnimmt. 

Nun wissen Sie ja, dafi in den Gedarmen eine ganz wichtige Sache 
fiir den menschlichen Organismus vor sich geht, eine ganz aufierordent- 
lich wichtige Sache. Diese aufierordentlich wichtige Sache ist diese, dafi 
alles, was durch den Magen in die Gedarme hineinkommt, abgetotet 
werden mufi, und wenn es durch die Darmwande dann in die Lymph- 
gefafie und ins Blut kommt, mufi es wieder belebt werden. Das ist schon 
einmal das Allerwichtigste, was man verstehen mufi, dafi der Mensch 
die Nahrung, die er aufnimmt, zuerst abtoten mufi und nachher wie- 
derum beleben mufi. Das aufiere Leben, unmittelbar vom Menschen 
aufgenommen, ist im menschlichen Leibe drinnen nicht brauchbar. Der 
Mensch mufi alles, was er aufnimmt, durch seine eigene Tatigkeit er- 
toten und dann wieder beleben. Das mufi man nur wissen. Das weifi die 
gewohnliche Wissenschaft nicht, und daher weifi sie nicht, dafi der 
Mensch die Kraft des Lebens in sich hat. Geradeso wie er Muskeln und 
Knochen und Nerven in sich hat, so hat er eine belebende Kraft, einen 
Lebensleib in sich. 

Bei dieser ganzen Verdauungstatigkeit, bei der also abgetotet und 
wieder belebt wird, bei der das Abgetotete im neuen Leben innerlich 
aufsteigt und ins Blut hineingeht, schaut die Leber zu, so wie den 
aufieren Dingen das Auge zuschaut. Und wie im spateren Alter das 
Auge vom Star befallen werden kann, das heifit, dasjenige undurch- 
sichtig wird, was fruher durchsichtig war, wie sich das verhartet, so 
kann auch die Leber sich verharten.Und dieLeberverhartung ist eigent- 
Hch in der Leber dasselbe, was die Starkrankheit im Auge ist. Der Star 
kann auch in der Leber sich bilden. Dann entsteht eben am Ende des 
Lebens eine Leberkrankheit. Mit fiinfundvierzig, fiinfzig Jahren, auch 
spater, entsteht eine Leberkrankheit. Das heifit, die Leber schaut nicht 
mehr das Innere des Menschen an. Es ist wirklich so: Mit dem Auge 
schauen Sie die Aufienwelt an, mit dem Ohre horen Sie das, was in der 
Aufienwelt klingt, und mit der Leber schauen Sie zuerst die eigene Ver- 
dauung an und dasjenige, was sich an die Verdauung anschliefit. Die 
Leber ist ein inneres Sinnesorgan. Und nur wer die Leber als ein inneres 
Sinnesorgan erkennt, der versteht dasjenige, was im Menschen vor sich 



geht. So dafi man also die Leber mit dem Auge vergleichen kann. 
Gewissermafien hat der Mensch innen in seinem Bauch einen Kopf. 
Nur schaut der Kopf nicht nach aufien hin, sondern der schaut nach 
innen. Und deshalb ist es, dafi der Mensch mit einer Tatigkeit, die er 
sich nicht zum Bewufitsein bringt, im Inneren arbeitet. 

Aber das Kind fuhlt diese Tatigkeit. Im Kind ist das ganz anders. 
Das Kind guckt noch wenig nach der Aufienwelt, und wenn es nach der 
Aufienwelt guckt, kennt es sich nicht aus. Aber um so mehr guckt es 
nach innen im Fiihlen. Das Kind fiihlt ganz genau, wenn in der Milch 
etwas ist, was nicht hineingehort, was herausgeworfen werden mufi in 
die Gedarme, damit es abgefuhrt wird. Und wenn etwas in der Milch 
nicht in Ordnung ist, so nimmt die Leber die Krankheitsanlage fur das 
ganze spatere Leben in sich auf . 

Nun, sehen Sie, Sie konnen sich ja denken, dafi zum Auge, wenn es 
nach aufien hin guckt, ein Gehirn gehort. Mit dem blofien Anschauen 
der Aufienwelt ware uns als Menschen nicht gedient. Wir wiirden die 
Aufienwelt anglotzen, rundherum anglotzen, aber wir wiirden nichts 
denken konnen iiber die Aufienwelt. Es ware geradeso wie ein Pan- 
orama, und wir safien mit einem leeren Kopf davor. Wir denken mit 
unserem Gehirn, und denken iiber dasjenige, was draufien in der Welt 
ist, mit unserem Gehirn. 

Ja, aber, meine Herren, wenn die Leber eine Art inneres Auge ist, 
das die ganze Darmtatigkeit abtastet, dann mufi die Leber ja auch eine 
Art Gehirn haben, so wie das Auge das Gehirn zur Verfiigung hat. 
Sehen Sie, die Leber kann zwar das alles anschauen, was im Magen vor 
sich geht, wie im Magen der ganze Speisebrei durchmischt wird mit 
Pepsin. Die Leber kann dann, wenn der Speisebrei durch den sogenann- 
ten Magenpfortner in den Darm eintritt, sehen, wie im Darm der 
Speisebrei weiterriickt, wie er in diesem Speisebrei aber immer mehr die 
brauchbaren Teile absondert durch die Wande des Darmes, wie dann 
die brauchbaren Teile in die Lymphgefafie iibergehen und von diesen 
Gefafien dann ins Blut eindringen. Aber von da ab kann die Leber 
nichts mehr tun. Geradesowenig wie das Auge denken kann, so wenig 
kann die Leber die weitere Tatigkeit tun. Da mufi zu der Leber ein 
anderes Organ kommen, wie zum Auge das Gehirn kommen mufi. 



Und geradeso wie Sie in sich die Leber haben, die fortwahrend Ihre 
Verdauungstatigkeit anguckt, so haben Sie in sich auch eine Denktatig- 
keit, von der Sie im gewohnlichen Leben gar nichts wissen. Diese Denk- 
tatigkeit - das heifit, Sie wissen von der Denktatigkeit nur nichts, von 
dem Organ wissen Sie schon diese Denktatigkeit, die geradeso hinzu- 
gefugt wird der Wahrnehmungstatigkeit, der Auffassungstatigkeit der 
Leber, wie durch das Gehirn der Wahrnehmungstatigkeit des Auges 
das Denken hinzugefugt wird, die haben Sie namlich, so sonderbar es 
Ihnen scheint, durch die Niere, das Nierensystem. 

Das Nierensystem, das sonst fur das gewohnliche Bewufitsein nur 
das Urinwasser absondert, ist gar kein so unedles Organ, wie man es 
immer anschaut, sondern die Niere, die sonst eben nur das Wasser ab- 
sondert, die ist dasjenige, was zur Leber gehort und was eine innere 
Tatigkeit ausiibt, ein inneres Denken. Die Niere steht auch mit dem 
anderen Denken im Gehirn durchaus in Verbindung, so daft, wenn die 
Gehirntatigkeit nicht in Ordnung ist, auch die Tatigkeit der Niere nicht 
in Ordnung ist. Nehmen wir an, beim Kinde schon fangen wir an, das 
Gehirn nicht ordentlich arbeiten zu lassen. Es arbeitet nicht ordentlich, 
wenn wir zum Beispiel das Kind veranlassen, zu viel zu lernen - ich 
habe schon das letzte Mai darauf hingedeutet -, zu viel mit dem bloften 
Gedachtnisse arbeiten zu lassen, wenn wir es zu viel auswendig lernen 
lassen. Etwas mulS es auswendig lernen, damit das Gehirn beweglich 
wird; aber wenn wir es zu viel auswendig lernen lassen, dann mu!5 sich 
das Gehirn so anstrengen, daft es zu viel Tatigkeit ausiibt, die im Gehirn 
Verhartungen hervorbringt. Dadurch entstehen Gehirnverhartungen, 
wenn wir das Kind zu viel auswendig lernen lassen. Wenn aber im 
Gehirn Verhartungen entstehen, dann wird durch das ganze Leben hin- 
durch es so sein konnen, dafi das Gehirn nicht ordentlich arbeitet. Es 
ist eben zu hart. 

Aber das Gehirn steht mit der Niere in Verbindung. Und dadurch, 
dafi das Gehirn mit der Niere in Verbindung steht, arbeitet dann auch 
die Niere nicht mehr ordentlich. Der Mensch kann eben viel aushalten; 
es zeigt sich erst spater: Es arbeitet der ganze Leib nicht mehr ordent- 
lich, es arbeitet auch die Niere nicht mehr ordentlich, und Sie finden im 
Urin Zucker, der eigentlich aufgearbeitet werden soil. Aber der Leib ist 



zu schwach geworden, urn den Zucker zu verbrauchen, weil das Gehirn 
nicht ordentlich arbeitet. Er lafit den Zucker im Urinwasser. Der Kor- 
per ist nicht in Ordnung, der Mensch leidet an der Zuckerkrankheit. 

Sehen Sie, das mochte ich Ihnen ganz besonders klarmachen, dafi 
von der geistigen Tatigkeit, zum Beispiel von dem Zuviel-Auswendig- 
lernen, eben etwas abhangt, wie der Mensch spater ist. Haben Sie nicht 
gehort, dafi die Zuckerkrankheit gerade so haufig ist bei reichenLeuten? 
Die konnen fur ihre Kinder aufierordentlich gut sorgen, auch materiell, 
auf physischem Gebiete; aber sie wissen nicht, dafi sie dann auch fur 
einen ordentlichen Schullehrer sorgen miifiten, der das Kind nicht so 
viel auswendig lernen lafit. Sie denken: Nun, das macht ja der Staat, da 
ist alles gut, da braucht man sich nicht zu kummern darum. - Das Kind 
lernt zu viel auswendig, wird spater ein zuckerkranker Mensch! Man 
kann eben nicht durch die materielle Erziehung allein, durch dasjenige, 
was man durch Nahrungsmittel dem Menschen beibringt, den Men- 
schen gesund machen. Man mufi Rucksicht nehmen auf dasjenige, was 
sein Seelisches ist. Und sehen Sie, da f angt man allmahlich an zu f uhlen, 
dafi das Seelische etwas Wichtiges ist, daft der Korper nicht das einzige 
ist am Menschen, denn der Korper kann von der Seele aus ruiniert 
werden. Denn wir konnen noch so gut essen als Kind und noch so stark 
nach dem essen, was der Chemiker im Laboratorium an den Nahrungs- 
mitteln studiert - wenn das Seelische nicht in Ordnung ist, das See- 
lische nicht berikksichtigt wird, geht der menschliche Organismus doch 
kaputt. Da lernt man sich allmahlich durch eine wirkliche Wissen- 
schaft, nicht die heutige bloft materielle Wissenschaft, hineinleben in 
das, was beim Menschen schon vorhanden ist, bevor die Empfangnis 
kommt, und vorhanden ist nach dem Tode, weil man eben das kennen- 
lernt, was sein Seelisches ist. Das mufi man gerade in solchen Dingen 
besonders in Betracht ziehen. 

Aber nun denken Sie, woher kommt denn das eigentlich, dafi die 
Menschen heute nichts wissen wollen von dem, was ich Ihnen da er- 
zahlt habe? Nun, Sie konnen heute an die Menschen mit einer soge- 
nannten Bildung herankommen; da ist es «ungebildet», wenn man von 
der Leber redet, oder gar von derNiere redet. Es ist etwas Ungebildetes. 
Woher kommt es denn, dafl es etwas «Ungebildetes» ist? 



Sehen Sie, die alten Juden im hebraischen Altertum - und schliefilich 
kommt ja unser Altes Testament von den Juden die alten Juden 
haben noch nicht das Reden von der Niere als etwas so furchtbar Un- 
gebildetes angesehen. Denn die Juden sagten zum Beispiel nicht, wenn 
der Mensch in der Nacht qualende Traume hatte - das kann man im 
Alten Testament lesen; die heutigen Juden sind schon so gebildet, daft 
sie das nicht wieder vorbringen, was im Alten Testament steht, wenn sie 
in anstandiger Gesellschaft sind, aber im Alten Testament steht es -, 
sie sagten nicht, wenn der Mensch bose Traume hatte in der Nacht: 
Meine Seele ist gequalt. - Ja, meine Herren, das kann man leicht sagen, 
wenn man keine Vorstellung von der Seele hat; dann ist «Seele» blofi 
ein Wort - das ist ja nichts. Aber das Alte Testament sagte, wie es rich- 
tig ist aus einer Weisheit heraus, die einmal die Menschheit gehabt 
hat, wenn der Mensch bose Traume in der Nacht gehabt hat: Die 
Niere qualt ihn. - Was da im Alten Testament schon gewuftt worden 
ist, darauf kommt man wieder durch die neuere Anthroposophie, das 
neuere Forschen: Da ist die Nierentatigkeit nicht in Ordnung, wenn 
man bose Traume hat. 

Dann kam das Mittelalter, und im Mittelalter hat sich allmahlich 
das herausgebildet, was bis heute noch gilt. Denn im Mittelalter, da war 
die Neigung, alles'nur zu loben, was man nicht wahrnehmen kann, was 
irgendwie aufter der Welt ist. Am Menschen laftt man ja den Kopf frei; 
das andere bedeckt man. Man darf nur von dem reden, was eben frei 
ist. Allerdings, manche Damen gerade der gebildeten Welt gehen ja 
heute so herum, daft sie so viel frei lassen, daft man von dem Frei- 
gelassenen noch lange nicht reden darf. Aber immerhin, dasjenige, was 
dann im Inneren des Menschen ist, das ist fur eine gewisse Sorte von 
Christentum im Mittelalter - in England hieft es spater das Puritaner- 
tum - etwas geworden, wovon man nicht reden darf. Von der bloft 
materiellen Sinneswissenschaft darf man dariiber nicht reden. Das ist 
nichts Geistiges, davon darf man nicht reden. Und damit hat man all- 
mahlich iiberhaupt den ganzen Geist verloren. Natiirlich, wenn man 
nur redet von dem Geist, wo der Kopf sitzt, da kann man ihn nicht so 
leicht erhaschen. Aber wenn man ihn erhascht,wo er im ganzen mensch- 
lichen Leibe sitzt, da kann man das wohl. 



Und sehen Sie, die Nieren, die sind dann dasjenige, was denkt zu der 
Wahrnehmungstatigkeit der Leber dazu. Die Leber schaut an, die Nie- 
ren denken; und die konnen dann denken die Herztatigkeit und konnen 
iiberhaupt alles das denken, was die Leber nicht angeschaut hat. Die 
Leber kann noch anschauen die ganze Verdauungstatigkeit und wie der 
Speisesaft ins Blut kommt. Aber dann, wenn es anfangt, im Blut zu 
kreisen, dazu raufi gedacht werden. Und das tun die Nieren. So daft 
also der Mensch in sich tatsachlich so etwas wie einen zweiten Men- 
schen hat. 

Nun aber, meine Herren, werden Sie doch unmoglich glauben kon- 
nen, da/5 diejenigen Nieren, die Sie aus dem toten Korper heraus- 
schneiden und die Sie dann auf den Seziertisch legen - oder wenn es 
eine Rinderniere ist, so essen Sie sie sogar; die konnen Sie ja ganz be- 
quem anschauen, bevor Sie sie essen oder kochen -, aber Sie werden 
doch nicht glauben, dafi das Stuck Fleisch mit all den Eigenschaften, 
von denen der Anatom spricht, daft das Stuck Fleisch denkt! Das denkt 
natiirlich nicht, sondern das vom Seelischen, was in der Niere drinnen 
ist, das denkt. Daher ist es auch so, wie ich Ihnen das letzte Mai gesagt 
habe: Das Stoffliche, das zum Beispiel an der Niere ist, sagen wir im 
Kindesalter, das ist nach sieben, acht Jahren ganz ausgewechselt. Da 
ist ein anderer Stoff drinnen. Geradeso wie Ihre Fingernagel nach 
sieben, acht Jahren nicht mehr dasselbe sind, sondern Sie immer das 
Vordere abgeschnitten haben, so ist in der Niere und Leber alles weg- 
gegangen, was da war und ist von Ihnen neu ersetzt worden. 

Ja, da miissen Sie fragen: Wenn der Stoff gar nicht mehr da ist, der 
vor sieben Jahren in der Leber, in der Niere da war, und dennoch die 
Leber nach Jahrzehnten noch krank werden kann durch das, was man 
als Saugling an ihr versaumt hat, dann ist eben eine Tatigkeit da, die 
man nicht sieht, denn der Stoff pflanzt sich nicht fort. Das Leben 
pflanzt sich fort vom Sauglingsalter bis ins fiinfundvierzigste Jahr. 
Krank werden kann nicht der Stoff - der wird ausgeschieden aber 
es pflanzt sich fort die nicht sichtbare Tatigkeit, die da drinnen ist und 
die beim Menschen durch das ganze Leben durchgeht. Da sehen Sie, wie 
der menschliche Korper eigentlich ein kompliziertes, ein ungeheuer 
kompliziertes Wesen ist. 



Nun mochte ich Ihnen noch etwas anderes sagen. Ich habe Ihnen ge- 
sagt: Die alten Juden haben noch etwas davon gewufit, wie die Nieren- 
tatigkeit beteiligt ist an einem solchen dumpfen, finsteren Denken, wie 
es die Traume sind in der Nacht. Aber in der Nacht ist es ja nun so, dafi 
unsere Vorstellungen fort sind; da nimmt man wahr, was die Niere 
denkt. Bei Tag hat man den Kopf voll mit den Gedanken, die von 
aufien kommen. Geradeso wie wenn ein starkes Licht da ist und ein 
schwaches Kerzenlicht, so sieht man das starke Licht, und das schwache 
Kerzenlicht verschwindet daneben. So ist es beim Menschen, wenn er 
wach ist: er hat den Kopf voll mit den Vorstellungen, die von der 
Auftenwelt kommen, und was da unten die Nierentatigkeit ist, das ist 
eben das kleine Licht; das nimmt er nicht wahr. Wenn der Kopf auf- 
hort zu denken, dann nimmt er das, was die Nieren denken und die 
Leber anschaut im Inneren, noch wahr als Traume. Deshalb schauen 
auch die Traume so aus, wie Sie sie manchmal sehen. 

Denken Sie sich einmal, da ist im Darm etwas nicht in Ordnung; 
das schaut die Leber an. Bei Tag beachtet man das nicht, weil eben 
starkere Vorstellungen da sind. Aber in der Nacht beim Einschlafen 
oder Aufwachen, da beachtet man das, wie die Leber das Nicht-in- 
Ordnung-Sein der Gedarme wahrnimmt. Nun aber ist die Leber nicht 
so schlau und die Niere auch nicht so schlau, wie der menschliche Kopf 
ist. Weil sie nicht so schlau sind, konnen sie nicht gleich sagen: Das sind 
die Darme, die ich da sehe. - Sie machen ein Bild daraus, und der 
Mensch traumt, statt dafi er die Wirklichkeit sieht. Wenn die Leber die 
Wirklichkeit sehen wiirde, so wiirde sie die Darme brennen sehen. Aber 
sie sieht nicht die Wirklichkeit, sie macht ein Bild daraus. Da sieht sie 
ziingelnde Schlangen. Wenn der Mensch von ziingelnden Schlangen 
traumt, was er sehr haufig tut, dann schaut die Leber die Gedarme an, 
und daher kommen sie ihr wie Schlangen vor. Manchmal geht es ja dem 
Kopf geradeso wie der Leber und der Niere. Wenn der Mensch irgend 
etwas, zum Beispiel ein gebogenes Stuck Holz in der Nahe sieht und 
noch dazu in einer Gegend, wo Schlangen sein konnten, so kann sogar 
der Kopf dieses gebogene Stuck Holz fur eine Schlange halten, wenn 
es fiinf Schritte vorn ist. So halt das innere Anschauen und das Denken 
der Leber, der Niere die gewundenen Gedarme fur Schlangen. 



Manchmal traumen Sie von einem Ofen, der fest eingeheizt ist. Sie 
wachen auf und haben Herzklopfen. Was ist da geschehen? Ja, die 
Niere denkt nach iiber das starkere Herzklopfen, aber sie denkt sich 
das so aus, als wenn das ein warm eingeheizter Ofen ware, und Sie 
traumen von einem kochenden Ofen. Das ist dasjenige, was die Niere 
denkt von Ihrer Herztatigkeit. 

Da drinnen im menschlichen Bauche also - trotzdem es wieder 
«nicht gebildet» ist, davon zu reden - sitzt ein seelisches Wesen. Die 
Seele ist ein kleines Mauschen, das irgendwo einschlupft in den mensch- 
lichen Korper und da drinnen hockt. Nicht wahr, so haben es friiher 
die Leute gemacht. Die haben nachgedacht: Wo ist der Sitz der Seele? - 
Aber man weifi schon iiberhaupt nichts mehr von der Seele, wenn man 
fragt, wo der Sitz der Seele ist. Sie ist ebenso im «Ohrwaschel» wie in 
der grofien Zehe, nur braucht die Seele Organe, durch die sie denkt, 
vorstellt und Bilder macht. Und in einer solchen Tatigkeit, die Sie sehr 
gut kennen, macht sie das durch den Kopf, und in der Art, wie ich es 
Ihnen beschrieben habe, wo das Innere angeschaut wird, macht sie es 
durch Leber und Niere. Man kann iiberall sehen, wie die Seele am 
menschlichen Korper tatig ist. Und das mufi man sehen. 

Dazu gehort allerdings eine Wissenschaft, die nicht einfach tote 
Menschenleiber aufschneidet, auf den Seziertisch legt, Organe heraus- 
schneidet und sie materiell anschaut; dazu gehort, dafi man wirklich 
sein ganzes inneres Seelenleben im Denken und in allem etwas tatiger 
macht, als die Leute haben wollen, die blofi anschauen. Natiirlich ist es 
bequemer, Menschenkorper aufzuschneiden, die Leber herauszuschnei- 
den und nachher aufzuschreiben, was man da findet. Da braucht man 
die innere Griitze nicht stark anzustrengen. Dazu hat man die Augen, 
und da braucht man bloft ein bifkhen Denken dazu, wenn man die 
Leber nach alien Richtungen zerschneidet, kleine Stiicke macht, unter 
das Mikroskop legt und so weiter. Das ist eine leichte Wissenschaft. 
Aber fast alle Wissenschaft ist heute eine leichte Wissenschaft. Man 
mufi eben viel mehr das innere Denken in Tatigkeit bringen, und man 
mufi vor alien Dingen nicht glauben, daft man von dem Augenblick an, 
wo man den Menschen auf den Seziertisch legt, ihm seine Organe aus- 
schneidet und beschreibt, den Menschen kennenlernen kann. Denn da 



schneidet man eben die Leber einer funfzigjahrigen Frau oder eines 
funfzigjahrigen Mannes aus und weifi nicht, wenn man das anschaut, 
was beim Saugling schon geschehen ist. Man braucht eben eine ganze 
Wissenschaft. Das ist eben dasjenige, was eine wirkliche Wissenschaft 
anstreben mufi. Das ist das Bestreben der Anthroposophie, eine wirk- 
liche Wissenschaft zu haben. Und diese wirkliche Wissenschaft fiihrt 
nicht blofi zum Korperlichen, sondern sie fiihrt, wie ich Ihnen gezeigt 
habe, zum Seelischen und zum Geistigen. 

Ich habe Ihnen das letzte Mai gesagt: In der Leber ist es so, daft die 
blauen Blutadern, also die Adern, in denen das Blut nicht als rotes Blut 
fliefit, sondern als blaues Blut, also mit Kohlensaure in sich, dafi solche 
besonderen Blutadern in die Leber hineingehen. Bei alien anderen Or- 
ganen ist das nicht der Fall. Die Leber ist in dieser Beziehung ein ganz 
Tafel3 ausgezeichnetes Organ. Sie nimmt blaue Blutadern auf und lafit das 
blaue Blut geradezu in sich verschwinden (siehe Zeichnung S. 70). 

Das ist etwas aufierordentlich Bedeutsames, Wichtiges. Wenn wir uns 
also die Leber vorstellen, so gehen natiirlich die gewohnlichen roten 
Adern auch in die Leber. Es gehen die blauen Adern aus der Leber her- 
aus. Aber aufierdem geht noch eine besondere blaue Ader, die Pfortader, 
also ganz kohlensaurehaltiges Blut, in die Leber hinein (siehe Zeichnung 
Tafel 4 auf Tafel 4). Nun, die Leber nimmt das auf und lafit es nicht wieder her- 
aus, was dann an Kohlensaure in die Leber durch dieses besondere blaue 
Blut hineinkommt. 

Ja, nicht wahr, die gewohnliche Wissenschaft sieht, wenn sie die 
Leber herausgeschnitten hat, diese sogenannte Pfortader, denkt nun 
nicht weiter dariiber nach. Aber derjenige, der zu einer wirklichen 
Wissenschaft kommen konnte, der vergleicht doch. 

Nun gibt es noch Organe am Menschenkorper, die etwas sehr Ahn- 
liches haben, und das sind die Augen. Es ist bei den Augen etwas ganz 
klein, leise nur angedeutet, aber dennoch, es ist beim Auge auch so, dafi 
nicht alles Blut, alles blaue Blut, das in das Auge hereingeht, wiederum 
zuriickgeht. Es gehen da Adern hinein, es gehen rote Adern hinein, 
blaue heraus. Aber nicht alles blaue Blut, das in das Auge hineingeht, 
geht auch wiederum zuriick, sondern es verteilt sich geradeso wie in der 
Leber. Nur, in der Leber ist das stark, im Auge ist das sehr schwach. 



1st das nicht ein Beweis, daft ich die Leber mit dem Auge vergleichen 
darf ? Naturlich kann man auf alles hindeuten, was da ist im mensch- 
lichen Organismus. So kommt man eben darauf, daft die Leber ein 
inneres Auge ist. 

Aber das Auge ist nach auften gerichtet. Das guckt nach auften und 
verbraucht das blaue Blut, das es bekommt, urn nach auften zu schauen. 
Die Leber verbraucht es nach innen. Daher laftt sie es im Inneren ver- 
schwinden, das blaue Blut, und verbraucht es zu etwas anderem. Nur 
manchmal, sehen Sie, da kommt das Auge auch so in die Neigung hin- 
ein, seine blauen Adern so ein bifichen zu verwenden. Das ist dann, 
wenn der Mensch traurig wird, wenn er weint; da quillt der bitter 
schmeckende Tranensaft aus den Augen heraus, aus den Tranendrusen. 
Das kommt von dem biftchen blauen Blut her, das in dem Auge bleibt. 
Wenn das besonders belebt wird durch Traurigkeit, so kommen die 
Tranen als Absonderung. 

Aber in der Leber ist fortwahrend diese Geschichte drinnen! Die 
Leber ist fortwahrend traurig, weil so wie der menschliche Organismus 
schon einmal ist im Erdenleben, man traurig werden kann, wenn man 
ihn von innen anschaut, denn er ist zum Hochsten veranlagt, aber er 
schaut eben doch nicht so besonders gut aus. Die Leber ist eben immer 
traurig. Deshalb sondert sie immer einen bitteren Stoff ab, die Galle. 
Was das Auge mit den Tranen tut, das macht die Leber fur den ganzen 
Organismus in der Gallenabsonderung. Nur - die Trane flieftt nach 
auften und die Tranen sind, sobald sie aus dem Auge drauften sind, ver- 
weht; aber die Galle da im ganzen menschlichen Organismus verweht 
nicht, weil eben die Leber nicht nach auften, sondern nach innen schaut. 
Da tritt das Schauen zuriick, und die Absonderung, die sich vergleichen 
laftt mit der Tranenabsonderung, die tritt hervor. 

Ja, aber, meine Herren, wenn das wirklich wahr ist, was ich Ihnen 
sage, dann muft sich ja das auf einem anderen Gebiete erst recht zeigen. 
Es muft sich zeigen, daft diejenigen Erdenwesen, die mehr im Inneren 
leben, mehr in der inneren Denktatigkeit leben, daft also die Tiere nicht 
weniger denken als der Mensch, daft die Tiere mehr denken - also im 
Kopfe weniger als der Mensch, sie haben ein unvollkommenes Gehirn. 
Aber dann miissen sie mehr das Leberleben und das Nierenleben be- 



achten, mussen mehr mit der Leber nach innen gucken und mit den 
Nieren mehr nach innen denken. Das ist audi beim Tier der Fall. Dafur 
gibt es einen aufieren Beweis. Unsere menschlichen Augen sind so ein- 
gerichtet, daf$ eigentlich das blaue Blut, das da hineinkommt, schon 
sehr wenig ist, so wenig, dafi die heutige Wissenschaft gar nicht davon 
redet. Friiher hat sie davon geredet. Aber bei den Tieren, die mehr in 
ihrem Inneren leben, schauen die Augen nicht blofi an, sondern die 
Augen denken mit. 

Wenn man so sagen konnte, die Augen sind eine Art Leber, so konnte 
man nun sagen: Beim Tier ist das Auge viel mehr Leber als beim Men- 
schen. Beim Menschen ist das Auge vollkommener geworden und weni- 
ger Leber. Es zeigt sich das beim Auge. Da beim Tier lafit sich genau 
nachweisen, dafi da drinnen nicht blofi das ist, was beim Menschen ist: 
ein glasiger, wafiriger Korper, dann die Augenlinse, wiederum ein 
glasig waftriger Korper -, sondern bei gewissen Tieren gehen die Blut- 
adern in das Auge hinein und bilden im Auge einen solchen Korper 
(siehe Zeichnung). Bis in diesen Glaskorper gehen die Blutadern hinein, 




bilden da drinnen einen solchen Korper, den man den Facher nennt, 
den Augenfacher. Der ist bei diesen Tieren . . . (Liicke in der Nach- 
schrift.) Warum? Weil bei diesen Tieren das Auge noch mehr Leber ist. 
Und geradeso wie die Pfortader in die Leber hineingeht, so geht da 
dieser Facher ins Auge hinein. Daher ist es beimTiere so: Wenn das Tier 
etwas anguckt, denkt schon das Auge; beim Menschen guckt es nur, und 
er denkt mit dem Gehirn. Beim Tier ist das Gehirn klein und unvoll- 
kommen. Es denkt nicht so viel mit dem Gehirn, denkt schon im Auge 



drinnen, und es kann im Auge dadurch denken, dafi es diesen Sichel- 
fortsatz hat, also daft es das verbrauchte Blut, das kohlensaure Blut im 
Auge drinnen verwendet. 

Ich kann Ihnen etwas sagen, was Sie wirklich nicht iiberraschen 
wird. Sie werden nicht voraussetzen, dafi es dem Geier hoch oben in 
den Liiften mit seinem verdammt kleinen Gehirn gelingen wiirde, den 
ganz schlauen Entschlufi zu fassen, gerade da herunterzuf alien, wo das 
Lamm sitzt! Wenn es beim Geier auf das Gehirn ankame, konnte er 
verhungern. Aber beim Geier sitzt im Auge drinnen ein Denken, das 
nur die Fortsetzung ist von seinem Nierendenken, und dadurch fafit er 
seinen Entschlufi und schiefit herunter und fangt das Lamm ab. So 
macht es der Geier nicht, dafi er sich sagt: Da unten ist ein Lamm, jetzt 
mufi ich mich in Positur setzen; jetzt werde ich gerade richtig in der 
Linie da herunterfallen, da werde ich auf das Lamm stofien. - Diese 
Uberlegung wiirde ein Gehirn machen. Wenn ein Mensch da oben ware, 
so wiirde er diese "Qberlegung anstellen; nur ware er nicht imstande, 
das auszufuhren. Aber beim Geier denkt schon das Auge. Da ist die 
Seele schon im Auge drinnen. Das kommt ihm gar nicht so zum Be- 
wufitsein, aber er denkt doch. 

Sehen Sie, ich habe Ihnen gesagt, der alte Jude, der sein Altes Testa- 
ment verstanden hat, der hat gewufit, was es heifit: Gott hat dich durch 
deine Nieren in der Nacht geplagt. - Damit wollte er ausdriicken die 
Wirklichkeit dessen, was der Seele als blofie Traume erscheint. Gott hat 
dich durch deine Nieren in der Nacht geplagt - so sagte er ja, denn er 
hat gewufit: Da ist nicht nur ein Mensch, der durch seine Augen hinaus- 
guckt in die aufiere Welt, sondern da ist ein Mensch, der durch seine 
Nieren hereindenkt und durch seine Leber hereinschaut in das Innere. 

Und das haben die alten Romer auch noch gewufit. Die haben ge- 
wufit, dafi es eigentlich doch zwei Menschen gibt: den einen, der durch 
seine Augen so herausguckt, und dann den anderen, der in seinem 
Bauche seine Leber hat und der in sein eigenes Innere hereinguckt. Nun 
ist es allerdings so, dafi man bei der Leber - man kann das an der Ver- 
teilung der ganzen blauen Adern verfolgen wenn man den Ausdruck 
gebrauchen will, sagen mufi: Die guckt eigentlich nach hinten. Daher 
kommt es auch, dafi der Mensch so wenig von seinem Inneren wahr- 



nimmt; geradesowenig wie Sie das, was hinter Ihnen ist, wahrnehmen, 
sowenig nimmt die Leber ganz bewuftt wahr, was sie eigentlich an- 
guckt. Das haben die alten Romer gewuftt. Nur haben sie es so aus- 
gedriickt, daft man nicht gleich darauf kommt. Sie haben sich vor- 
gestellt: Da hat der Mensch vorn einen Kopf, und im Unterkorper hat 
er wiederum einen Kopf; der ist aber nur ein undeutlicher Kopf, der 
guckt nach hinten. - Und dann haben sie die zwei Kopfe zusammen- 
genommen und haben so etwas gebildet (siehe Zeichnung): einen Kopf 
mit zwei Gesichtern, von denen das eine nach hinten, das andere nach 
vorne schaut. Solche Bildsaulen findet man heute noch, wenn man nach 
Italien kommt. Man nennt sie Januskopfe. 



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Sehen Sie, die Reisenden, die dazu das Geld haben, gehen mit ihrem 
Baedeker durch Italien, schauen sich auch diese Januskopfe an, schauen 
in den Baedeker herein - da steht aber nichts Verniinftiges drinnen. 
Denn, nicht wahr, man mufi sich doch fragen: Wie sind denn diese 
alten Romerkerle dazu gekommen, solch einen Kopf auszubilden? So 
dumm waren sie eigentlich nicht, daft sie geglaubt haben, wenn man 
irgendwo iibers Meer fahrt, dann gibt es Menschen mit zwei Kopfen 
auf der Erde. Aber so ungefahr, nicht wahr, mufi es sich der Reisende 
denken, der durch seine Augen ja nicht belehrt wird, wenn er da sieht, 
daft die Romer einen Kopf mit zwei Gesichtern ausgebildet haben, eins 
nach hinten, eins nach vorne. 



Ja, nun, die Romer haben eben noch etwas gewuftt durch ein ge- 
wisses natiirliches Denken, was die ganze spatere Menschheit nicht 
gewufk hat, und worauf wir jetzt kommen, selbstandig darauf kom- 
men. So dafi man jetzt wieder wissen kann, daft die Romer nicht dumm 
waren, sondern gescheit waren ! Januskopf heilk Janner, Januar. Warum 
haben sie ihn denn just in den Zeitanfang des Jahres gesetzt? Das ist 
auch noch ein besonderes Geheimnis. 

Ja, meine Herren, wenn man schon einmal so weit gekommen ist, 
einzusehen, dafi die Seele nicht nur im Kopfe, sondern auch in der 
Leber und Niere arbeitet, dann kann man auch verfolgen, wie das 
durch das Jahr hindurch verschieden ist. Wenn namlich Sommer ist, 
warme Jahreszeit, da ist es so, dafi die Leber auflerordentlich wenig 
arbeitet. Da kommt die Leber und die Niere mehr in eine Art von see- 
lischer Schlaftatigkeit, verrichtet nur ihre aufierlichen korperlichen 
Funktionen, weil der Mensch mehr an die Warme der Auftenwelt hin- 
gegeben ist. Es fangt das im Inneren an, mehr Stillstand zu haben. Das 
ganze Verdauungssystem ist im Hochsommer stiller als im Winter; aber 
im Winter fangt dieses Verdauungssystem an, sehr geistig-seelisch zu 
sein. Und wenn die Weihnachtszeit kommt, die Neujahrszeit, wenn der 
Januar kommt und anfangt, da ist am starksten die seelische Tatigkeit 
in der Leber und in den Nieren drinnen. 

Das haben die Romer auch gewufk. Deshalb haben sie den Menschen 
mit den zwei Gesichtern den Jannermenschen, den Januarmenschen 
genannt. Wenn man selbstandig wieder darauf kommt, was fiir ein 
Gescheites eigentlich da hingestellt ist, so braucht man die Dinge nicht 
mehr anzuglotzen, sondern kann sie wieder verstehen. Man glotzt sie 
heute nur an, weil die heutige Wissenschaft nichts mehr ist. Sehen Sie, 
Anthroposophie ist wirklich nichts Unpraktisches. Sie kann nicht nur 
alles dasjenige erklaren, was menschlich ist, sondern sogar das, was 
geschichtlich ist; sie kann zum Beispiel erklaren, warum die Romer 
diese Januskopf e gebildet haben! Eigentlich - ich sage das wirklich 
nicht, um Eitelkeit zu treiben -, eigentlich miifite man schon beim 
Baedeker, damit die Menschen die Welt verstehen, einen Anthropo- 
sophen hinsetzen, sonst gehen die Menschen eigentlich verschlafen 
durch die Welt, glotzen alles nur an, konnen nicht nachdenken. 



Ja, meine Herren, daraus werden Sie ersehen, dafi es wirklich ernst 
gemeint ist, wenn man sagt, man miisse vom Korperlichen ausgehen, 
um zum Seelischen zu gelangen. Nun, von diesem Seelischen werde ich 
Ihnen dann am nachsten Samstag weiterreden. Dann konnen Sie sich 
auch iiberlegen, was fur Fragen Sie stellen wollen. Aber Sie werden 
gesehen haben, dafi es wirklich nicht ein Spafi ist, wie man dazu kom- 
men will, aus dem Korperlichen heraus das Seelische zu erkennen, 
sondern es ist das eine sehr ernste Wissenschaft. 



SECHSTER VORTRAG 



Dornach, 16. September 1922 

Damit Sie, meine Herren, ein mehr vollstandiges Bild bekommen, will 
ich noch genauer betrachten, was eigentlich im menschlichen Leibe 
jeden Tag bei gewissen Vorgangen vor sich geht. Denn man kann 
hohere Vorgange nur verstehen, wenn man gewisse niedrige Vorgange 
wirklich erkennt. Ich will daher heute noch einmal sowohl von der 
physischen, materiellen Seite her, wie auch von der seelischen Seite her 
den ganzen Ernahrungsvorgang betrachten. 

Wir essen; wenn wir essen, dann nehmen wir zunachst dieNahrungs- 
mittel in den Mund. Wir geniefien feste und flussige Nahrungsmittel, 
die luftformigen Nahrungsmittel nehmen wir ja durch das Atmen, 
durch die Lunge auf. Also wir geniefien feste und flussige Nahrungs- 
mittel. Aber wir konnen in unserem Leib nur Flussigkeiten brauchen. 
Daher mufi das Feste schon im Munde zu einer Fliissigkeit aufgelost 
werden. Das wird zunachst im Munde geleistet. Das kann im Munde, 
im Gaumen nur dadurch geleistet werden, dafi im ganzen Gaumen 
und uberhaupt in der Mundhohle sich kleine Organe befinden, so- 
genannte Driisen, und diese Driisen, die geben fortwahrend den Spei- 
chel von sich. 

Also Sie miissen sich vorstellen, dafi da zum Beispiel an der Seite 
der Zunge solche kleinen Driisen sind. Das sind kleine Gebilde, die so 
angeordnet sind, dafi sie, wenn man sie genau unter dem Mikroskop 
ansieht, so aussehen wie kleine Weintrauben; sie sind so aus Zellen zu- 
sammengelagert. Diese Driisen, die geben den Speichel von sich. Der 
Speichel lost die Nahrungsmittel auf und durchdringt sie. Die Nah- 
rungsmittel miissen im Munde eingespeichelt werden, sonst taugen sie 
nichts im menschlichen Organismus. 

Nun, da wird eine Tatigkeit ausgeiibt - das ist ja eine Tatigkeit, 
dieses Einspeicheln, dieses Durchdringen der Nahrungsmittel mit dem 
Speichel — , und diese Tatigkeit nehmen wir wahr, die fassen wir auf 
im Geschmack. Wir schmecken die Nahrungsmittel wahrend des Ein- 
speichelns durch den Geschmackssinn. So wie wir durch das Auge 



Farben wahrnehmen, so nehmen wir durch den Geschmackssinn den 
Geschmack der Speisen wahr. 

Also wir konnen sagen: Im Munde werden die Speisen eingespei- 
chelt, und sie werden geschmeckt. Mit dem Geschmack bekommt man 
also ein Bewufttsein von den Speisen. Und durch das Einspeicheln 
werden sie so hergerichtet, daft sie dann vom anderen Leib aufgenom- 
men werden konnen. Aber im Speichel des Mundes mufi ein gewisser 
Stoff sein, sonst konnten die Nahrungsmittel nicht so zubereitet wer- 
den, daft sie dann brauchbar fur den Magen sind. Da mufi ein gewisser 
Stoff drinnen sein. Dieser Stoff, der ist auch wirklich drinnen und den 
nennt man Ptyalin. Also im Munde wird aus den Speicheldriisen das 
Ptyalin herausgetrieben. Und dieses Ptyalin ist derjenige Stoff, der 
zuerst die Nahrungsmittel bearbeitet, damit sie fur den Magen brauch- 
bar werden. 

Dann gehen durch die Speiserohre, durch den Schlund, die ein- 
gespeichelten, vom Ptyalin bearbeiteten Nahrungsmittel in den Magen 
hinein. Im Magen miissen sie weiter bearbeitet werden. Dazu mufi es 
im Magen wiederum einen Stoff geben. Der wird vom Magen aus- 
gesondert, hervorgebracht. So wie im Munde der Speichel mit dem 
Ptyalin, so wird im Magen auch eine Art Speichel hervorgebracht. Nur 
ist in diesem Speichel desMagens schon ein etwas anderer Stoff drinnen. 
Der speichelt im Magen noch einmal die Nahrungsmittel ein. So daft 
wir sagen konnen: Im Magen, da ist statt des Ptyalin das Pepsin 
drinnen. 

Nun, sehen Sie, im Magen entwickelt sich beim erwachsenen Men- 
schen und auch schon beim siebenjahrigenKinde kein Geschmack mehr. 
Aber der Saugling, der schmeckt noch im Magen ebenso die Speisen, 
wie der Erwachsene im Mund die Speisen schmeckt. Da muU man also 
schon auf dasSeelische des Sauglings eingehen, wenn man denMenschen 
durchschauen will. Der erwachsene Mensch, der bekommt hochstens 
einen Begriff von diesem Geschmack im Magen, wenn der Magen schon 
ein biftchen ruiniert ist und die Geschichte aus dem Magen statt nach 
unten nach oben geht. Dann kriegt der Mensch schon eine Vorstellung 
davon, daft es im Magen einen Geschmack gibt. Ich setze voraus, daft 
wenigstens einige von Ihnen das schon durchgemacht haben, daft 



wiederum etwas, was im Magen schon war, in den Mund herauf zu- 
riickkommt, und die werden wissen, dafi das dann wirklich schlechter 
schmeckt als alles dasjenige oder wenigstens das meiste von demjenigen, 
was man ifit. Und dasjenige, was so schmecken wiirde wie das, was vom 
Magen zuriickkommt, wiirde man gewift nicht aufterordentlich ge- 
schmackvoll finden. Man ifit ja solche Dinge nicht, die so schmecken 
wiirden wie das, was vom Magen wieder zuriickkommt. Aber der 
Geschmack, der da im Speisebrei ist, der wieder zuriickkommt, mulS 
sich doch gebildet haben. Er bildet sich eben im Magen. Nicht wahr, im 
Munde sind die Speisen blofi einptyalinisiert; im Magen werden sie ein- 
pepsinisiert. Und die Folge davon ist, dafi sie eben anders schmecken. 
Mit dem Geschmack ist es iiberhaupt so eine Sache. 

Nehmen Sie einmal an, Sie sind sehr empfindlich und Sie trinken 
Wasser, so wird das Wasser im allgemeinen, wenn es nicht gerade ver- 
dorbenes Wasser ist, keinen schlechten Geschmack haben. Wenn Sie 
aber - Sie miissen natiirlich etwas dafiir empfindlich sein - viel Zucker 
auf der Zunge zerfliefien lassen und die Zunge darauf eingerichtet 
haben, so kann es Ihnen vorkommen, dafi das Wasser sauerlich 
schmeckt. Mit dem Geschmack ist es eine eigene Sache. Aber so, wie 
ihn der erwachsene Mensch kennt, bildet er sich nicht im Munde aus, 
sondern im Magen. Das Kind fuhlt, denkt aber natiirlich noch nicht; 
daher kennt es den Geschmack nicht so, wie der erwachsene Mensch 
seinen Mundgeschmack kennt. Das Kind muf$ daher solche Nahrungs- 
mittel kriegen, die im Magen drinnen nicht allzuschlecht schmecken. 
Und das ist eben die Muttermilch oder die Milch iiberhaupt, aus dem 
Grunde, weil sie einen nicht allzuschlechten Geschmack im Magen 
bekommt, weil das Kind verwandt ist mit der Milch. Es ist ja aus dem 
Leibe heraus geboren, der Milch hervorbringen kann. Also das Kind 
fuhlt sich verwandt mit der Milch. Daher bereitet ihm die Milch keinen 
schlechten Geschmack. Das Kind wiirde aber, wenn es zu friih andere 
Nahrungsmittel bekommen wiirde, diese ekelig finden. Der Erwachsene 
tut das nicht mehr, weil sein Geschmack vergrobert ist. Aber das Kind 
wiirde es ekelig finden, weil es nicht mit ihnen verwandt ist, weil das 
auflere Nahrungsmittel sind. 

Nun, sehen Sie, von dem Magen, nachdem die Speisen eingespeichelt 



sind in dem Magen mit dem Pepsin, gehen die Speisen in den Darm hin- 
ein, in den Diinndarm, Dickdarm und so weiter, und der Speisebrei 
breitet sich im Darm aus. 

Ich kann hierher schreiben beim Magen: Kindlicher Geschmack 
Tafels (siehe Schema Seite 104). 

"wenn sich nun da der Speisebrei ausbreitet und es geschahe gar nichts 
mit ihm, ja, da wiirde er in den Darmen eine harte, steinige Masse wer- 
den und er wiirde den Menschen zugrunde richten. Da wird etwas 
anderes mit diesem Speisebrei vorgenommen. 

Was da vorgenommen wird, das geschieht zunachst wiederum durch 
eine Druse. Im Munde haben wir Driisen, im Magen Driisen, und jetzt 
gibt es eine grofie Druse hinter dem Magen. Also wenn der Magen da 
ist, so ist hinter dem Magen, wenn man den Menschen von vorne an- 
schaut, eine ziemlich grofie Druse, und vor dieser Druse ist dann der 
Magen. Diese Druse ist also hinter dem Magen. Und diese Druse, die 
man die Bauchspeicheldriise nennt, die sondert nun wiederum eine Art 
Speichel ab, und der Speichel geht durch feine Kanale in die Gedarme. 
So daft also in den Gedarmen die Speisen ein drittes Mai eingespeichelt 
werden. Und der Stoff, der da in dieser Bauchspeicheldriise abgeson- 
dert wird, der verwandelt sich sogar im Menschen. Zunachst sondert 
ihn die Bauchspeicheldriise ab. Da ist er fast so wie das Pepsin des 
Magens. Dann aber, auf dem Wege in die Gedarme hinein, verandert 
er sich. Er wird scharfer. Die Speisen mussen ja jetzt scharfer angefafit 
werden als friiher. Und diese scharfere Art von einem Spekhelstoff, 
der von der Bauchspeicheldriise abgesondert wird, den nennt man 
Trypsin. Also wir haben als drittes die Bauchspeicheldriise. Die sondert 
ab das Trypsin — wenigstens sondert sie etwas ab, was in den Gedarmen 
zu dem scharfen Saft des Trypsins wird. Damit wird der Speisebrei ein 
drittes Mai eingespeichelt. Da geschieht mit ihm also wiederum etwas 
Neues. 

Das kann nicht mehr wahrgenommen werden von dem Bewulksein 
des Menschen im Kopfe, wie ich Ihnen das letzte Mai gesagt habe, son- 
dern das, was da aus dem Speisebrei entsteht, das wird jetzt wahr- 
genommen, geschmeckt oder gefuhlt von der Leber und gedacht von 
den Nieren. Also alles dasjenige, was da drinnen in den Gedarmen vor 

A AA 



sich geht, das wird gedacht von den Nieren und wahrgenommen von 
der Leber. Da sitzt also ein Seelisches drinnen in Nieren und Leber, und 
das nimmt so wahr, wie der Mensch durch den Kopf wahrnimmt. Nur 
welB er nichts davon. Hochstens, wie ich Ihnen das letzte Mai gesagt 
habe, wenn er traumt; dann kommt eben in einer bildlichen Form die 
Geschichte zum Bewufksein. Wie da der Speisebrei sich schlangenartig 
durchwindet durch die Gedarme und sich immer mit dem Trypsin 
mischt, das iibt einen Reiz aus, und das nimmt der Mensch dann im 
Traum als Schlangen wahr. Das ist also eine Umsetzung in ein undeut- 
liches, unklares Seelisches, was da der Mensch wahrnimmt. 

Nun, die Leber, die nimmt also da die Geschichte wahr mit dem 
Ptyalin, Pepsin, Trypsin - ich mufi das schon so aussprechen, weil die 
Wissenschaft leider den Sachen so scheufiliche Namen gegeben hat, und 
wenn man schon recht unsympathisch aufgenommen wird von der 
Wissenschaft, wenn man die Sachen klarlegen will, so wiirde die Wis- 
senschaft schon ganz kopfstehen, wenn man den Sachen neue Namen 
geben wollte; man konnte es auch, aber damit die Wissenschaft nicht 
unnotig kopfsteht, tut man es nicht, gebraucht die alten Namen Ptyalin, 
Pepsin, Trypsin weiter fort. Es ist also so, daft nun die Sachen zum 
dritten Mai eingespeichelt werden. Und da liegt ein Leberfiihlen zu- 
grunde (siehe Schema Seite 104). Tafel5 

Was das mit diesem Leberfiihlen ist, meine Herren, das machen Sie 
sich dadurch klar, dafi Sie sich einmal erinnern, wie es ist - wenn Sie es 
vielleicht schon einmal getan haben -, wenn man sich eine recht scharfe 
Zwiebel vor die Nase bringt. Nicht wahr, da kommen dieTranen. Auch 
wenn Sie Meerrettich vor die Nase bringen, kommen dieTranen. Woher 
kommt denn das? Das kommt davon her, dafi der Meerrettich oder die 
Zwiebel auf die Tranendriisen wirken, und die Tranendriisen sondern 
dann die bitteren Tranen ab. Ja, sehen Sie, meine Herren, so ungefahr 
wie die Zwiebel oder der Meerrettich ist dieser in den Gedarmen ver- 
laufende Speisebrei, und die Leber sondert die Galle ab, so wie die 
Augen die Tranen absondern. Die Zwiebel mufi wahrgenommen wer- 
den, wenn sie Tranen hervorrufen soli; man mufi sie fiihlen. So fiihlt 
die Leber diesen Speisebrei und sondert die Galle ab, die ihm zugesetzt 
wird. Das ist das vierte. 



Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:34 7 Seite: 103 



5 Mvnb : Qaichmack. Pfyod'n 

/Magen ■• kmdl. (jcjchmack. Pepn'n 
]3avchspefdie/c)K/5e; LebGrfi/hI<2h. Trypjfn 

Leber: Qafie 

Nun wird in den Gedarmen, nachdem der Mund durch das Ptyalin, 
der Magen durch das Pepsin, die Bauchspeicheldriise durch das Trypsin 
gewirkt hat, von der Leber aus die Galle dem Speisebrei zugesetzt. Und 
dann kommt erst das Denken durch die Nieren. 

Wenn nun der Speisebrei auf diese Weise zubereitet ist, viermal ein- 
gespeichelt ist, dann geht er erst durch die Darmwande in die Lymph- 
rohren hinein und von da in das Blut. Also wir konnen sagen: Im 
menschlichen Korper ist ein aufierordentlich komplizierter Lebens- 
prozeft vorhanden. Vom Mund, bis der Speisebrei in das Blut hinein- 
geht, immerfort wird der Speisebrei umgeandert, damit er in der rich- 
tigen Weise nicht nur vom Magen, sondern vom ganzen menschlichen 
Korper verdaut werden kann. 

Jetzt wird aber das wiederum in einer verschiedenen Weise bewirkt. 
Nicht wahr, Sie konnen sich sagen, wenn Sie selber - denken Sie nur, 
meine Herren -, wenn Sie selber im chemischen Laboratorium, selbst 
wenn Sie ein noch so gescheiter Professor waren, das alles so machen 
mufken, Sie wiirden es nicht konnen, wenn Sie zuerst die Speise mit 
dem Mundspeichel durchkauen miifiten, dann mit dem Magenspeichel, 
dann mit dem Darmspeichel und zuletzt mit der Galle! Das geschieht 
alles in Ihnen, Sie machen es fortwahrend jeden Tag. Aber wenn Sie es 
im Laboratorium machen sollten, Sie wiirden es nicht konnen. Der 
Mensch hat zwar einen Verstand, aber dasjenige, was in seinem Bauch 
verstandigerweise zugeht, das geschieht viel gescheiter, als die Men- 
schen uberhaupt auf der Erde sind. Und das ist ein sehr weiser, ein sehr 
gescheiter Prozeft, der sich da abspielt. Den kann man nicht so ohne 
weiteres nachmachen. 

Aber Sie werden noch mehr Respekt kriegen vor diesem Prozefl, 
wenn ich Ihnen seine Einzelheiten schildere. Was ifk denn der Mensch? 



Der Mensch ifit Pflanzenstoffe, Tierstoffe, Mineralstoffe, und dadurch 
kriegt er ganz verschiedene Stoffe in seinen Mund und seinen Magen 
und seine Gedarme hinein, die umgewandelt werden miissen, verandert 
werden miissen durch die Einspeichelung. 

Denken Sie sich, Sie essen Kartoffeln. Woraus besteht die Kartoffel? 
Die Kartoffel besteht hauptsachlich aus dem, was Sie in der Starke 
haben. Sie wissen ja auch, Starke wird aus der Kartoffel bereitet. Also 
Sie essen eigentlich Starke, wenn Sie Kartoffeln essen. Das ist also eines 
von dem ersten, was Sie essen; Starke essen wir. Es gibt viele starke- 
ahnliche Dinge. Die Kartoffel besteht fast ganz aus Starke, nur mit ein- 
zelnen Fliissigkeiten ist die Starke durchsetzt, namentlich mit Wasser. 
Und dadurch sieht die Kartoffel eben - weil sie aufterdem lebendig ist, 
nicht tot - so aus, wie sie ist. Sie ist eigentlich lebendige Starke, die 
Kartoffel. Aber darum mufi sie, wie ich Ihnen gesagt habe, abgetotet 
werden. Da ist sie also reine Starke. In den Pflanzen ist uberall Starke 
drinnen; was Sie aus dem Pflanzenreich essen - uberall ist Starke 
drinnen. 

Was essen Sie noch? Ob Sie es aus dem Pflanzenreich oder aus dem 
Tierreich nehmen, Sie essen Eiweifi. Eiweifi essen Sie in dem gewohn- 
lichen Ei; da haben Sie es so, wie es ist, nur etwas abgetotet. Sie essen 
aber Eiweifi, das beigemischt ist dem Muskelfleisch oder den Pflanzen. 
Sie essen eigentlich fortwahrend Eiweift. Also das zweite ist Eiwei£ und 
eiweifiahnliche Stoffe. 

Und das dritte, was Sie essen, und was von der Starke und von dem 
Eiweift verschieden ist, das sind Fette. Fette sind andere Stoffe als 
Starke und Eiweifi. Fette sind in den Pflanzen weniger als in den Tie- 
ren. Es gibt sogenannte Pflanzenfette. Der Mensch braucht entweder 
aus dem Pflanzenreich oder aus dem Tierreich die Fette, wenn er sich 
ordentlich nahren soil. Also die Fette sind als drittes da drinnen in dem, 
was der Mensch als Nahrungsmittel aufnimmt. 

Und als viertes sind drinnen die Salze. Der Mensch muf$ immer ent- 
weder schon solche Nahrungsmittel zu sich nehmen, die von Natur aus 
geniigend Salze haben oder Salze wenigstens enthalten, oder Sie wissen 
ja, die Menschen stellen sich ein Salzfafi auf den Tisch, und je nachdem 
nehmen sie entweder mit den Fingern oder mit dem kleinen Hornloffel 



oder mit der Messerspitze das Salz aus dem Salzfaft und setzen es der 
Suppe oder den anderen Nahrungsmitteln zu. Das wird gegessen. Das 
haben wir no tig. Das ist das vierte, was gegessen wird; Salze muft ich 
schreiben, weil es eben verschiedene Salze sind. 

Das kommt eben alles in den Darm hinein, und das wird alles ver- 
andert im Darm. 

Nun, meine Herren, was entsteht aus dem allem? Dadurch, daft die 
Speisen gut vorbereitet sind durch den Mundspeichel und Magen- 
speichel, konnen sie im Darm zum dritten Male eingespeichelt werden, 
und sie verharten nicht, sondern sie verwandeln sich, sie werden etwas 
anderes. 

Tafel 5 frarke Zucker 



Was wird die Starke? Die Starke wird Zucker. So daft Sie also, wenn 
Sie Starke essen, daraus in Ihrem Magen Zucker bekommen. Zucker 
brauchen wir, wenn wir ihn in uns haben wollen, gar nicht zu essen, 
aus dem einfachen Grunde nicht - wenn wir geniigend viel entwickeln 
wiirden -, weil wir ihn selbst machen. Aber es ist schon beim Menschen 
so, daft er nicht alles machen kann, trotzdem die menschliche Natur 
sehr viel kann. Und so entwickelt sie eben zu wenig Zucker, bei man- 
chen Menschen sogar viel zu wenig Zucker. Und da muft dann noch 
extra Zucker zugesetzt werden zu den Speisen, oder da wird zugesetzt, 
damit das schon in die Gedarme vorbereitet hineinkommt, was sonst 
im normalen Leben die Gedarme selber machen. Und die Gedarme 
machen aus Starke Zucker. Das ist eine grofte Kunst. 

Noch eines: Sie wissen ja, es bekommt Menschen mit schwachem 
Magen besser, wenn sie kernweiche Eier essen, als wenn sie ganz harte 
Eier essen. Und noch dazu, wenn die Eier schon etwas stinkig geworden 
sind, bekommen sie erst recht schlecht. Das Eiweifi ist zwar ein gutes 
Nahrungsmittel, aber wenn wir es in einem belebten Zustand da in die 




Gedarme hineinbringen, wiirde dieses Eiweifi auch in uns stinkig und 
unbrauchbar. Wir konnen das Eiweifl in unserem Darm nicht so ge- 
brauchen, wie es da drauften ist. Dieses Eiweifl mufi auch umgewandelt 
werden, und vor allem, es mufi aufgelost werden. Wenn Sie es ins Was- 
ser hineingeben, lost es sich nicht auf . Es mufi etwas ganz anderes da 
sein, damit es sich auflost. Und ganz besonders stark lost das Trypsin 
das Eiweifi auf. Also aus Eiweift entsteht fliissiges Eiweifi. 

Und wahrend fliissiges Eiweifi entsteht, bildet sich im menschlichen 
Organismus noch etwas; durch die Einwirkung dieses Darmspeichels 
der Bauchspeicheldriise, da bildet sich noch etwas. So spafiig es ist, aber 
es bildet sich namlich Alkohol. Der Mensch entwickelt in sich Alkohol. 
Man braucht gar keinen Alkohol zu trinken, man hat in sich selber 
einen Quell von Alkohol. In den Gedarmen entsteht Alkohol. Und 
wenn die Menschen zum Saufer werden, dann ist das nur aus dem 
Grunde, weil ihre Leber zu gierig wird. Sie begniigt sich nicht, indem 
sie wahrnimmt den Alkohol, der da ein biftchen gebildet wird in den 
Gedarmen; sie verlangt mehr Alkohol, und da werden die Menschen 
zum Saufer. 

Sehen Sie, Leute, die das gewuik haben, die haben das sogar als 
Grund angefiihrt fiir das Wein- und Biertrinken. Sie haben gesagt: 
Da sind solche Antialkoholiker; aber der Mensch kann gar nicht Anti- 
alkoholiker sein, weil er selber Alkohol in seinen Gedarmen macht. - 
Nun, aber das begriindet naturlich nicht, daft man deshalb zum Saufer 
werden mufi und zu viel Alkohol trinken soil. Denn wenn man nun zu 
viel Alkohol trinkt, das heifk, der Leber nachgibt in ihrer Gier nach 
Alkohol, dann wird sie krank, dann entartet sie durch das alles, wuchert. 
Die Leber mulS doch tatig sein. Die Leber vergrofiert sich und die klei- 
nen Driisen werden aufgeblasen. Und wenn dann die Leber arbeiten 
muft in der Gallenerzeugung, so erzeugt sie keine ordentliche Galle. Der 
Speisebrei wird nicht ordentlich in den Gedarmen mit Galle durchsetzt. 
Er geht als unrichtiger Speisebrei in die Lymphgefafie und in die Blut- 
gefafie. Das kommt ins Herz und greift auch das Herz an. Deshalb 
haben diejenigen Menschen, die zu viel Bier trinken, eine krankhafte, 
eine ganz anders aussehende Leber, als diejenigen, die wenig trinken 
oder sich gar mit dem bifichen Alkohol begniigen in den menschlichen 



Gedarmen selber, das eigentlich in der Hauptsache schon geniigt. Die 
entartete Leber und das entartete Herz sind eine Folge von zu groftem 
Alkoholgenuft. Daher das Bierherz, das eine grofle Anzahl der Miinch- 
ner Bevolkerung hat. Aber es ist immer auch die Leber mit entartet. 
Sehen Sie, man versteht die Entartung und die verschiedenen Krank- 
heiten, wenn man in dieser Weise hineinschaut in den verschiedenen 
V erlauf des Speisebreies im Organismus. 

Nun habe ich Ihnen gesagt, was entsteht, wenn das Eiweifi fliissig 
gemacht wird. Da dringt Alkohol in das Eiweifl hinein, und er ver- 
hindert das Stinkigwerden. Sie wissen ja, wenn man Lebendiges auf- 
bewahren will, bewahrt man es auch in Spiritus auf, weil der Alkohol, 
wie man sagt, die Sache konserviert. Es kann sich erhalten. Das Eiweifi 
kann sich auch im Organismus dadurch erhalten, daft es in Spiritus 
gesetzt wird durch den Organismus selber. Das ist aufierordentlich 
gescheit. 

Aber es sind so feine Vorgange, die da geschehen, dafS der Mensch 
das alles nicht machen konnte. Wenn er, sagen wir, irgendein mensch- 
liches Glied oder einen kleinen Organismus bewahren will, ein kleines 
Lebewesen bewahren will, so setzt er es in Spiritus und stellt es in sei- 
nem naturwissenschaftlichen Kabinett auf. Aber in einer viel feineren, 
geistreicheren Art macht das in dem menschlichen Darm das Trypsin; 
das setzt Alkohol ab und setzt das Eiweifi in Alkohol. 

Und was geschieht mit den Fetten? Ja, meine Herren, die Fette gehen 
in den Darm hinein und werden wiederum von dem, was von der 
Bauchspeicheldruse abgesondert wird, in Verbindung mit der Galle 
umgewandelt. Und da entstehen aus dem Fett zweierlei Stoffe. Der eine 
Stoff ist Glyzerin. Glyzerin kennen Sie von aufien, aber Sie erzeugen 
taglich das Glyzerin in sich. Der andere Stoff ist Saure. Also aus den 
Fetten entstehen Glyzerin und Sauren, allerlei Fettsauren. 

Und nur die Salze, die bleiben ahnlich so, die werden wenig ver- 
andert; hochstens aufgelost werden sie, so dafi sie besser verdaulich 
gemacht werden. Aber die bleiben eigentlich so, wie sie aufgenommen 
Tafels werden. Also die Salze bleiben Salze (siehe Schema Seite 106). 

So also essen wir mit den entsprechenden Nahrungsmitteln starke- 
artige Stoffe, eiweifiartige Stoffe, fettartige Stoffe und Salzstoffe. Und 



nachdem wir verdaut haben, haben wir in uns statt dieser Starke und 
des Eiweifies und der Fette: Zucker, aufgelostes, fliissiges Eiweifi, 
Glyzerin, Sauren und Salze. 

Und was geht nun mit dem vor sich, was wir da in uns haben? Wir 
haben etwas ganz anderes, als wir gegessen haben, in uns. Wir haben 
richtig die Geschichte umgewandelt. 

Sehen Sie, es hat noch vor einigen Jahrhunderten in der Schweiz 
hier - aber er ist weit gewandert gewesen - einen Arzt gegeben, den die 
Wissenschaf t heute ziemlich verachtet, der aber noch eine Ahnung hatte 
von all diesen Vorgangen. Das war der Paracelsus. In Basel war er 
Professor. Aber die Kerle haben ihn herausgeschmissen, weil er mehr 
gewuflt hat als sie. Er wird heute noch allgemein verschimpft. Es ist 
ihm ja passiert, trotzdem er ein sehr gescheiter Mensch war, daft er iiber 
einen Felsen heruntergefallen ist und sich den Kopf zerschmettert hat. 
Er hat seine letzte Lebenszeit in Salzburg verbracht. Er war Arzt. Ware 
er, wie man es heute nennt, ein ehrenhafter Burger, Stadtrat von Salz- 
burg gewesen, so hatte man ihm das beste Andenken bewahrt. Aber er 
war ein Mensch, der mehr gewuftt hat als die anderen. Und da haben 
sie gesagt: Er war ein Saufer, war besoffen und ist iiber den Felsen her- 
untergestiirzt. - Nun, das ist schon einmal so in der Welt. Der hat also 
noch etwas gewuftt von der Welt und hat immer in starker Weise hin- 
gewiesen darauf , wie im Inneren des Menschen eine Umwandlungskraf t 
ist. Aber das ist ja seit jener Zeit fur Jahrhunderte vergessen worden. 

Und was geschieht nun mit alledem, was da drinnen ist? Da gibt sich 
die Wissenschaft wiederum einer groften Illusion hin. Denn sehen Sie, 
die Wissenschaft sagt: Alles das, was da jetzt entsteht als Zucker, fliis- 
siges Eiweift, Alkohol, Glyzerin, Fettsauren und Salze, all das geht in 
die Blutadern hinein und von da ins Herz, und vom Herzen aus durch 
die Blutadern wird es erst in den iibrigen Organismus getrieben. - 
Gewift, ich mochte sagen, mit dem Dicksten, was noch da ist - fliissig 
ist alles, aber auch unter dem Fliissigen sind dickliche Fliissigkeiten -, 
aber mit dem Dicksten, was da noch ist, kann es so sein, ist es auch so: 
das geht in die Adern iiber und versorgt von da aus den Korper. Aber, 
meine Herren, haben Sie denn nicht schon einmal bemerkt, daft wenn 
ein Glas Wasser da war und Sie Zucker ins Glas hineingegeben haben 



und Sie haben es nachher getrunken, daft es nicht blofi unten, wo der 
Zucker gelegen hat, sufi ist? Das ganze Glas Wasser ist sufi, nicht wahr! 
Der Zucker, wenn er flussig gemacht wird, lost sich ja im ganzen Was- 
ser auf . Und ebenso das Salz. In diesem Wasserglas da drinnen, da sind 
nicht erst Adern, damit der Zucker oder das Salz in alle Teile hinein- 
kommen konnen, sondern das wird aufgesogen. 

Nun habe ich Ihnen vor einiger Zeit gesagt, daft der Mensch eigent- 
lich zu 90 Prozent aus "Wasser besteht, wenigstens aus Fliissigkeit. Es ist 
lebendiges Wasser, aber es ist Wasser. Nun, brauchen die Stoffe, die da 
sind, alle erst die Adern, um in den ganzen Korper uberzugehen? Wenn 
da drinnen in den Gedarmen Zucker gemacht wird, hat das die Adern 
erst notig, damit es in den ganzen Korper ubergehe? Der Mensch be- 
steht aus Wasser, damit sich der Zucker in ihm verbreiten kann. 

Ja, da haben die Leute gesagt: Wenn der Mensch ein Saufer wird, 
dann gehen alle Alkoholmengen, die der Mensch zu sich nimmt, auf 
dem Weg durch die Gedarme ins Herz und von da aus in den ganzen 
Korper. - Ich kann Ihnen die Versicherung geben, meine Herren, wenn 
der ganze Alkoholgehalt, den ein solcher Saufer in sich hineinsauf t, erst 
durchs Herz hindurchgehen wurde, dann wurde er am Alkohol nicht 
nach Jahren zugrunde gehen, sondern nach Tagen. Man kann das nam- 
lich nachweisen, daft dasjenige, was man auf diese Weise flussig zu sich 
nimmt, nicht erst durch die Adern in den ganzen Korper ubergeht, 
sondern so in den Korper ubergeht, wie der Zucker in einem Glas Was- 
ser ins ganze Glas Wasser ubergeht. Wenn jemand, der einen ziemlich 
gesunden Organismus hat, ein Glas Wasser trinkt und er trinkt es aus 
Durst, so wird dieses erste Glas Wasser wirklich nun von den Gedarmen 
verarbeitet, wird dem Speisebrei zugesetzt und geht von da aus tat- 
sachlich in die Adern und durch das Herz in den Korper iiber. Aber 
wenn die Adern und das Herz einmal genug haben, dann konnen Sie 
Wasser trinken so viel Sie wollen: das geht nicht mehr von den Adern 
iiber, weil man das nicht braucht. Wenn Sie ein oder eineinhalb Glas 
Wasser trinken, nur soviel Sie gerade dem Durst entsprechend brauchen, 
dann laftt das Ihren Korper ungeschoren; wenn Sie aber zu viel Wasser 
trinken, schon beim dritten, vierten Glas, da geht das Wasser rasch 
durch den Urin ab. Das nimmt sich nicht erst Zeit, durchs Herz ab- 



zugehen, sondern geht einfach, well der Mensch eine Wassersaule ist 
und es zu viel Wasser ware, durch den Urin ab. Denken Sie nur einmal 
nach, was da geschieht, wenn die Leute am Stammtisch zusammen- 
sitzen und es zum dritten, vierten Glas Bier kommt; da konnen Sie 
wahrnehmen, wie da der eine und der andere anfangt zu laufen! Dieses 
Bier, das hat sich gar nicht Zeit genommen, erst ins Herz hereinzu- 
gehen, das geht auf einem viel kiirzeren Wege wieder ab, weil der 
Mensch eben ein fliissiger Korper ist. 

So konnen wir sagen: Der Speisebrei, der jetzt besteht aus Zucker, 
fliissigem Eiweifi, Glyzerin, Sauren, Salzen, der geht in den ganzen 
Korper iiber; nur der dickste Teil geht durch die Adern in den ganzen 
Korper iiber. Und so kommt es, daft im Kopf Salze abgelagert werden, 
daft in alien ubrigen Organen Salze abgelagert werden, die gar nicht 
durchs Blut kommen, sondern die direkt in diese Organe hereingehen. 

Nun, sehen Sie, wenn die Geschichte so ware, daft der Mensch all 
das Salz, das in seinemKopfe abgelagert wird, immerfort spiiren wiirde, 
dann wiirde er fortwahrend Kopfschmerz haben. Zuviel Salze im Kopf 
gibt Kopfschmerzen. Sie haben vielleicht schon etwas gehort von der 
Migrane. Ich habe auch schon hier davon gesprochen. Man kann auf 
den verschiedenen Stufen verschieden iiber die Dinge aufklaren. Worin 
besteht denn die Migrane? Die Migrane besteht darinnen, daft diese 
ganze Verteilung nicht in Ordnung ist und im Kopf zu viel Salze, nam- 
lich Harnsauresalze abgelagert werden. Statt daft die Harnsauresalze 
mit dem Harn, mit dem Urin abgingen, bleiben sie im Kopf liegen bei 
der Migrane, weil die anderen Speisen nicht ordentlich zubereitet sind 
und die Salze zuriickhalten. Die Migrane ist namlich gar keine so noble 
Krankheit, obwohl gerade meistens noble Leute sie haben. Die Migrane 
ist eine recht unanstandige Krankheit. Dasjenige, was durch den Urin 
abgesondert werden sollte, das bleibt auf der rechten Seite des Kopfes 
liegen, weil es schon im Magen verdirbt. Also dasjenige, was im Orga- 
nismus auf der linken Seite wirkt, wirkt im Kopf auf der rechten Seite. 
Ich werde noch in der nachsten Zeit zeigen, warum das so ist. 

Und so kommt es dazu, daft die Geschichte, die eigentlich durch den 
Urin abgehen sollte, da auf der rechten Seite des Kopfes abgelagert 
wird. 



Wieviel Salz kann denn der Mensch ertragen? Nun ja, erinnern 
Sie sich daran, was ich Ihnen schon einmal gesagt habe. Erinnern Sie 
sich daran, dafi ich gesagt habe: Im Kopf ist ja das Gehirnwasser. 
Dadurch allein, dafi das Gehirnwasser drinnen ist, wird das Gehirn so 
leicht, dafi es iiberhaupt im Menschen bestehen kann. Denn ein Korper, 
der einfach in der Luft ist, der hat eine gewisse Schwere, ein gewisses 
Gewicht. Wenn wir ihn aber ins Wasser hereinsenken, da wird er leich- 
ter. Wenn das nicht der Fall ware, konnte man nicht schwimmen. Und 
sehen Sie, das Gehirn, das ware, wenn es nicht im Wasser ware, un- 
gefahr 1500 Gramm schwer. Ich habe Ihnen das schon einmal gesagt: 
Dadurch, daft das Gehirn im Wasser drinnen schwimmt, ist es nur 
20 Gramm schwer. So viel wird das leichter; 20 Gramm ist es nur 
schwer! Aber je mehr Salze im Gehirn abgelagert werden, desto schwe- 
rer wird es, weil die Salze eben das Gewicht des Gehirnes vergroEern. 
Es wird dann einfach zu schwer durch die Salze. 

Nun konnen wir also sagen: Beim Menschen ist das so, dafi dann, 
wenn er die Salze im Gehirn ablagert, das Salz leichter gemacht wird - 
das ganze Gehirn wird (durch den Auftrieb) leichter gemacht. Aber 
nun denken Sie einmal, wie das beim Menschen anders ist als beim Tier. 
Sie miissen sich ja denken, daft der Mensch seinen Kopf auf seinen 
ganzen Organismus draufgesetzt hat. Da hat der Kopf eine ordentliche 
Unterstutzungsflache. Beim Tier ist das anders. Da hat der Kopf nicht 
diese Unterstutzungsflache, sondern da ist der Kopf rein nach vorne 
gerichtet. Was folgt daraus? Nun, beim Menschen wird also der Druck, 
den der Kopf da ausiibt, obwohl er sehr leicht ist, vom Korper auf- 
gefangen. Beim Tier wird er nicht vom Korper aufgefangen. Sehen Sie, 
darinnen besteht der Hauptunterschied des Menschen vom Tier. 

Die Naturf orscher denken immer nach, wie sich der Mensch aus den 
Tieren heraus entwickelt hat. Es ist ja ganz gut, so nachzudenken, aber 
man kann den Menschen nicht so betrachten. Man kann nicht sagen: 
Das Tier hat so und so viele Knochen, und der Mensch hat ebenso viele 
Knochen. Der Affe hat so und so viele Knochen, der Mensch ebenso 
viele. Also ist das einerlei. — Das kann man nicht sagen. Beim Affen 
bleibt noch immer vorhanden, dafi der Kopf vorne iiberhangt, wenn er 
noch so aufrecht geht, selbst wenn er ein Orang-Utan oder ein Gorilla 



ist. Der Mensch ist schon so eingerichtet, dafi der Kopf aufsitzt auf dem 
Korper, dafi der ganze Druck aufgefangen wird vom Korper. Was ge- 
schieht da? 

Nun, da geschieht etwas hochst Eigentiimliches. Wir haben in uns 
Zucker, flUssiges Eiweifi, Glyzerin, Sauren, Salze. Die Salze, die gehen 
vom Bauch herauf in den Kopf und lagern sich dort ab, miissen wieder- 
um zuriick, gehen dann durch den Korper wieder zuriick, wenn sie zu 
viel sind. Aber in bezug auf die ubrigen Stoffe mufi noch etwas anderes 
geschehen im Korper. Und da geschieht, wahrend die Stoffe herauf- 
gehen, eine neue Umwandlung. Die geschieht einfach dadurch, dafi der 
Korper die Schwerkraft abfangt. Die Stoffe werden immer leichter und 
leichter, ein gewisser Teil; ein anderer Teil setzt sich als Dickliches ab. 
Wie sich, wenn man etwas auflost, auch ein Satz absetzt, so bildet sich 
gewissermafien uberall auf dem Weg vom Bauch zum Kopf Satz; die 
feinsten Teile, die gehen nach oben und werden durch diese leichter 
gemachte Schwerkraft umgewandelt. Und was entsteht da, wenn die 
leichtesten Teile der Speisen, die bis zum Kopfe gehen, umgewandelt 
werden? Da entsteht aus den Speisen eine Art von Phosphor. Und das 
ist tatsachlich der Fall, dafi aus den Speisen eine Art von Phosphor ent- 
steht, so dafi die Speisen nicht einfach in den Kopf hinaufdringen. Es 
dringt viel herauf, Zucker, Glyzerin und so weiter, alles mogliche 
dringt herauf, aber ein Teil davon wandelt sich,bevor er herauf kommt, 
in Phosphor um. 

Sehen Sie, meine Herren, so haben wir in unserem Kopfe Salze, die 
fast unverandert von der Aufienwelt aufgenommen sind, heraufge- 
drungen sind, und so haben wir in luftformig fein verteiltem Zustande, 
eigentlich viel feiner noch als die Luft, Phosphor ausgebreitet. Und das 
sind die hauptsachlichsten Stoffe, die im menschlichen Kopf sind: Salze 
und Phosphor. Die anderen sind nur da, damit er sich als Lebewesen 
erhalten kann. Aber die wichtigsten sind Salze und Phosphor. So dafi 
wir also sagen konnen: Im Kopfe des Menschen ist das Wichtigste Salz 
und Phosphor. 

Nun kann man auf eine Art, die ich Ihnen nachstens auch noch 
zeigen werde, nachweisen, dafi wenn der Mensch nicht eine richtige 
Menge Salz im Kopfe hat, er dann nicht ordentlich denken kann. Man 



mufi eine richtige Menge Salz im Kopf haben, damit man ordentlich 
denken kann. Salz im Kopf, das ist dasjenige, dessen man sich bedienen 
raufi zum Denken. Das kommt zu dem noch hinzu, was ich Ihnen schon 
fur das Denken gesagt habe. Die Dinge im Menschen sind eben kom- 
pliziert. 



Und wenn. wir einfach zu viel Phosphor in uns haben, das heifk, zu 
feurige Speisen essen, dann werden wir ein furchtbarer Zappelfritz, der 
alles angreifen will, der immer wollen will. Dadurch, dafi wir den 
Phosphor haben, ist der Wille da. Und wenn wir zu viel Phosphor 
haben, dann fangt dieser Wille an zu zappeln. Und wenn dann der 
Organismus so ist, daft er iiberhaupt durch seine ganze Zusammen- 
setzung zu viel Phosphor in den Kopf hinaufschickt, dann fangt der 
Mensch nicht nur an zu zappeln, und wie man sagt, nervos - das hat 
nichts mit den Nerven, sondern mit dem Phosphor zu tun - herum- 
zuzappeln in der Welt, sondern er fangt an zu toben und wird ein Ver- 
riickter, wird tobsuchtig. Wir miissen ein klein wenig Phosphor in uns 
haben, damit wir iiberhaupt wollen konnen. Aber wenn wir zu viel 
Phosphor machen in uns selber, dann werden wir verriickt. 

Nun, meine Herren, denken Sie jetzt einmal dariiber nach, wenn 
Ihnen jemand Salz gibt, wie Sie das zum Denken bringen. Ich mochte 
Ihnen schon raten, einmal ein Salzfafi zu nehmen und zu versuchen, 
das zum Denken zu bringen! Sie tun es fortwahrend; in Ihrem Kopfe 
drinnen tun Sie fortwahrend das, daft Sie das Salz verwenden zum 
Denken. Und dann, nicht wahr, bitte reiben Sie ein bifkhen Phosphor 
ab von einem Zundholz, losen Sie es ein wenig ab, dafi er ganz fein 
wird, dann ziinden Sie den unten an und versuchen Sie ihn zu ver- 
brennen. Der soli nun wollen! Verbrennen, das heifk, verfluchtigen tut 
er sich, aber wollen tut er nicht! Das aber machen Sie fortwahrend in 
sich. Sagen Sie sich jetzt nicht, dafi da etwas in Ihnen ist, was wahr- 
haftig gescheiter ist als unser dummer Kopf, der sehr wenig kann, der 



5 




Soil z : Denken 



nicht aus dem Salz ein Denkwesen machen kann, aus dem Phosphor 
ein Willenswesen? Und das ist dasjenige in uns, was man das Seelisch- 
Geistige nennen kann. Das ist das Lebende, Webende, was man das 
Seelisch-Geistige nennen kann. Das steckt da drinnen in uns, bedient 
sich des Salzes im Kopfe zum Denken, und bedient sich des Phosphors, 
der da heraufgeht wie ein Rauch, ganz fein, um zu wollen. 

So kommt man aus dem Korperlichen ins Seelische und ins Geistige 
herein, wenn man richtig betrachtet. Aber was tut die heutige Wissen- 
schaft? Die hort beim Bauch auf. Die weifi hochstens, daft im Bauch 
Zucker und so weiter entsteht; nachher verliert sie aber die Spuren, 
wenn die Dinge da weiter sich verteilen, weifi nichts davon, was da 
weiter geschieht. Deshalb kann die Wissenschaft vom Seelischen und 
Geistigen nichts erzahlen. Diese Wissenschaft raufi erganzt, erweitert 
werden. Man mufi nicht auf den Bauch sich beschranken und den Kopf 
nur hochstens aufgesetzt sich denken. Aber das sieht man ja nicht, wie 
da Salze und Phosphor heraufgekommen sind. Da glaubt man, es gehe 
im Kopfe auch so zu wie im Bauch. Die ganze Sache ist davon ab- 
hangig, dafi die heutige Wissenschaft nur etwas weifi iiber den Bauch, 
aber auch nur, dafi da etwas entsteht, aber nicht weifi, dafi die Leber 
wahrnimmt und die Nieren denken. Das weifi sie schon nicht. Das 
weifi sie aus dem Grunde nicht, weil sie auch vom Kopfe nichts weifi. 
Da sucht sie es naturlich gar nicht, halt dasjenige schon fiir vollstandig, 
was auf dem Seziertisch von der Leber liegt. Es ist aber nicht das Voll- 
standige, denn das hat die Seele verloren, als es in dem Zustande war, 
in dem man es aus dem Leibe einfach herausgeschnitten hat. Solange 
das Seelische drinnen ist, konnen Sie es nicht aus dem Leibe heraus- 
schneiden. Also Sie sehen, dafi eine ernsthafte Wissenschaft da weiter 
arbeiten mufi, wo die heutige Wissenschaft aufhoren mufi. Das ist das, 
worauf es ankommt. Deshalb haben wir hier das Goetheanum gebaut, 
damit die Wissenschaft nicht blofi iiber den Bauch etwas Unvollstan- 
diges weifi, sondern iiber den ganzen Korper etwas erklaren kann. 
Dann wird das auch eine wirkliche Wissenschaft sein. 



SIEBENTER VORTRAG 



Dornach, 20. September 1922 

Nun, meine Herren, damit wir den Menschen noch besser verstehen, 
als wir ihn bisher schon verstehen, wollen wir auch einmal die Erde 
betrachten. Wenn die Erdenmenschen zusammenkommen, so ist eigent- 
lich das Leben des Menschen als physisch-menschliches Leben nicht fur 
sich zu betrachten, sondern man mufi eben auch die Erde betrachten. 

Wenn man in das eine oder andere naturwissenschaftliche Museum 
kommt, da findet man manchmal Uberreste von Tieren und auch von 
Pflanzen, die vor langer Zeit auf der Erde gelebt haben. Sie konnen 
sich natiirlich vorstellen, daft da in der Erde alles mogliche vor sich 
geht, bis diese alten Tiere und Pflanzen zerstort sind in einer gewissen 
Beziehung. Sie konnen ja auch sich iiberlegen, daft zum Beispiel von 
gewissen Tieren in der Erde sich hochstens Knochen erhalten, dagegen 
die Muskeln, die Weichteile, Herz und andere Gefafie, verlorengehen, 
sehr bald zerstort werden, und daft man daher nur die versteinerten 
Knochen, das heiftt die Knochen, die sich nach dem Tode der Tiere mit 
anderem Material ausfiillen, also wenn Schlamm in sie hineinkommt, 
daft man daher nur diese Verhartungen, diese Versteinerungen finden 
kann, ausgraben kann, und daft man sich gewissermaften aus dem, was 
man da hat, was zumeist ja nur Knochenreste sind, sich eine Vorstel- 
lung machen mufi, wie es auf der Erde einmal ausgesehen hat. Denn Sie 
konnen sich ja auch denken, daft die heutigen Zustande auf der Erde in 
der Zeit nicht gewesen sein konnen, in der ganz andere Tiere und Pflan- 
zen gelebt haben, denn sonst waren die heutigen nicht entstanden. Die 
Erde mufi also einmal ganz anders ausgesehen haben. Das werden Sie 
gerade aus dem entnehmen konnen, was ich Ihnen heute erzahlen werde. 

Sehen Sie, man hat von einem Naturforscher, Cuvier, der in der 
ersten Halfte des 19. Jahrhunderts gelebt hat, um 1810 herum, gesagt, 
dafi wenn er einen Knochen bekommt, er sich eine Vorstellung machen 
kann, wie das ganze Tier dann ausgesehen hat. Wenn man wirklich die 
Form der Knochen studiert, wenn man zum Beispiel nur einen einzigen 
Unterarmknochen hat, kann man sich eine Vorstellung bilden, wie das 



Ganze ausgesehen haben mulS, denn jede einzelne Knochenform andert 
sich sofort, wenn sich der ganze Korper andert. Also auch aus den ein- 
zelnen Knochen kann man f eststellen, wie der ganze Korper ausgesehen 
hat. Abgesehen davon, dafi wir ja manchmal ganze Skelette haben von 
Tieren, die einmal auf Erden gelebt haben, haben wir solche einzelnen 
Knochen, und man kann sich daraus eine Vorstellung davon machen, 
wie es einmal auf der Erde ausgesehen haben mufi. 

Ich werde jetzt damit anfangen, Ihnen einen Zustand der Erde zu 
schildern, der in sehr friiher Zeit, vor vielen Tausenden von Jahren ein- 
mal auf der Erde war. Diesen Zustand will ich Ihnen einmal erzahlend 
schildern. Wir werden dann spater die Einzelheiten genauer kennen- 
lernen, aber jetzt will ich einfach erzahlen, wie es einmal ausgeschaut 
hat auf der Erde, auf der wir heute herumgehen. Im heutigen Zustand 
kennen Sie sie ja alle. 




Das war so. Denken Sie sich einmal die Erde, ich will ein Stuckchen 
von ihr hier zeichnen (siehe Zeichnung); aber diese Erde, die hat noch 
nicht solche festen Gebirge gehabt wie heute, sondern diese Erde war 
eigentlich so, wie es an der auflersten Oberflache der Erde ist, wenn es 
heutzutage wochenlang geregnet hat, ja, noch viel schlammiger. Also 



es war auf der Oberflache der Erde nicht so fest, wie es heute ist, 
sondern es war viel schlammiger. Hatte es dazumal schon Menschen 
gegeben von der heutigen Art, so hatten diese Menschen entweder 
schwimmen miissen - da waren sie aber fortwahrend schlammig ge- 
wesen, also schrecklich dreckig gewesen -, oder sie hatten fortwahrend 
versinken miissen. Also Menschen in der heutigen Gestalt hat es dazu- 
mal noch nicht gegeben. Es war eine schlammige, ganz schlammige 
Erde, und allerlei in der schlammigen Erde da drinnen. 

Wenn Sie heute da hinausgehen und einen Stein nehmen, so einen 
Stein, wie ihn Herr Erbsmehl einmal gebracht hat, oder wenn Sie noch 
tiefer in die Schweiz hineingehen und noch hartere Steine nehmen, so 
miissen Sie sich vorstellen: die waren damals alle in der schlammigen 
Erde drinnen aufgelost, wie wenn Sie Salz in Wasser auflosen. Denn in 
dieser schlammigen Erde waren allerlei Sauren, die alles mogliche auf- 
losten. Also kurz, es war ein ganz merkwiirdiger Schlamm, aus dem 
dieser Erdboden bestand. Und iiber diesem Erdboden, da war nicht 
schon eine Luft, wie die heutige ist, nicht eine Luft, in der blofi Sauer- 
stoff und Stickstoff enthalten war, sondern in der allerlei Sauren in 
gasformigem Zustande waren. Sogar Schwefelsaure war darin, Schwe- 
felsaurediinste und Salpetersauredunste; das war alles in dieser Luft 
drinnen. Daraus konnen Sie auch schon entnehmen, dafi der Mensch in 
seiner heutigen Gestalt da nicht hatte leben konnen. Naturlich waren 
diese Diinste schwach, aber sie waren in dieser Luft drinnen. Und diese 
Luft hat aufierdem noch die Eigentiimlichkeit gehabt, dafi sie ungefahr 
so war, wie wenn Sie heute in einen alten Backofen hineinschliipfen 
wiirden und da werde dann gerade die Warme zum Brotbacken her- 
gerichtet, die Sie um sich herum fiihlen. Es ware also etwas ungemiit- 
lich fur den heutigen Menschen gewesen, wenn er in dieser Luft drinnen 
gewesen ware, in der es aufierdem nach Schwefelsaure gerochen hat und 
in der es recht warmlich war. 

Nun, da driiber aber war noch eine andere Luft. Die war noch etwas 
warmer als diejenige, die da drunter war, und die hat Wolken gebildet. 
Diese Wolken, die da gebildet worden sind, die haben fortwahrend, 
weil sie auch allerlei, Schwefelsaure und Salpetersaure und allerlei 
andere Stoffe in sich enthielten, Blitze erzeugt und riesigen Donner. 



So dafi es da drinnen fortwahrend von riesigen Blitzen gezuckt hat. 
Das war ungefahr einmal die Umgebung der Erde. 

Ich mochte, damit wir Namen haben, das, was da oben war, weil es 
eine furchtbar warme Luft war, Feuerluft nennen. Sie war nicht etwa 
gliihend - das ist nur eine falsche Vorstellung der heutigen Wissen- 
schaft -, gliihend war sie nicht, sie war nicht warmer als ein solcher 
Backofen. Solche Feuertemperatur war da oben; die wurde dann etwas 
kiihler, je weiter man herunterkam. Also diese Luft da oben mochte ich 
eben Feuerluft nennen, und das, was da unten war, Erdschlamm. 

Da hat man ungefahr eine Vorstellung von dem, wie es einmal auf 
der Erde war. Unten war ein grunlich-braunlicher Schlamm, der 
manchmal so dick geworden ist wie ein Pferdehuf, dann aber wiederum 
hat er sich aufgelost. Was heute Winter ist, das war dazumal das, dafi 
der Schlamm eben so dick geworden ist, fast wie ein Pferdehuf - er ver- 
festigte sich. Und im Sommer, also wenn die Sonne von aufien geschie- 
nen hat, hat sich das wiederum aufgelost und ist ein fliissiger Schlamm 
geworden. Und oben war eben diese warme Luft, die alles mogliche 
enthalten hat, was spater her ausgef alien ist. Erst spater hat sich die Luft 
gereinigt. 

Nun, aus dem Zustand ist ein anderer entstanden, in dem ganz merk- 
wiirdige Tiere gelebt haben. Also sehen Sie, da oben in der Feuerluft, 
da haben allerlei Tiere gelebt. Die haben so ausgeschaut, daft man sagen 
kann: Sie haben so einen ganz beschuppten Schwanz gehabt, der aber 
flach war, so dafi der Schwanz ihnen gut zum Fliegen in der Feuerluft 
diente. Und dann hatten sie solche Flugel wie die Fledermaus, hatten 
auch solch einen Kopf. Und da flogen sie, als die Feuerluft nicht mehr 
solche ganz schadliche Diinste in sich gehabt hat, da oben in der Luft 
herum. Gerade diese Here waren merkwtirdig geeignet dazu - natiirlich, 
wenn die Stiirme ganz besonders groft geworden sind, wenn es furcht- 
bar gedonnert und geblitzt hat, dann wurde es ihnen auch ungemiitlich; 
aber wenn die Sache sanfter geworden ist, wenn nur so ein bifichen 
Knistern da oben war und so ein leises Wetterleuchten, da lebten sie 
gerne in diesem Wetterleuchten, in diesem leisen Blitzen drinnen. Da 
flogen sie herum, und sie waren sogar geeignet, so etwas wie eine elek- 
trische Ausstromung um sich zu verbreiten und weiter auf die Erde 



herunterzuschicken. So daft dabei, hatte ein Mensch da unten sein kon- 
nen, er sogar wahrgenommen hatte an diesen elektrischen Ausstrahlun- 
gen: da ist wiederum so ein Vogelschwarm oben. Es waren kleine 
Drachenvogel, welche elektrische Ausstrahlungen um sich verbreiteten 
und eigentlich in der Feuerluft da drinnen ihr Dasein hatten. 

Sehen Sie, diese Vogel, diese Drachenvogel, die da waren, die waren 
wirklich ganz ausgezeichnet fein organisiert. Ganz ausgezeichnet feine 
Sinne hatten sie. Die Adler, die Geier, die aus ihnen spater entstanden 
sind, nachdem sich diese Kerle da umgewandelt haben, die Adler und 
die Geier, die haben sich von dem, was diese alten Kerle da hatten, nur 
die starken Augen bewahrt. Aber diese Kerle spiirten alles, namentlich 
mit ihren fledermausartigen Fliigeln, die furchtbar empfindlich waren, 
fast so empfindlich wie unsere Augen. Mit diesen Fliigeln konnten sie 
wahrnehmen; da verspiirten sie alles, was da vorging. Wenn also zum 
Beispiel der Mond schien, da hatten sie ein solches Wohlgefiihl in ihren 
Fliigeln, bewegten sie die Fliigel; so wie der Hund, wenn er Freude hat, 
mit dem Schwanz wedelt, so bewegten diese Kerle da die Fliigel. Wohlig 
war es ihnen im Mondschein. Da zogen sie so herum, und da gefiel es 
ihnen ganz besonders, so kleine Feuerwolken um sich zu machen, wie es 
sich heute nur die Leuchtkaferchen im Grase bewahrt haben. Wenn der 
Mond schien, so waren die da oben wie leuchtende Wolken. Und wenn 
es dazumal Menschen gegeben hatte, hatte man solche Schwarme von 
leuchtenden Kugeln und leuchtenden Wolkchen da oben gesehen. 

Und wenn die Sonne schien - ja, damals war es so, daft ihnen dann 
die Lust vergangen ist, um sich Leuchtkorper zu verbreiten! Da haben 
sie sich mehr in sich zusammengezogen, und da haben sie dann eigent- 
lich dasjenige, was sie so aus der Luft aufgenommen haben - es waren in 
der Luft noch alle die Stoffe aufgelost, die sie aufsogen -, verarbeitet. 
Sie ernahrten sich durch Aufsaugen. Das haben sie dann verdaut in der 
Sonne. Das waren eben merkwiirdige Kerle. Und die waren einmal 
wirklich in der Feuerluft der Erde vorhanden. 

Wenn man nun noch weiter herunterkommt, da wo die Erde mit 
ihrem Erdschlamm schon begann, da f inden sich nun schon Tiere, wel- 
che sich dadurch auszeichnen, daft sie eine riesenhafte Grofte haben, 
riesenhaft waren . . . (Liicke im Text), wenn man diese Tiere betrachtet, 



die da einmal unmittelbar auf der Erde so ein Leben gefiihrt haben, das 
halb schwimmend und halb watend im Schlamm war. Von diesen Tie- 
ren sind nun schon Oberreste vorhanden, die auch in naturwissenschaft- 
lichen Museen zu sehen sind. Man nennt diese Riesenkerle, die da ein- 
mal vorhanden waren, Ichthyosaurier, Fischsaurier. Diese Ichthyo- 
saurier, das waren nun Tiere, von denen man sagen kann, daft sie schon 
auf der Erde gelebt haben. Diese Ichthyosaurier schauten ganz beson- 
ders merkwiirdig aus. Sie hatten so eine Art Kopf (es wird gezeichnet) Tafel 6 
wie ein Delphin, aber die Schnauze war nicht so hart - also einen Del- 
phinkopf. Dann hatten sie einen Korper wie eine riesengrofte, aber sehr 
feine Eidechse, mit furchtbar dicken Schuppen. Und im Kopf drinnen, 
da hatten sie riesige Zahne wie ein Krokodil. Krokodilszahne hatten sie, 
wie uberhaupt diese merkwiirdigen Kerle alle diese merkwiirdigen drei- 
eckigen Krokodilszahne gehabt haben. Dann hatten sie so etwas wie 
"Walfischflossen - sie bewegten sich ja halb schwimmend -; die waren 
sehr weich, mit denen konnten sie auch im Schlamm so dahinwatscheln, 
dahinwaten. 

Also sie hatten so etwas wie Walfischflossen, einen Riesenkorper, 
dann einen Kopf wie ein Delphin, mit einer spitzen Schnauze nach 
vorne, Krokodilszahne. Und das Merkwiirdigste war, daft sie riesige 
Augen hatten, die nun leuchteten. Elektrische Punkte da in den Wolken 
hatte man gesehen. Die leuchtenden Vogel flogen namentlich in der 
Mondnacht. Und wenn die Dammerung kam, so hatte man, wenn man 
es hatte sehen konnen, die ja fur den heutigen Menschen hochst un- 
angenehme Begegnung machen konnen mit einem Riesenlicht, das 
einem entgegengekommen ware, mit einem Korper, grofter als die heu- 
tigen Walfische, mit Flossen, die in diesem Schlammwasser weiter- 
schwammen und manchmal sich auch aufstellten, wenn es harter war. 
So hart wie die Hufe von Pferden wurde manchmal dieses Schlamm- 
wasser. Da konnte man sich daraufstellen. Da bewegten sie sich so wei- 
ter: da bildeten sie sich diese Flossen zu Handen um; die waren so inner- 
lich beweglich. Da iiberpatschten sie diese hornartigen Schichten, die 
wie Wiisten waren, schwammen da wieder driiber, wo es weicher war. 
Dann tappten sie wieder dariiber, und nachher, wenn wieder ein Wei- 
cheres kam, bewegten sie sich schwimmend fort. Und wenn damals 



("Inm/rinht Rurlnlf Steiner Nar hla-ii.Vei wa I ti inn Riir-h - ^47 Qaita- 



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irgcndein Mensch mit irgendeinem Boot gefahren ware - gehen hatte er 
nicht konnen, das ware nicht moglich gewesen -, da hatte er einem 
solchen Riesentier begegnen konnen, auf das er mit einer Leiter hatte 
hinaufsteigen konnen. Es war, wie wenn man heute auf einen Berg 
hinaufsteigt. Ein ganzer Berg von Vieh hatte einem begegnen konnen! 
Es war eben da einmal etwas ganz anderes. 

Das kann man alles erkennen; so wie der Cuvier aus einem Knochen 
ein ganzes Tier erkannt hat, so kann man heute erkennen, wie diese 
Ichthyosaurier, von denen ja Oberreste noch vorhanden sind, selber 
dazumal gelebt haben, und was sie dazumal mit ihren Riesenflossen 
machen konnten, daft sie solch ein riesiges Auge hatten, das wie cine 
Riesenlaterne schon von weitem geglanzt hat, so daft man hatte aus- 
weichen konnen. Also die bewegten sich so auf und iiber der Schlamm- 
erde driiber und in der Schlammerde. 

Und noch etwas tiefer, so daft sie mit einer wirklichen Lust in dem 
Schlamm drinnen wateten und badeten und immer furchtbar dreckig 
ausschauten, so griinlich-braunlich dreckig, waren andere Tiere. Diese 
anderen Tiere, die streckten manchmal nur ihren Riesenkopf so heraus 
in die weichere Schlammerde, aber sonst watschelten sie drinnen und 
verlieften sich namentlich darauf, daft der Schlamm etwas harter ge- 
worden war; da lagen sie wie faule Schweine die groftte Zeit. Nur 
manchmal kamen sie an die Oberflache, streckten ihre Kopfe heraus. 
Und da war etwas ganz Merkwurdiges. 

Diese anderen Tiere, diese da mit dem Riesenauge, die nennt man 
heute in den Uberresten Ichthyosaurier. Aber dann waren diejenigen, 
die etwas mehr an die Erde gehalten waren, die Plesiosaurier. Die Ple- 
siosaurier hatten auch ungefahr einen bauchartigen, walfischartigen 
Korper, hatten Kopfe wie Eidechsen, also eine Art Waif ischkorper und 
Kopfe wie Eidechsen; die Augen aber, die hatten sie schon mehr an den 
Seiten, wahrenddem die Ichthyosaurier die Augen, die riesig leuchteten, 
ganz vorne hatten. Die Plesiosaurier hatten einen Waif ischkorper, der 
aber auch ganz mit Schuppen bedeckt war. Und das Merkwiirdige war, 
weil sie schon fauler waren, schon mehr auf das, was da wie etwas 
festere Riesenboote in der schlammigen Erde schwamm, eigentlich 
immer sich niederlieften, so hatten sie schon vier Beine, so plumpe vier 



Beine, mit denen sie sogar schon ganz bequem gehen konnten. Sie hat- 
ten nicht mehr Flossen wie die Ichthyosaurier, auf die sie sich aufstiitz- 
ten. Die Ichthyosaurier stiitzten sich auf die Flossen, wenn sie auf so 
eine harte Sache kamen, und wo sie sich aufstiitzten, wurden die Flossen 
breit; also sie machten sie selber zu Fiiften. Aber diese Plesiosaurier, die 
hatten handartige Fiifte. Und aus den Uberresten sieht man, daft sie 
furchtbar starke Rippen gehabt haben miissen. 

Das war so der Zustand, wie es auf der Erde einmal ausgesehen hat, 
wie da unten die Plesiosaurier ein faulesLeben fiihrten, wie die Ichthyo- 
saurier auf der Erde herumschwammen und flogen - denn die Tiere mit 
den Flossen konnten auch ganz niedrig fliegen - und dariiber diese in 
der Dammerung und im Mond immer aufglanzenden Leuchtewolken, 
die eigentlich Drachenvogelsterne waren. So also schaute es aus. 

Nun, die Plesiosaurier waren faule Kerle. Aber wissen Sie, das hatte 
einen Grund. Die Erde war dazumal selber fauler als heute. Heute dreht 
sich die Erde in vierundzwanzig Stunden um ihre Achse herum. Dazu- 
mal brauchte sie viel langer dazu; sie selber war fauler, die Erde. Sie 
bewegte sich langsamer um sich selber, und dadurch kam iiberhaupt 
alles andere. Denn daft heute die Luft so rein ist, das hangt ganz davon 
ab, daft unsere Erde in vierundzwanzig Stunden sich um sich selber 
dreht, daft sie also fleiftiger geworden ist im Laufe der Zeit. 

Am ungemutlichsten - wenn Sie das vom heutigen Menschenstand- 
punkte aus beurteilen -, am ungemutlichsten miiftte es eigentlich diesen 
Drachenvogeln geworden sein dazumal, denn denen ging es schlecht. 
Sie faftten das nicht auf als schlechtgehend, sondern sie hatten eine 
Riesenlust und Begierde zu dem, was Sie eigentlich, wenn Sie es heute 
erzahlt horen, so auffassen konnten, als ob es diesen Drachenvogeln 
sehr schlecht gegangen ware. Das war namlich so. Denken Sie sich den 
Ichthyosaurus mit seinem Riesenauge durch die sehr warme Luft dahin- 
krabbelnd, fliegend, schwimmend, alles mogliche; aber das Auge, das 
leuchtete sehr stark. Dieses leuchtende Auge, das zog diese Vogel da 
oben an, wie eine Lampe eine Mucke anzieht. Sie haben da im kleinen 
dieselbe Erscheinung. Wenn Sie eine Lampe anziinden und eine Mucke 
im Zimmer ist, fliegt sie hin und verbrennt sich gleich. Nun, diese Vogel 
da oben, die wurden ganz hypnotisiert durch dieses Riesenauge der 



Ichthyosaurier, und sie stiirzten sich herunter, und der Ichthyosaurus 
konnte sie fressen. So daft die Ichthyosaurier von dem lebten, was da 
iiber ihnen in der Luft herumschwirrte. 

Wenn ein Mensch dazumal auf dieser kuriosen Erde hatte herum- 
gehen konnen, hatte er gesagt: Das sind Riesenviecher und die fressen 
Feuer. - Denn so hat es ausgeschaut, richtig so hat es ausgeschaut, wie 
wenn da Riesenviecher herumgesaust, herumgeflogen waren und Feuer 
gefressen hatten, das ihnen aus der Luft zugeflogen ware. 

Und diese Plesiosaurier - ich sagte Ihnen, die streckten den Kopf so 
hervor; da leuchteten die Augen auch noch, und wenn da ein Vogel im 
Heruntersausen war, so kriegten die auch noch etwas ab. 

Also es stimmt alles zusammen, wenn man die Wirklichkeit nimmt. 
So ein Hund, den Sie recht schlecht fiittern, der zeigt Ihnen auch die 
starken Rippen. Die Ichthyosaurier fraflen den Plesiosauriern schon 
alles Feuer weg; die Plesiosaurier kriegten nur noch die schlechtesten 
Feuervogel und hatten daher solche stark hervortretenden Rippen. Das 
kann man heute noch sehen, dafi diese Plesiosaurier schlecht genahrt 
worden sind in uralten Zeiten. 

Aber ich sagte, Sie werden denken: Den Vogeln da oben, diesen 
schonen, leuchtenden Vogeln — denn sie waren schon — , diesen schonen 
leuchtenden Vogeln, denen erging es ungemiitlich. Aber die hatten das 
gerade gern, und sie hatten ein Wohlgefiihl, wenn sie sich in den Rachen 
eines Ichthyosaurus stiirzen konnten. Das haben sie als ihre Seligkeit 
betrachtet. Geradeso wie die Tiirken ins Paradies wollten, so haben 
diese Vogel es als ihre Seligkeit betrachtet, sich in den Rachen eines 
Ichthyosaurus zu stiirzen. 

. Aber wirklich, meine Herren, ich mochte sagen, fast wurde es un- 
gemutlicher dem Feuerfresser selber - der mufite die fressen, weil er das 
zur Nahrung brauchte -, aber fast wurde es ungemiitlicher dem Feuer- 
fresser selber als den anderen, die da in seinen Bauch kamen. Die Feuer- 
vogel, die stiirzten sich hinein wie in ihre Seligkeit; aber dem Ichthyo- 
saurus, dem wurde es ganz ungemiitlich da drinnen in seinem Bauch, 
weil sich da drinnen allerlei Elektrizitat entwickelte. Und unter dem 
Einflufi dieser Feuerfresserei und dieser Elektrizitat, die sich in dem 
Riesenmagen entwickelte, der fast den ganzen Ichthyosaurus ausfiillte 



- er hatte fast gar nichts anderes an der Oberflache, hauptsachlich war 
er ausgefullt von einem Riesenmagen -, wurden die Ichthyosaurier 
nach und nach schwach. Es dauerte ja recht lange - auch die Fischnatur 
kann viel aushalten; ich habe von der Menschennatur neulich gesagt, 
dafi sie viel aushalten kann, aber auch die Fischnatur, namentlich ein 
Ichthyosaurus kann natiirlich noch mehr aushalten -, aber nach und 
nach wurden die Ichthyosaurier immer mehr und mehr schwach. Sie 
kamen in allerlei Schwachezustandehinein. Ihre Augen leuchteten nicht 
mehr so stark. Die Vogel wurden nicht mehr so stark angezogen. Und 
das Fressen tat ihnen immer mehr und mehr weh. Immer mehr und 
mehr Bauchweh bekamen diese Ichthyosaurier. Was bedeutete denn 
das? In der Welt bedeutet alles etwas. 

Sehen Sie, wahrend da diese Ichthyosaurier auf der Erde sich ent- 
wickelten und dieses Feuer frafien und in ihrem Magen drinnen dieses 
Feuer verdaut wurde, da gestaltete sich dieser Magen um; er war 
schlieJKlich kein richtiger Magen mehr. Und zum Schlusse kam es dahin, 
dafi diese ganzen Ichthyosaurier selber eine andere Gestalt annahmen. 
Sie verwandelten sich. 

Die heutige Naturwissenschaft sagt Ihnen nur: Es hat einmal andere 
Tiere gegeben, und die haben sich verwandelt. Das ist nicht besser, als 
wenn man dem Menschen sagt: Es ist einmal ein Herrgott herunter- 
gekommen und hat ein Stuck Erde genommen und hat den Adam 
daraus geformt. - Man kann das eine so gut verstehen wie das andere. 

Aber das, was ich Ihnen jetzt vermittle, konnen Sie gut verstehen. 
Denn dadurch, dafi die Ichthyosaurier und die Plesiosaurier die Dra- 
chenvogel gefressen haben, dadurch hat sich ihr ganzes Innere um- 
gestaltet und sie sind zu anderen Tieren geworden. Das war auch schon 
dadurch der Fall, dafi die Erde immer schneller und schneller sich um- 
gedreht hat - nicht so schnell wie heute, aber schneller als vorher, wo 
sie ganz faul war — und dafi aufierdem die Luft immer mehr und mehr 
die fur die spateren Wesen schadlichen Stoffe herunter hat fallen las- 
sen, die dann mit der Erde vereinigt wurden. Namentlich alles Schwef- 
lige wurde mit der Erde vereinigt. Die Luft wurde immer reiner, nicht 
so wie die heutige, aber schon wesentlich reiner. Sie wurde nur in dem 
spateren Zustand eine Art von Wasserluft, immer von dichten Wasser- 



dampfen, von Nebeldampfen durchzogen. Friiher war die Luft eigent- 
lich viel reiner, weil sie warmer war. Spater kiihlte sie sich ab und war 
furchtbar nebelig. Es war eigentlich ein Nebel iiber der Erde, der gar 
niemals recht aufhorte, auch unter dem Einflufl der Sonne nicht ganz 
aufhorte; es war eine neblige Schichte iiber der Erde. Der Schlamm 
wurde allmahlich auch etwas dicker, und es fingen schon die spateren 
Steine an, sich herauszukristallisieren. Der Schlamm wurde dicker, aber 
er war noch da. Unten war noch so dickliches Zeug, und dazwischen 
immer dunnliches Zeug, braunlich-griinliches schlammiges Zeug, und 
dariiber war eine Nebelluft. 

In dieser Nebelluft, da zeigten sich riesige Pflanzen, ganz riesige 
Pflanzen. Wenn Sie in den Wald gehen und heute die Farnkrauter an- 
schauen, so sind sie kleinwinzig heute. Aber vor vielen, vielen tausend 
Jahren waren, ahnlich wie diese Farnkrauter, riesige Pflanzen da, so 
schwach wurzelnde, in der schwammig-schlammigen Erde drinnen, 
Pflanzen, die hoch herausragten und eine Art von Waldern bildeten 
dort, wo der Erdschlamm schon etwas dicker geworden war. So dafi 
dann spater ein Zustand der Erde kam, der also schon etwas dicker 
war. Da waren schon allerlei Gesteine - die waren fest geworden, nicht 
sehr stark, etwas grober, wie Wachs - und dazwischen war iiberall 
Schlamm, und da heraus wuchsen nun diese riesigen Farnbaume, diese 
Riesenbaume. Wo unten recht viel Gestein war, entstanden solche 
Riesenwalder mit Riesenbaumen. Dann war wieder frei - dann war es 
wieder anders. Mit diesen Riesenwaldern mit riesigen Baumen, die da 
in der Natur entstanden waren fur die Erde, da hatte der Ichthyosaurus 
und der Plesiosaurus nicht mehr viel anfangen konnen. Da war es 
schon fur den Plesiosaurus da unten zu hart, und obwohl es noch ge- 
niigend weich war, war es fiir den Ichthyosaurus zu hart und der 
Plesiosaurus ware noch mehr dreckig geworden: es hatte sich eine 
Kruste gebildet um die Schuppen. Sie hatten nicht mehr leben konnen. 
Aber all diese Tiere hatten sich schon durch ihr Feuerfressen verdorben. 
Wenn Sie zu dieser spateren Erde gekommen waren - aber das Spatere 
bedeutet immer Tausende und Tausende von Jahren -, ja, da sah es schon 
ganz anders aus. Da waren im Schlamm drinnen (es wird gezcichnet) 
solche Tiere, die auch in Oberresten erhalten sind, so dafi wir uns eine 



Vorstellung machen konnen, wie diese VIecher ausgeschaut haben. Diese 
Viecher, die hatten vor alien Dingen erstens auch einen Riesenbauch 
und einen Riesenmagen, aber sie hatten einen Kopf, der so ausschaut 
ungefahr, aber noch viel plumper, wie der Kopf von einem heutigen 
Seehund. Die Augen waren schon schwarzlich geworden, wahrend die 
Augen der friiheren Tiere leuchteten. Sie hatten schon vier Fiifte, recht 
plumpe Fiifie. Aber aufierdem waren diese Kerle mit ganz f einen Haaren 
ganz bedeckt, und die Fiifte, die waren eigentlich so wie plumpe Hande. 

Und diese Viecher, die fuhrten in dieser Erde ein merkwiirdiges 
Leben. Sie waren zu gewissen Zeiten auf der festen Erde, aber tief 
drunten im Schlamm drinnen, und in diesem Schlamm, da bewegten 
sie sich. Und hauptsachlich bewegten sich ihre Briiste. Sie hatten nam- 
lich Riesenbriiste, die halb Lungen und halb Briiste waren. Es war, wie 
wenn die Lungen noch ganz nach aufien waren. Zu gewissen Zeiten 
kamen sie und watschelten und schwammen heran an diese Walder und 
frafien diese Farnbaume auf. Also vom Feuerfresser sind die Tiere zum 
Pflanzenfresser ubergegangen. Es gab diese Tiere hier (es wird gezeich- Tafel 
net), die so ganz bedeckt waren wie von Frauenhaaren, die Riesen- 
kopfe hatten, Kopfe wie plumpe Seehundkopfe. Wenn man damals 
spazieren gegangen ware, hatte man diese Tiere sehen konnen, wie sie 
sonst immer da unten lebten, unter dem Wasser atmeten, immer hervor- 
kamen, sich an die Ufer setzten, an die Walder gingen. Da frafien sie 
mit ihrem Riesenmaul recht viel von dem, was man heute als Nahrung 
nicht eben zu einer Mahlzeit hatte auffressen konnen; sie frafien haupt- 
sachlich viel weg von diesen Riesenwaldern. Das sind die Tiere, die, wie 
gesagt, heute durchaus noch erhalten sind und die man heute Seekiihe 
nennt . . . (Lucke im Text). 

Und wodurch sind denn diese Tiere eigentlich entstanden? Ja, sehen 
Sie, dadurch, daft die friiheren Tiere die Lufttiere gefressen haben. Und 
durch die elektrischen Krafte hat sich ihr Korper umgestaltet. Nicht 
gerade aus den Ichthyosauriern, die ich beschrieben habe, aber aus ahn- 
lichen Tieren sind die Seekiihe entstanden. Dasjenige, was sie friiher 
gefressen haben, ist zu ihrer aufieren Gestalt geworden. Das, was sie 
innerlich in sich aufgenommen haben, ist ihre aufiere Gestalt geworden. 
Durchs Fressen haben sich diese Tiere verwandelt. 



Das mufi man namlich nun dazu sagen zu der heutigen Naturwissen- 
schaft. Sehen Sie, friiher war ja alles auch viel weicher auf der Erde, 
als es heute ist; diese Tiere haben die Formen angenommen, die sich in 
ihnen gebildet haben durch das, was sie von den Lufttieren gefressen 
haben. 

Und diese Drachenvogel, die haben ihrerseits wiederum ihre Form 
andern miissen, weil ja in der Luft auch nicht mehr diejenigen Stoffe 
waren wie friiher. Sie sind naher zur Erde heruntergefallen, und da sind 
allmahlich die spateren Vogel entstanden. 

Aber unten ist durch Fressen immer eine andere Gestalt herausge- 
kommen. So zum Beispiel ist aus solch einem Tier, wie ja dieser Plesio- 
saurus war, ein Tier entstanden, das hat vier Beine gehabt, so wie vier 
riesige Saulen (es wird gezeichnet), allerdings darauf auch einen Riesen- 
bauch, einen Kopf, der auch so ahnlich war wie ein Seehundskopf, 
plump, einen Schwanz hat es gehabt. Es war auch noch ein Riesentier. 
Es war wirklich sehr groft. Wenn Sie mit Ihren Fiiften auf einen ganz 
kleinen Zaunkonig treten, so ist er natiirlich unten drunter. Dieses Tier 
hat ruhig auf einen Strauft drauftreten konnen, so groE ist es gewesen, 
den hat es einfach tottreten konnen. Die grolken Tiere von heute hatten 
sich zu diesen Tieren verhalten dazumal wie jetzt die Mause zu den 
grofteren Tieren. Von diesem Tier sind auch Uberreste da. Man nennt 
dieses Tier Megatherium. 

Diese Tiere bewegten sich auch entsprechend ihrer Konstitution 
langsam, wie man eben auch auf vier Saulen weiterkommt, und sie 
nahrten sich von dem, was ihnen eben jetzt, nachdem sich die Sache in 
der Luft geandert hatte, ins Maul flog, ins riesige Maul, wo auch noch 
Krokodilszahne, aber etwas schwachere, drinnen waren. Manche Tiere 
haben sich noch erhalten, so daft da noch so saurierahnliche Tiere her- 
umkrabbelten wie Krokodile. Aber diese Megatherien, die haben ein- 
fach diese totgetreten, wenn sie kamen. Ja, so ist es einmal zugegangen! 

Und jetzt erst, nachdem dieses alles geschehen war, kam das, daft 
sich die Luft von diesen Wasserdampfen — denn das hat alles in Wasser- 
dampfen drinnen gelebt - allmahlich befreite, und die Zeit kam, wo 
eigentlich erst die Sonne auf die Erde richtig wirken konnte, denn die 
Sonnenstrahlen wurden ja friiher aufgehalten, weil die Luft wie ein 



Meer war, wenn auch wie ein diinnes, aber sie war wie ein Meer; da 
wurden die Sonnenstrahlen aufgehalten. So daft eigentlich erst in der 
spateren Zeit die Sonnenstrahlen auf die Erde herunterkamen. 

Ja, meine Herren, Sie miissen sich diese Geschichte auch noch ein 
biftchen innerlich anschauen! Diese Tiere, die da unten waren, Ichthyo- 
saurier, Plesiosaurier - Seekiihe spater, Megatherien - na, das waren 
ziemlich dumme Tiere. Der Ichthyosaurus war noch der gescheiteste, 
aber die anderen waren eigentlich wirklich schweinedumm. Aber das 
kann man nicht sagen von diesen Drachenvogeln, die da oben waren. 
Ich habe Ihnen schon gesagt: die hatten eine furchtbar feine Empfin- 
dung. Sie konnen sagen: Wir Menschen sind gescheit, wir wurden nicht 
wie diese Drachenvogel den Ichthyosauriern in den Rachen hinein- 
fliegen. - Aber ich glaube das namlich nicht. Wenn Sie in der Zeit 
gelebt hatten als Drachenvogel, dann waren Sie auch einmal hinein- 
geflogen. Aber intelligent waren diese Vogel. Und diese Vogel, die hat- 
ten namentlich erstens ein sehr feines Empfinden gegen Mond und 
Sonne, so wie unser Auge, und so empfanden diese Drachenvogel mit 
ihrem ganzen Korper, namentlich mit ihren Fliigeln, die - nur im klei- 
nen - heutzutage nachgeahmt sind in den Fledermausfliigeln, die ja 
auch aufterordentlich empfindlich sind. 

Nun, diese Tiere empfanden Sonne und Mond; den Mond so, wie ich 
schon erzahlt habe, daft sie um sich herum so etwas wie eine elektro- 
magnetische Hiille machten, die leuchtend war. Und wenn der Mond 
so auf diese Feuerluft drauf schien, dann fingen die auch an, mit ihrer 
eigenen Leuchtkraft so wie ein Johanniswiirmchen in der Luft zu er- 
glanzen, zu schimmern, zu flimmern. Aber das spurten sie alles. Und 
man braucht gar nicht Phantasie anzuwenden, sondern kann ganz wissen- 
schaftlich vorgehen und kann so auch wissen, daft diese Tiere den Ster- 
nenhimmel als etwas anderes empfunden haben, als wenn keine Sterne 
dagewesen waren. Sie haben sich beim Sternenhimmel so empfunden, 
daft sie sich in ihren Fliigeln sehr wohlgefiihlt haben, wenn die Sterne 
drauf schienen, und dadurch sind diese Fliigel gesprenkelt geworden. 

Man kann diese Geschichte heute sogar bis zu einem gewissen Grade 
nachweisen, wenn man sehr achtgibt. Natiirlich, von diesen Vogeln, die 
ja ganz weiche Leiber hatten, hat sich sehr wenig erhalten, und in den 



Versteinerungen kann man sie fast gar nicht finden; aber Fliigel- 
abdriicke kann man finden. Derjenige, der wirklich Versteinerungen, 
namentlich Kalkversteinerungen, weichere Versteinerungen gut stu- 
dieren kann, der findet schon solche Fliigelabdriicke. Aber man mufi 
natiirlich aufgeknopft sein im Kopfe, nicht so zugeknopft wie ein Pro- 
fessor. Also wenn das so ein Drachenvogelf liigel ist, der sich abgedriickt 
hat — vom Fliigel ist natiirlich nichts mehr vorhanden, aber der Ab- 
druck im Kaik — , bei dem findet man schon, wenn man genauer zu- 
schaut, dafi da so allerlei Sterne sind, die sich mitabgedriickt haben. 
Es sind eben die Spuren davon, welchen Eindruck die Sterne in der 
Nacht auf diese Fledermausfliigel gemacht haben. Die haben das ge- 
spiirt, ob es Tag war oder Nacht. 

Jetzt brauche ich Ihnen nicht mehr viel zu beschreiben, so werden 
Sie sich selber sagen: Ja, die ganze Geschichte hier, die sieht verteufelt 
ahnlich dem, was ich Ihnen neulich beschrieben habe von der Leber und 
den Nieren! - Der Mensch tragt in seinem heutigen Bauch noch immer 
eine Art von Nachbildung in sich, wie es auf der ganzen Erde zu- 
gegangen ist. Und diese Drachenvogel, die waren so wie die Augen, die 
die Erde selber gehabt hat. Das heifit - ich kann Ihnen das heute nur 
noch zum Schlufi sagen -, die ganze Erde war ein Fisch, ein Tier, und 
diese ganzen Riesentiere, die haben in der Erde gelebt und sind herum- 
gegangen und herumgewatschelt, wie in uns die weifien Blutkorper- 
chen. Wir sind noch eine solche Erde. Die weifien Blutkorperchen, die 
ubrigens, wenn sie auch klein sind, in ihrer Gestalt denen nicht einmal 
unahnlich sind, sie schauen in ihrer Kleinheit manchmal fast so aus wie 
diese Tiere dazumal ausgeschaut haben. So dafi also die ganze Erde ein 
Riesenfisch, ein Riesentier war, und diese Drachenvogel, die waren die 
beweglichen Augen, mit denen die Erde in den Sternenraum, in den 
Sonnenraum, in den Weltenraum hinausgeguckt und ihn wahrgenom- 
men hat. 

Dafi die Erde heute tot ist, das ist ja nur spater entstanden. Ur- 
spriinglich war die Erde lebendig, wie wir lebendig sind. Und was ich 
Ihnen da als Megatherien, Seekiihe, Plesiosaurier, Ichthyosaurier und 
so weiter beschrieben habe, ja, das sah aber verteufelt ahnlich, nur in 
Riesengroften dem ahnlich, was heute als weifie Blutkorperchen in 



unserem Korper herumgeht. Und das, was ich als Drachenvogel be- 
schrieben habe, sieht wieder verteufelt ahnlich demjenigen, was in un- 
serem Auge vorgeht, nur ist es unbeweglich. 

Und so kann man also sagen: Die Erde war einmal ein Riesentier, 
das seiner Grofte gemafi ziemlich faul war, sich langsam nur um die 
Achse gedreht hat im Weltenraum, das aber hinausgeguckt hat in den 
Weltenraum durch diese Drachenvogel, die nur bewegliche Augen 
waren, und sich das alles angeschaut hat. Und das, was ich Ihnen da 
beschrieben habe, dieses Feuerfressen und so weiter, das sieht namlich 
auch ganz verteufelt ahnlich demjenigen, was ja noch im Magen und in 
den Gedarmen vor sich geht. Und die Drachenvogel, die sehen wieder 
verteufelt ahnlich dem Gegensatze von den weifien Blutkorperchen, 
den Gehirnzellen, wie ich sie beschrieben habe, die sich ja in die Augen 
hinein erstrecken. 

Kurz, Sie konnen die Erde verstehen, wenn Sie sie auffassen als ein 
gestorbenes Tier. Die Erde ist ein gestorbenes Tier. Und erst als die Erde 
ihr eigenes Leben verloren hatte, da konnten die anderen Wesen, zu 
denen, wie ich Ihnen beschreiben werde, auch der Mensch kam, auf der 
Erde wohnen. 

Es ist gerade so, wie wenn wir als Mensch sterben wiirden und sich 
die weiften Blutkorperchen verandern wiirden in selbstandige Wesen- 
heiten. So ist es mit diesem Riesenvieh, mit der Erde, einmal ergangen. 
Und wir stehen heute vor diesem Riesenleichnam. Sie brauchen sich gar 
nicht zu verwundern, wenn die heutigen Geologen, die nur das Tote 
studieren konnen, blofi den Leichnam studieren. Die heutigen Geologen 
studieren nur den Erdenleichnam. Die Wissenschaft macht es uberall so, 
dafi sie nur das Tote studiert. Sie legt den Leichnam auf den Sezier- 
tisch. Aber man mufi, wenn man etwas erkennen will, wirklich zuriick- 
gehen zu dem Lebendigen. Die Erde war einmal lebendig, flog durch 
den Weltenraum, allerdings sehr trage sich bewegend, als ein Riesentier, 
und konnte hinaussehen durch die Augen, die sie uberall hatte, die die 
beweglichen kleinen Drachenvogel waren. Mit denen schaute sie hinaus 
in den Weltenraum. 

Das wollen wir dann das nachste Mai weiterbetrachten. Es ist ja eine 
ganz interessante Sache. 



ACHTER VORTRAG 



Dornach, 23. September 1922 

Es wird notig sein, meine Herren, die Sache, die wir besprochen haben, 
etwas naher noch zu betrachten. Ich habe Ihnen ja das letzte Mai zeigen 
konnen, was fiir merkwurdiges Getier einmal die Erde bevolkert hat, 
und wie sich dieses wirklich hochst merkwiirdige Getier benommen 
hat. Ich habe Sie zuletzt darauf aufmerksam machen konnen, daft die 
ganze Erde selbst einmal ein lebendiges Wesen war. 

Sehen Sie, wenn wir alle diese Tiere, die einmal auf der Erde gelebt 
haben - ich habe Ihnen das letzte Mai von den Ichthyosauriern ge- 
sprochen, von den Plesiosauriern, von den Megatherien, von den See- 
kiihen -, wenn wir alle diese Tiere, von denen ja in den verschiedenen 
Museen noch Uberreste vorhanden sind, betrachten, dann finden wir, 
daft sie eine Eigentiimlichkeit haben, namlich daft sie auften meistens 
mit einem Schuppenpanzer umgeben sind und machtige dicke Vorder- 
arme, Pranken haben. So daft man natiirlich nicht nur auf einem sol- 
chen Tiere hatte spazierengehen konnen - dazu waren sie auch groft 
genug -, sondern daft man natiirlich auch hatte schlagen konnen mit 
einem machtigen Hammer, und das Tier wiirde von alledem nicht sehr 
ungemutlich beriihrt worden sein, weil eben das ganze Tier rings mit 
einem solchen Schuppenpanzer umgeben war. Im kleinen allerdings 
nur, als ganz kleine Zwerge, sind ja von diesen alten Tieren heute nur 
etwa die Schildkroten oder die Krokodile iibriggeblieben. Schildkroten 
und Krokodile sind, ich mochte sagen, im kleinen Format dasjenige, 
was diese Tiere einmal in riesiger Grofte waren. Also Sie miissen sich 
vorstellen, daft diese alten Tiere einen solchen hornartigen, aus einzel- 
nen Hornplatten bestehenden Mantel hatten. 

Nun miissen wir uns einmal eine Vorstellung davon machen, woher 
diese Tiere eigentlich diesen hornartigen Mantel hatten. Da miissen wir 
die Geschichte ganz, ich mochte sagen, von klein auf studieren, nicht 
als Mensch von klein auf, sondern wie sich die Geschichte von klein auf 
entwickelt. Denken Sie sich einmal, daft ein Hund sich irgendwo eine 
Wunde macht. Die Tiere haben merkwiirdige Heilungsinstinkte. Sie 



werden schon gesehen haben, was der Hund tut, wenn er sich irgendwo 
eine Wunde macht. Wenn der Hund irgendwo eine Wunde hat, dann 
leckt er sie zuerst einmal ab; er speichelt sie ein. Und dann, wenn er 
sie eingespeichelt hat, dann Iegt er sich am liebsten in die Sonne, lafk 
die Sonne darauf scheinen. Und was geschieht da? Es bildet sich liber 
der Wunde eine Art von Rinde. So daft man sagen kann: Wenn das 
dahier die Wunde des Hundes ist (siehe Zeichnung), dann speichelt er 



sie ein, so daft die Wunde an der ganzen Oberflache mit Speichel iiber- 
zogen ist. Dann lafit er die Sonne darauf scheinen, und die Sonne macht 
aus dem, was sie da braut, mit dem Speichel zusammen eine harte Rinde, 
und darunter heilt das ab. Der Hund hat also einen ganz merkwiirdigen 
Heilinstinkt. Er macht das Richtige aus seinem Instinkt heraus. 

Jetzt konnen wir das, was wir da betrachtet haben, ein wenig er- 
weitern. Wir konnen eine andere merkwurdige Erscheinung betrachten, 
die uns dazu fiihren wird, dafi wir so etwas wie dieseHeilung der Wunde 
hier verstehen lernen. Sie wissen, wir atmen die Luft ein. Wenn wir die 
Luft einatmen, dann kriegen wir Sauerstoff ins Innere. Der Sauerstoff 
verbreitet sich in unserem Leib. Und wenn der Sauerstoff sich in un- 
serem Leib verbreitet, da konnen wir leben. Wir wiirden sofort er- 
sticken, wenn wir den Sauerstoff nicht kriegen konnten. Aber was tun 
wir dafiir? Wir sind nicht gerade sehr dankbare Leute fur die Luft, die 
uns Sauerstoff gibt. Wir sind eigentlich recht undankbare Wesen gegen 
die Luft, denn wir verbinden mit diesem Sauerstoff in uns selbst Koh- 
lenstoff, und da wird Kohlensaure daraus, und die atmen wir wieder 
aus. Das ist eigentlich recht undankbar gegen unsere Umgebung, weil 
wir die Luft damit fortwahrend verpesten. Wenn einer sich in Kohlen- 
saure stellt, so erstickt er auch. Was in unserem Inneren aus der schonen, 
guten Atemluft gemacht wird, damit verpesten wir unsere Umgebung. 




Tafel7 



111 



Wir verbreiten fortwahrend um uns herum eine Kohlensaureluft, in der 
kein Wesen - ein Mensch nicht, aber auch nicht ein lebendiges Wesen, 
das tierartig ist - leben konnte. Also sehen Sie, tierisches Leben besteht 
eigentlich im Grunde genommen darinnen, daft es selber fortwahrend 
das, was es zum Leben braucht, aus der Umgebung in sich hereinsaugt, 
aber an die Umgebung den Todesstoff zuriickgibt. Darinnen besteht 
tierisches Leben. 

Mit diesem tierischen Leben wiirde es aber auf der jetzigen Erde 
bald recht iibel stehen, wenn sich alle Wesen so unanstandig benehmen 
wiirden wie die Menschen und die Tiere. Die Menschen und die Tiere 
verpesten namlich die Luft. Und wenn sich alle Wesen so unanstandig 
benehmen wiirden, wie die Menschen und die Tiere, dann ware es iiber- 
haupt schon langst auf unserer Erde dahin gekommen, daft nichts mehr 
leben konnte; dann ware unsere Erde langst ein grower Friedhof. Aber 
das gute ist, daft sich die Pflanzen nicht so unanstandig benehmen. Die 
machen namlich das Gegenteil. Denn wie wir den Sauerstoff einsaugen 
und die Luft ringsumher verpesten, so saugen die Pflanzen die Kohlen- 
saure ein, und die behalten wiederum den Kohlenstoff zuriick und 
geben den Sauerstoff wieder her. So daft eigentlich ganz allein dadurch, 
daft auf der Erde Pflanzen und namentlich Walder sind, das Leben auf 
der Erde bestehen kann. Wenn keine Walder auf der Erde waren, oder 
wenn einmal grofte Gesellschaften - sie tun es ja zum Teil schon - die 
Walder abholzen wiirden, so wiirde das Leben auf der Erde viel un- 
gesiinder werden. Das ist ja eben gerade das, daft wir die Walder brau- 
chen auf der Erde. Wenn wir nur auf das Holz schauen, dann machen 
wir natiirlich das Leben auf der Erde nach und nach dadurch, daft wir 
die Walder abholzen, unmoglich. Wir konnen also sagen: Auf der Erde 
ist es so eingerichtet, daft sich die Menschen und Tiere eigentlich recht 
unanstandig benehmen, denn die verpesten alles, und die Pflanzen und 
die Walder, die machen wiederum alles ordentlich. 

Ja, sehen Sie, meine Herren, das ist jetzt so auf der Erde, aber das 
war nicht immer so auf der Erde. Wir miissen uns eben ganz klar dar- 
iiber werden, daft sich die Erde verandert hat, daft sie ganz anders war 
in der Zeit, von der ich Ihnen am letzten Mittwoch geredet habe; das 
haben Sie ja eingesehen. Denn wenn Sie jetzt spazieren gehen, so begeg- 



net Ihnen nicht, wie es damals hatte geschehen konnen, da oben auf 
dem Gempen ein Ichthyosaurus. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Aber 
die Erde verandert sich fortwahrend und wird auch in der Zukunft 
ganz anders ausschauen, als sie heute ausschaut. Aber was konnen wir 
sehen aus alledem, was wir da jetzt gelernt haben? Wir konnen sagen: 
Dasjenige, was im Menschen drinnen ist, was er von sich gibt, das kann 
ihn nicht erhalten. Er mufi etwas anderes kriegen; auf der jetzigen Erde 
mufi er das, was ihm die Pf lanzen geben, kriegen, damit er leben kann. 
Von dem allein, was wir in unserem Inneren haben, konnen wir nicht 
leben, das zerstort uns. 

So dafi Sie sich das also ganz klar vor Augen stellen konnen: Das- 
jenige, was im Inneren des Menschen nutzlich" ist, das zerstort uns,wenn 
es von aufien herankommt. Im Inneren, da wiirden wir recht tibel daran 
sein, wenn man zu viel Sauerstoff hatte. Aber von aufien mufi der 
Sauerstoff fortwahrend herankommen. 

Also was im Inneren schadlich ist - wenn es von auften herankommt, 
ist es nutzlich. Was im Inneren nutzlich ist, das ist, wenn es von aufien 
herankommt, schadlich. Sehen Sie, meine Herren, das ist so wichtig, 
dafi man einsieht, dafi dasjenige, was im Inneren nutzlich ist, schadlich 
ist, wenn es von aufien herankommt, und was im Inneren schadlich ist, 
das ist nutzlich, wenn es von auften herankommt. Das ist so wichtig, 
dafi, wenn man das nicht einsieht, man iiberhaupt nichts versteht. 

Nun konnen wir sagen: Das wissen wir jetzt von dem Leben der 
Gegenwart, dafi etwas ganz anderes von aufien an uns herankommen 
mufi, als wir im eigenen Inneren haben. Etwas ganz anderes mufi von 
aufien herankommen. 

Gehen wir jetzt wiederum zuriick in die alten Zeiten, nachdem wir 
uns ein paar Begriffe an der Gegenwart erworben haben. Gehen wir 
wieder zuriick und versetzen wir uns einmal in der Phantasie in die 
Zeit, wo da die Ichthyosaurier auf der Erde herumspaziert sind, halb 
spaziert, halb geschwommen, wo die Plesiosaurier herumgehupst sind 
auf der Erde. Wir versetzen uns in diese Zeit. Ja, das war aber auch 
schon eine Zeit, der eine andere vorangegangen ist. Nun, wie war es 
denn in dieser alten Zeit auf der Erde, bevor es Ichthyosaurier, Plesio- 
saurier gegeben hat? 



Ja, meine Herren, nach diesen Oberresten, die wir aus dieser alten, 
ganz alten Zeit behalten haben, da waren die Tiere, die da vorhanden 
waren, dazumal noch ungeschickter als die spateren. Wissen Sie, so ein 
Plesiosaurier - Sie konnen das sehen, wenn Sie ihn in irgendeinem 
Museum angucken, mit seiner riesigen Grofie, mit seinem schweren 
Schuppenpanzer, schwer wie eine Ritterriistung im Mittelalter, und 
mit der war es schon ein wenig unbequem, sich zu bewegen, und mit 
seinen tapsigen Beinen - das waren furchtbar ungeschickte Wesen. 
Also wissen Sie, leichtbewegliche Kerle waren das nicht. Aber diese 
ungeschickten Wesen, die haben immerhin noch so etwas gehabt wie 
Fiifte, die flossenahnlich waren, mit denen sie schwimmen konnten, mit 
denen sie sich sogar anhalten konnten an etwas. Also immerhin, ich 
mochte sagen, war das schon eine Art moderne Zeit. Aber die Tiere, 
die f riiher vorhanden waren, vor diesen ungeschickten Ichthyosauriern, 
Plesiosauriern, Megatherien, die Tiere, die friiher vorhanden waren, 
die waren noch riesig viel ungeschickter, denn die haben eigentlich gar 
nicht viel anderes gehabt als einen weichen Korper, in dem alles mog- 
liche zusammen war: vorn so ein biSchen etwas ahnliches wie ein Kopf, 
hinten ein ziemlich langer Schwanz, und dariiber ein riesiger, riesiger 
Schuppenpanzer. 

Wenn Sie zum Beispiel schon einmal eine Auster gesehen haben, 
dann konnen Sie sich denken, dafi eine Auster so ein ganz kleiner Zwerg 
ist. Sie hat in ihrem Inneren nur den ganzen schleimartigen Korper, 
und eine Schale ringsherum. Nun, wenn Sie sich die Schale etwas anders 
vorstellen, die Schuppen wie bei der Schildkrote und darinnen auch so 
einen weichen Austernkorper, dann kriegen Sie ungefahr die Tiere, die 
einmal auf der Erde waren, bevor die Ichthyosaurier und die Mega- 
therien auf der Erde waren. 

Da war die Erde ganz dicklich, noch viel dicklicher als die Milch. 
Alles, was heute als Gebirge draufien ist, das war aufgelost. Es war also 
eine ganz dickliche Sache. Da drinnen in dieser dicklichen Sauce - die 
ganze Erde war eine furchtbar dicke Sauce im Weltenraum - schwamm 
solch eine Riesenauster. Gegen die ware unsere ganze Schreinerei hier 
noch ein Zwerg gewesen. Es waren solche Riesenaustern, dafi, wenn 
man es auf ihrem Riicken abgezeichnet hatte, zum Beispiel das heutige 



Frankreich bequem daraufgegangen ware. Die altesten dieser Tiere 
waren so riesige Kerle, weil die Erde auch noch riesig grofi war. Also es 
waren einmal Riesentiere, die eigentlich nur aus einer schleimigen 
Masse bestanden haben und die ja auch nur so sich bewegen konnten 
wie die Austern, nur dafi die Austern in einem viel diinneren Wasser 
sein miissen. Und diese schleimigen Tiere, die einen riesigen Schild- 
krotenpanzer hatten, schwammen in dieser dicklichen Erde drinnen. 

Also sehen Sie, die Erde war wirklich so etwas ahnliches, wie wenn 
Sie sich heute eine riesige dicke Suppe vorstellen und darinnen Klofie. 
Aber die Klofte miissen Sie sich so vorstellen, dafi sie auf der einen Seite 
ganz dick werden, so daft Sie sich die Zahne ausbeifien wiirden, wenn 
Sie auf dieser einen Seite hereinbeifien wiirden, und auf der anderen 
Seite ganz weich. Sie konnten dann von diesen Klofien die eine Seite 
abheben; dann kriegten Sie so etwas heraus wie einen Hut. Und das 
andere, das ware ganz weich, das konnten Sie essen. Das ist viel weicher 
gewesen bei diesen Tieren als dasjenige, in dem sie drinnen schwammen, 
als diese dickliche Erde. Daher war es bei diesen Tieren auch so, wie es 
heute nur gewisse ganz kleine Tiere sich erhalten haben. Sie werden 
schon einmal Schnecken kriechen gesehen haben. Wenn die Schnecken 
kriechen, dann konnen Sie die Spur von diesen Schnecken verfolgen; 
sie ist ganz voll von diesem Schleim - das werden Sie schon gesehen 
haben — , den lafit die Schnecke zuriick. Der Schleim, der wird heute 
aufgetrocknet von der Sonne. Heute bedeutet er nicht viel. Aber 
denken Sie, in der alten Zeit, wo die Erde nicht so fest war, da liefien 
diese Tiere in der dicklichen Erdensuppe auch diesen Schleim zuriick, 
und der vermischte sich mit dieser dicklichen Erdensuppe. So dafi diese 
Tiere fortwahrend sehr niitzlich gewesen sind in dieser dicken Erden- 
suppe. 

Heute kann man solche Sachen hochstens noch in ganz kleinen 
Spuren verfolgen, wenn man iiber den Weg geht und es recht geregnet 
hat. Besonders hier auch beim Goetheanum konnen Sie das bemerken: 
Dann kriechen die Regenwurmer heraus. Sie werden das schon gesehen 
haben, bei besonderen Regenzeiten kriechen iiberall die Regenwurmer 
heraus. Wo sind die Regenwurmer sonst? Die sind sonst in der Erde 
drinnen, kriechen in der Erde drinnen und machen da solche Locher, 



wo sie durchkriechen. Sehen Sie, wenn es diese Regenwiirmer nicht 
geben wiirde, dann waren unsere Acker viel weniger fruchtbar. Denn 
dasjenige, was diese Regenwiirmer in der Erde zuriicklassen, das macht 
die Ackererde fruchtbar. Man darf sich eben nicht vorstellen, daft 
irgend etwas in der Natur unnotig ist. 

Und so war es bei diesen Riesenaustern in alten Zeiten. Die haben in 
der Erdensuppe fortwahrend dasjenige abgesondert, was sie da als 
Schleim von sich gaben, und haben diese Erdensuppe dadurch immer 
aufgefrischt, immer, immer aufgefrischt. 

Aber die Geschichte ist so: In der heutigen Erde - ja, da konnen die 
Schnecken und die Regenwiirmer noch so viel von dem, was sie ab- 
sondern, hineinmischen -, in der heutigen Erde stirbt das doch wieder- 
um ab. Man kann das gut gebrauchen, was die Regenwiirmer an Mist 
liefern in der Ackererde, in einem gewissen Sinne sogar kann man das 
gut gebrauchen in der Ackererde, was die Schnecken als Mist liefern, 
und nicht nur auf der Ackererde, sondern in den Wiesen ist dasjenige, 
was auf der Erde ist, indem sich der Schneckenschleim hineinsenkt, ein 
sehr, sehr gutes Diingemittel. Aber sehen Sie, lebendig wird das nicht, 
was da in die Erde durch die heutigen Tiere hineingeht. 

Aber in der Zeit, von der ich jetzt spreche, wo diese Riesenaustern 
in die Erdensuppe hinein ihre Produkte abgelagert haben, da war wirk- 
lich etwas sehr Merkwiirdiges - heute kommt ja auch noch so etwas 
vor. Nicht wahr, die Befruchtung, die geschieht bei gewissen niederen 
Tieren, sogar bei ziemlich hohen Tieren nicht so, wie sie bei hoheren 
Tieren und beim Menschen geschieht, sondern die Befruchtung ge- 
schieht, sagen wir, bei gewissen fischahnlichen oder selbst bei am- 
phibienahnlichen oder krotenahnlichen Tieren so, daft die Eier abgelegt 
werden, irgendwohin abgelegt werden, so dafi da so ein Batzen Eier 
irgendwo liegt, den das Weibchen abgelegt hat; und das Mannchen, das 
lafit dann seine Samenfliissigkeit einfach da drauf fallen, aufterhalb des 
Weibchens, und da werden erst die Eier befruchtet, aufierhalb des 
Weibchens. Das geschieht heute auch noch. So dafi man also sagen 
kann: Das Weibchen legt irgendwohin die Eier ab und geht weg. Das 
Mannchen findet diese Eier, befruchtet sie, geht auch weg. Die Befruch- 
tung geschieht also aufierlich. Nur kann sie nicht geschehen, es wird 



nichts daraus, wenn nicht dann auf diese befruchteten Eier die Sonne 
scheint. Wenn die Sonne nicht darauf scheint, dann wird nichts daraus, 
dann sterben sie ab. Aber wenn die Sonne auf diese befruchteten Eier 
scheint, dann werden neue Tiere daraus. Das geschieht noch heute. 

In der Zeit, als diese Riesenaustern in der Erdensuppe herum- 
schwammen, da wirkte dieser Schleim, wenn er in die Erde hineinkam, 
so, dafi aus der Erde selber wiederum solche riesigen Tiere sich immer 
wieder entwickelten. Die alten starben ab, aber aus der Erde selber ent- 
wickelten sich die neuen Tiere heraus. Die Erde gebar fortwahrend 
selber solche ja hochst ungeschickten, aber riesenmafSigen Tiere. Also 
die Erde war so, dafi sie selber befruchtet wurde durch dasjenige, was 
diese Tiere absonderten. So daft Sie sich also vorstellen konnen: Einmal 
war ein Erdenleben vorhanden; die Erde war ganz ein lebendes Wesen. 
Aber das Leben mufite dadurch unterhalten werden, daft da oben diese 
Tiere Schleim absonderten. Wenn diese dickliche Erdensuppe allein ge- 
wesen ware, so waren diese dicken Tiere dahier auch bald ausgestorben. 
Sie sonderten ab, und dadurch war das Leben der Erde fortwahrend 
erhalten worden, so dafi die Erde fortwahrend aus sich heraus solche 
Tiere trieb. Die befruchteten dann die Erde selber wiederum, und sie 
konnte jetzt aus sich heraus wieder solche Tiere wachsen lassen. 

Aber diese Tiere da, die hatten diesen Schleim nicht absondern kon- 
nen, wenn nicht etwas anderes dagewesen ware. Sehen Sie, die Erde war 
eine furchtbar dicke Suppe; aber ich habe Ihnen gesagt: Der Schleim 
der Tiere war viel dunner als diese Erdensuppe, viel diinner. Woher ist 
denn das gekommen, dafi die Tiere so diinnen Schleim haben konnten? 
Das ware ganz unmoglich gewesen, daS die Tiere einen dunneren 
Schleim haben konnten als die Erde iiberhaupt. Die Erde war auch ein 
Brei, ein Schleim, aber ein ganz dicker; aber immerfort entstanden diese 
dunneren Schleimklumpen. Wodurch entstanden sie? 

Sehen Sie, meine Herren, wenn Sie da nur ein Glas Wasser haben 
und darinnen eine Flussigkeit, Wasser, in dem Salz auf gelost ist, so kann 
es passieren, daft das Salz da herunterfallt. Das Salz sammelt sich als 
Satz unten am Boden an; aber dann ist ja das Wasser dunner. Erst als 
das Salz auf gelost war, war das Wasser dick. Jetzt ist das Wasser dunner 
geworden, weil das Salz heraulSen ist. Also haben Sie spater ein dun- 



neres Wasser oben, und unten ein viel dickeres Salzwasser. Und wenn 
ich das machen konnte, daft ich jetzt dieses Glas umkehre - nicht wahr, 
wenn ich das tun wiirde, so wiirde naturlich einfach das ganze Salz- 
wasser herausflieften, und die Geschichte bildete sich nicht. Aber bei 
diesen alten Tieren, da war das so, daft es sich umgekehrt hat. Bei die- 
sen alten Viechern, da war das so: Da war die dickliche Erde; da hat 
sich nun etwas gebildet. Da war oben der Schuppenpanzer und weiter 
unten Schleim. Was war denn der Schuppenpanzer? Der war nichts 
anderes, als was sich herausgesondert hat aus der dicklichen Erden- 
masse. Geradeso wie sich das Salz vom Wasser nach unten absondert, 
so hat sich diese dickliche, ganz dicke Masse, die dann so einen Schup- 
penpanzer bildete wie bei den Schildkroten, von dem Dicklichen der 
Erdenmasse, aber nach oben, abgesondert, so daft das Dunnere unten 
iibriggeblieben ist. Und so konnte da dieses umgekehrte Glas, oder der 
Kopf, sich herausheben aus dem Wasser. Nur das Salz ist nach oben 
gekommen. 

Und was ist denn mit diesem Salz geschehen? Ja, meine Herren, 
jetzt gehen wir wieder zuruck zu dem, was der Hund macht, wenn er 
eine Wunde hat. Wenn der Hund eine Wunde hat, leckt er sie ab. Dann 
laftt er die Sonne darauf scheinen; dann wird es dicklich, und dann 
totet es das, was da drinnen ist in der Wunde. Sonst wiirden die Bak- 
terien kommen und die Wunde wiirde sich vergroftern, und der ganze 
Hund ginge kaputt. Sehen Sie, da bildet sich eine Kruste, eine Kruste 
von dem, was im Inneren ist. Der Schleim, den der Hund auf die 
Wunde bringt, ist etwas Inneres; wenn die Sonne darauf scheint, so ver- 
dickt sie den Schleim durch die Warme. 

Geradeso war es bei diesen Tieren in diesen alten Zeiten. Da schien 
die Sonne darauf auf diese dicke Erdensuppe, und dadurch, daft die 
Sonne darauf schien, entstanden an einzelnen Stellen solche Verdickun- 
gen, wie sie beim Hund auf der Wunde entstehen. Das waren die 
Schalen. Und darunter war, weil sich eine Verdickung bildete, eine 
dunnere Schleimmasse. Und so entstanden diese Riesenaustern. Aber, 
sehen Sie, diese Riesenaustern hatten sich gar nicht bilden konnen, 
wenn nicht die Sonne geschienen hatte. Es ware unmoglich gewesen. 
Also wir haben jetzt das Merkwiirdige, daft wir die Erde haben - ich 



will das jetzt ganz klein zeichnen -; auf die Erde scheint bei Tag die 
Sonne, und die Sonne holt aus der Erde heraus diese Riesenaustern. Wir 
konnen also sagen: Einmal war die Zeit, wo die Erde eine dicke Suppe 
war, und dadurch, daft sie von aufien von der Sonne beschienen worden 
ist, bildeten sich solche Tiere. 

Aber das alles hatte ja nichts geniitzt dazumal, dafi nun die Erde 
auch wiederum, wenn diese Tiere ihren diinnen Schleim bei ihrem 
Schwimmen durch die Suppe zuriickgelassen hatten, hatte befruchtet 
werden konnen. Das hatte nichts geniitzt. Ja, es mufi also die Erde doch 
noch etwas anderes gewesen sein in ihrem Inneren. Sie mufi so ahnlich 
gewesen sein wie ein Ei. Nur dadurch hat sie befruchtet werden kon- 
nen. Ist das nicht einzusehen? Die Erde hat einmal sozusagen sein kon- 
nen wie ein Ei. Dadurch nur hat sie befruchtet werden konnen. 

Da miissen wir schon einmal studieren, wie das denn eigentlich mit 
solch einem Ei ist, damit das befruchtet werden kann, denn wir kom- 
men zu einem Erdenzustand, wo eine dicke Erdensuppe da war. Die 
Wesen, die befruchten haben konnen, also ich mochte sagen, die mann- 
lichen Wesen, die haben wir da gefunden in der alten Zeit; aber wenn 
die Erde das allgemein weibliche Wesen hatte sein sollen - das haben 
wir noch nicht gefunden, das miissen wir jetzt auch wiederum suchen. 
Wir miissen darauf kommen, wie denn die Erde einmal solch ein riesiges 
Ei hat sein konnen. 

Sehen Sie, meine Herren, wenn man auf so etwas drauf kommen will, 
da heifit es schon, ein bifichen die Welt betrachten. Und da werde ich 
Sie jetzt komischerweise auf ein ganz anderes Gebiet zuerst aufmerk- 
sam machen miissen, aufmerksam machen auf etwas, was heute zwar 
noch vorhanden ist, aber wirklich, ich mochte sagen, in so verdunntem 
Zustande, dafi viele Menschen in ihrem Bewufitsein nicht viel davon 
merken. Aber es ist wirklich nicht blofS aus einem gewissen Geheimtun 
heraus, dafi die Dichter, wenn sie Liebesparchen, die Entwickelung der 
Liebe haben schildern wollen, dann die Liebenden in den Mondenschein 
gehen lassen. Der Mondenschein hat etwas, was auf die Phantasie des 
Menschen in aufierordentlicher Weise wirkt. 

Sie meinen vielleicht, das gehore eigentlich nicht dazu; aber es ge- 
hort doch dazu. Der Mondenschein, der treibt die Phantasie des Men- 



schen heraus. Und sehen Sie, das ist schon etwas ganz Merkwiirdiges, 
daft der Mondenschein die Phantasie des Menschen heraustreibt. Wenn 
die Menschen, die gegenwartig Gelehrte sind, manchmal so eine An- 
wandelung von Gescheitheit haben, da kommen sie manchmal auf ganz 
niedliche Sachen, nette Sachen. So hat es vor einiger Zeit in Paris einen 
Gelehrten gegeben, der hat sich gesagt: Mit alle den Arzneimitteln, die 
wir jetzt haben in der Medizin, kann man so furchtbar wenig ausrich- 
ten beim Menschen, und - wirklich, es ist ganz merkwiirdig, daft ein 
Pariser Gelehrter endlich darauf gekommen ist! - wenn man die Men- 
schen gesiinder machen wollte, konnte man etwas anderes machen. Und 
staunen Sie, meine Herren: Der Gelehrte in Paris hat den Leuten an- 
geraten, sie sollen den «Faust» von Goethe recht viel lesen - da werden 
sie gesiinder davon, als wenn sie all das Zeug aufnehmen, das nur den 
Verstand anregt weil der «Faust» von Goethe die Phantasie anregt, 
und die Phantasie ist gesund. - Selbst ein materialistischer Gelehrter 
hat also das Lesen von Goethes «Faust», weil das die Phantasie anregt, 
so gut gefunden, daft er gesagt hat: Die heutigen Menschen, die sind so 
gescheit, die strengen den Verstand nur an; aber der Verstand macht 
einen eigentlich krank. Aber wenn die Leute den «Faust» lesen wiirden 
und sich in alle die Bilder hineinversetzen wiirden, die im «Faust» sind, 
wiirden sie viel gesiinder sein. 

Also der Gelehrte wollte, daft die Menschen sich ein biftchen mit 
gesunder Wachstumskraft durchdringen. Die Menschen sollen sich eiri 
wenig mit gesunder Wachstumskraft durchdringen! Ja, sehen Sie, das 
war einmal ein lichter Augenblick, wie die heutige Wissenschaft nur 
wenige hat. Das war ein gesunder Augenblick, den die heutige Wissen- 
schaft hatte. Das ist gesund, weil es einen dazu anregt, besser zu ver- 
dauen. Es ist wirklich wahr: Der Mensch verdaut besser, wenn er den 
Goetheschen «Faust» studiert,als wenn er alle gelehrten Werke studiert. 
Da verdirbt er sich den Magen. Mit dem Goetheschen «Faust» wird der 
Magen immer gesiinder und gesunder; aber auch die anderen Organe. 
Und woher kommt denn das? Nun, weil der Goethesche «Faust» aus 
der Phantasie stammt, nicht aus dem Verstand. 

Denken Sie sich, wenn der Mensch sich durch den Mond anregen 
laftt, dann wird ja die Phantasie angeregt. Also es werden im Menschen 



durch den Mond die Wachstumskrafte gerade angeregt. Aber heute ist 
das in sehr geringem Mafi der Fall. Nicht wahr, der Mensch fiihlt sich 
so ein bifichen innerlich durchwarmt, also er fiihlt seine Wachstums- 
krafte innerlich angeregt, wenn er einen Mondspaziergang macht. Das 
ist schon wahr. Aber es kommt nicht viel in Betracht. 

Aber der Mond hangt doch zusammen mit all dem, was beim Men- 
schen das Leben bedeutet. Ich kann Ihnen eine kleineTatsache angeben, 
die aufierordentlich stark zeigt, wie der Mond mit dem Leben zusam- 
menhangt. Sehen Sie, heute, wo man zum Beispiel aufmerksam macht 
auf manche Dinge, die die Leute einmal gewufit haben - erinnern Sie 
sich an dasjenige zum Beispiel, was ich Ihnen hier iiber den romischen 
Januskopf mit den zwei Gesichtern gesagt habe -, da werden Sie sich 
denken konnen, dafi die Leute friiher einmal mehr gewufit haben als 
heute; wenn sie auch nicht «gescheiter» waren, aber mehr gewufit haben 
sie. Nicht wahr, heute, wo alles durch die Gescheitheit der Menschen 
begraben ist, was die Menschen einmal gewufit haben, heute sagt man 
ja: Nun, ein Menschenkind wird neun Monate lang getragen. - Aber 
die Medizin, die manchmal noch, so wie sie die lateinische Sprache 
bewahrt hat, auch alte Vorstellungen bewahrt hat - die heutigen Arzte 
wollen ja nichts mehr davon wissen, aber sie sind manchmal noch da, 
diese alten Vorstellungen -, die sagt: Das Kind wird zehn Monate ge- 
tragen. Woher kommt das, meine Herren? Nun ja, wenn Sie sich aus- 
rechnen: Ein Mondenmonat hat ungefahr 28 Tage; zehn mal 28 = 280 
Tage. Ein Monat, wie wir ihn heute haben, zu 30Tagen gerechnet, wenn 
Sie das neun mal nehmen, so haben Sie ungefahr dasselbe = 270 Tage. 
Das heifit: Die neun Monate, die wir heute haben, sind zehn Monden- 
monate. Das ist ja dieselbe Zeit. Man hat friiher viel nach Monden- 
monaten gerechnet, wenn man von derTragezeit des Kindes im Mutter- 
leibe gesprochen hat. 

Woher ist das gekommen, meine Herren? Weil man noch gewufit 
hat, dafi das Ausbilden des Kindes im Mutterleib mit dem Mond zu- 
sammenhangt. Es hangt mit dem Mond zusammen. Man hat eben ein- 
mal gewufit und kann das heute wiederum durch anthroposophische 
Studien konstatieren, dafi der Mond es ist, der im Menschen bewirkt, 
dafi iiberhaupt das Kind als Lebendes sich entwickeln kann. 



Aber dieser Mond, der wirkt ja nur auf die weiblichen Wesen im 
Menschenreich und im Tierreich, weil die dazu hergerichtet sind. Auf 
die Erde wirkt der Mond heute nicht mehr. Da erzeugt er heute keine 
Eier mehr. Und dennoch, wenn man die Sache ordentlich studiert, so 
kommt man darauf, dafi nicht nur im feinen Sinne die Phantasie an- 
geregt wird und dadurch unsere Wachstumskrafte und wir in eine 
innerliche Bewegung kommen, wenn wir einen Mondspaziergang 
machen. Der Mond wirkt in uns belebend, aber er wirkt so stark be- 
lebend im menschlichen und tierischen weiblichen Korper, dafi er iiber- 
haupt das Kind oder das Tier mit Wachstumskraften ausstattet. 

Ja, sehen Sie, der Mond, der da vom Himmel herunterscheint, der 
bewirkt das nicht, daft die Erde selber wachsen kann, denn die Erde ist 
heute schon viel zu stark erstorben. Also es mufi diese Erde, die einmal 
befruchtet werden konnte, lebendiger gewesen sein. 

Und jetzt erinnern Sie sich, daft ich Ihnen gesagt habe, daft das- 
jenige, was im Inneren des Menschen ist, wenn es von auften herein- 
kommt, schadlich ist. Also der Mond, der heute auf die Erde herunter- 
scheint, der kann kein Leben mehr hervorrufen. Warum? Weil sein 
Scheinen von auften kommt, geradeso wie wenn die Luft, die wir 
selber von uns gegeben haben, von auften kommt. Dann kann sie uns 
nicht mehr innerlich beleben. Heute kann also der Mond da oben nichts 
mehr machen mit der Erde selber. Heute kann der Mond nur etwas 
machen im tierischen und menschlichen Korper, weil das beschiitzt ist. 

Aber wo muft denn der Mond einmal gewesen sein, damit er die Erde 
selber zum Lebewesen machen konnte? Aufter der Erde kann er sie nicht 
zum Lebewesen machen. Er muft in der Erde drinnen gewesen sein! 
Geradeso wie die Kohlensaure, wenn sie drauften ist, uns nicht mehr 
lebendig machen kann, sondern drinnen sein muft, sich selber drinnen 
lebendig entwickeln mufi, so mufi also einmal der Mondenschein nicht 
drauften gewesen sein, sondern drinnen in der Erde. 

Also stellen Sie sich vor, meine Herren: Damals, als da diese "Wesen 
waren, da war der Mond iiberhaupt nicht aufierhalb der Erde, sondern 
er war drinnen und aufgelost in der dicklichen Suppe. Er war iiber- 
haupt noch nicht begrenzt, sondern er war da drinnen eine noch dick- 
lichere Kugel. Da konnte er die ganze Erde zu einem Ei machen. Man 



kommt eben darauf, dafi der Mond, der heute nur noch auf die Phanta- 
sie wirkt und auf den weiblichen befruchteten Korper, dai$ der Mond, 
der heute droben am Himmel ist, einmal in der Erde drinnen war. 

Dann mufi er aber auch einmal herausgegangen sein. Und sehen Sie, 
meine Herren, da kommen wir eben zu dem ungeheuer wichtigen 
Augenblick in der Erdenentwickelung: Der Mond, der heute immer 
draufien ist, der ist friiher einmal im Inneren der Erde gewesen. Die 
Erde hat ihn ausgeschieden. Er umgibt sie heute von aufien. 

Wenn wir den ganzen Erdenkorper studieren, so kommt dabei etwas 
Merkwiirdiges heraus. Nicht wahr, wenn wir den Erdenkorper stu- 
dieren, so haben wir ja eigentlich den Erdenkorper aus Wasser be- 
stehend, und da in diesem Wasser schwimmen die Kontinente drinnen, 
die Landmassen, wie einstmals diese Riesentiere darinnen geschwom- 
men sind. Europa, Asien, Afrika schwimmen im Wasser, wie einstmals 
diese Riesentiere da geschwommen sind in der Erdensuppe, in der 
dicken Erdensuppe. Und wenn wir studieren, wie das ausschaut - wis- 
sen Sie, das schaut ja nicht gleich aus -, dann kann man heute noch 
immer sehen an der Aushohlung der Erde und an dem Ausweichen der 
Kontinente, daft der Mond einmal herausgeflogen ist da, wo heute der 
Stille Ozean ist. Der Mond war einmal in der Erde drinnen, ist heraus- 
geflogen. Er hat sich aufien erst verhartet. 

Wir blicken jetzt auf einen alten Erdenzustand zuriick. Da hatte die 
Erde noch ihren Mond in ihrem Leib drinnen. Der machte sie zur Mut- 
ter mit seiner Substanz, und die vaterliche Substanz wurde hervor- 
gerufen durch die Sonne, weil die Sonne fortwahrend solche Schleim- 
klumpen erzeugt hat, die sie auften umgeben hat mit einem dicken 
Hornmantel. Das hat der Sonnenstrahl bewirkt. Und diese schwimmen- 
den Schleimklumpen, die haben fortwahrend das, was unten war in der 
Erdensuppe und was durch den Mond im Leben erhalten worden ist, 
befruchtet. So dafi die Erde ein riesiges Ei war und durch dasjenige, was 
die Sonne bewirkt hat, fortwahrend befruchtet worden ist. 

Ja, meine Herren, wenn die Geschichte so fortgegangen ware, da 
hatte sich ein recht ungemiitlicher Zustand auf der Erde ergeben. Da 
ware der Mond herausgeflogen. Die Erde ware unf ruchtbar geworden, 
und es ware schliefilich doch alles erstorben. Was ist denn da bewirkt 



worden? Da ist durch das Hinausfliegen des Mondes zwar bewirkt 
worden, dafi die Erde erstorben ist, aber es ist etwas von dem alten 
Befruchtenden eben aufbewahrt worden im miitterlichen Tier- und 
Menschenleib. Vorher hat es iiberhaupt nicht ein Geborenwerden ge- 
geben in derWeise, wie es jetzt ist, nicht wahr. Geradeso wie, wenn man 
einen neuen Laib Brot macht, man etwas von der alten Hefe nimmt und 
dann hereintut, so ist etwas noch von der alten Substanz, die man vom 
Mond genommen hat, geblieben in den weiblichen Leibern, so dafi das 
befruchtet werden kann. Was da drinnen befruchtet wird, das, was 
innerlich zum Ei wird, das ist nur die Nachbildung vom alten Erden-Ei. 
So dafi es kein Wunder ist, dafi, wenn das Kind entsteht, da die Mon- 
dengeschichte noch drinnen spukt, sich sogar die Zeit, wahrend das 
Kind getragen wird, nach dem Mond richtet. Nicht wahr, der Sohn des 
Barons mufi sich auch nach der Decke seiner Erbschaft strecken, die 
ihm sein Vater hinterlafit. Das mufi auch das befruchtete Ei, das eigent- 
lich von der alten Mondensuppe abstammt. Das mufi sich heute noch 
nach dem Mond richten, denn von dem ist das geerbt. 

Oberhaupt, sehen Sie, hat man in alteren Zeiten von diesen Dingen 
viel mehr gewufit. Ich werde Ihnen noch einmal die Griinde angeben, 
warum. In alteren Zeiten hat man von diesen Dingen viel mehr gewufit, 
und man hat gesagt: Sol, Sonne, die ist mannlich. Sie macht ja auch 
das Mannliche. Noch im Lateinischen ist das so. Sol, die Sonne, ist 
mannlich. Luna, der Mond, ist weiblich, ist im Lateinischen ein weib- 
liches Wort. Sol, das Sonnenhafte, befruchtet Luna, das Weibhafte. In 
der deutschen Sprache ist die Geschichte vollstandig umgekehrt; da 
sagt man die Sonne und der Mond, wahrend doch in Wirklichkeit die 
Sonne das Mannliche darstellt und der Mond das Weibliche. So ver- 
wirrt hat sich die Geschichte. Wir miifiten eigentlich, wenn wir richtig 
reden wollten, im Deutschen sagen: der Sonn und die Mond. 

Aber schon der alte Lateiner hat daruber einen Witz gemacht und 
hat gesagt - es ist dies nur ein Witz, mit dem ich die heutige Betrach- 
tung abschliefien will; ich wollte Ihnen hier nur etwas geben, was das 
nachste Mai noch viel deutlicher vor uns stehen wird der alte Latei- 
ner hat namlich gesagt: Wir haben zuerst einen solchen Mond (siehe 
Zeichnung); dann nimmt der Mond immer zu, wird so und dann wird 



i 1 



''///'' 



{ 



Taf el 7 



D 



er voll; claim nimmt er wiederum ab, wird so. - Und sehen Sie, wenn 
wir diese Worte nehmen in den romanischen Sprachen, zum Beispiel im 
Franzosischen, so konnen wir dieses da hier (siehe Zeichnung, ab- 
nehmende Mondsichel) zu einem C machen, und das da hier (zuneh- 
mender Mond, erstes Viertel), zu einem D; dann kommt aber heraus 
beim C croitre = wachsen. Aber da nimmt er gerade ab, der Mond, da 
wachst er nicht, wenn er ein C macht! Dagegen decroitre = abnehmen 
- da wachst er. So dafl, wenn wir an den Himmel hinaufschauen, der 
Mond uns sagt: «Ich wachse», wenn er eigentlich abnimmt, und ura- 
gekehrt. Daraus ist dann das Sprichwort entstanden: Der Mond ist ein 
Liigner. Er lugt einen an. 

Aber das hat ja noch eine tiefere Bedeutung. Die Menschen haben 
sich allmahlich geniert, iiber das Mondenhafte zu reden, weil das Mon- 
denhafte mit der Entstehung des Menschen zusammenhangt. Das wurde 
allmahlich etwas, woruber man nicht redete. Und die Menschen haben 
die Moglichkeit verloren, iiberhaupt von dem Mondenhaften in der 
richtigen Weise zu reden. Deshalb wurde der Mond auch ein Liigner. 
Wenn man ihn anschaute, sagte er fur die Menschen nicht dasjenige 
mehr, womit sie zusammenhangen. Die Arzte haben sich allmahlich 
abgewohnt, dariiber zu reden, dafi das Kind zehn Mondenmonate im 
Mutterleibe bleibt und haben von den neun Sonnenmonaten geredet, 
die dann ja ungefahr dieselbe Zeit sind. Aber in Wirklichkeit sind es 
zehn Mondenmonate, nicht neun Sonnenmonate. Das hangt eben mit 
dem Mond zusammen und stammt von daher, daft die Erde einmal in 
ihrem Bauch, in sich den Mond getragen hat und selber den Mond ge- 
boren und in den Weltenraum hinausgeworfen hat. 

Jetzt denken Sie, meine Herren: Ja, im Grunde genommen erzahle 
ich Ihnen ja gar nichts anderes, als was Ihnen heute einer erzahlt, wenn 
er Ihnen von einem alten Weltennebel redet, von so einem Dampf, aus 



dem sich wieder abgesoridert hat die Erde, und aus der Erde ist wieder 
der Mond herausgegangen. - Aber das ist alles mechanisch gedacht! 
Das ist alles materialistisch! Aus einem Dampf konnte niemals, wenn 
noch so viel herausfliefien wiirde, irgend etwas Lebendiges werden. 
Aber das, was ich Ihnen erzahlt habe, ist nicht ein alter Dampf. Sie 
konnen noch so viel Dampfe in dem Kessel erzeugen und sich etwas 
abspalten lassen - aber das, was ich Ihnen erzahle, fuhrt Sie zurikk zu 
einer Wirklichkeit. Und das ist die Wirklichkeit, nicht jener Dampf, 
von dem sich der Jupiter abgespalten haben soil und die Erde; und als 
die Erde noch gleich dem Jupiter gewesen ist, da hat sie den Mond hin- 
ausgeworfen. Der wirkliche Mond hangt eben zusammen mit dem gan- 
zen Wachstum und sogar mit der Fortpflanzung des Menschen, wie 
gesagt, und die Erde hat einmal ihre eigene Fortpflanzungskraft in sich 
gehabt, war mutterliche Erde, und ist von den Tieren, die da oben 
gewesen sind mit ihren Schalen, und von dem Sonnenschein befruchtet 
worden. Die Mondenkraft in der Erde ist von dem Sonnenschein be- 
fruchtet worden. Ja, da sehen Sie, wie wir allmahlich von der Erde in 
den Weltenraum hinauskommen. 

Ich stelle natiirlich ein bifichen starke Anforderungen an Ihre Auf- 
merksamkeit, aber Sie sehen ja, dafi man auch etwas Wirkliches daraus 
lernt! 



NEUNTER VORTRAG 
Dornach, 27. September 1922 



Ich habe Ihnen das letzte Mai geredet von dem Herausfliegen des Mon- 
des aus der Erde und wie das mit dem Leben auf der Erde iiberhaupt 
zusammenhangt. Ich kann mir schon denken, daft Sie viele Fragen 
haben werden. Wir konnen sie dann am nachsten Samstag behandeln. 
Oberlegen Sie sich bis dahin einiges. Aber heute mufi ich noch einiges 
auseinandersetzen. Da konnen sich auch vielleicht einige Fragen er- 
geben. 

Wir haben gesagt: Solange der Mond innerhalb der Erde war, so- 
lange war es mit dem, was man Fortpflanzungskraft der tierischen 
Wesen nennen kann, etwas ganz anderes als spater, nachdem der Mond 
hinausgeflogen war. Ich habe Ihnen gesagt, daft in der Zeit, in der der 
Mond noch in der Erde war, der Mond diejenigen Krafte fur die Erde 
hergegeben hat, die gewissermafien die miitterlichen Krafte sind, die 
weiblichen Krafte. So daft wir uns vorstellen konnen: Es hat eine Zeit 
gegeben, da war der Mond noch in der Erde drinnen. Ich will Ihnen das 
nur ganz schematisch aufzeichnen, wie das war. 



Als der Mond noch in der Erde drinnen war, da war er nicht in der 
Mitte drinnen, sondern etwas nach auften gelegen (siehe Zeichnung, 
links). Wenn Sie heute die Erde anschauen, dann werden Sie ja auch be- 




Taf el 8 



merken, daft auf der eincn Seite, mehr dahin, wo Australien liegt, viel 
Wasser auf der Erde ist, wahrenddem auf der Seite, wo Europa liegt 
und Asien, viel Land ist. So daft die Erde eigentlich nicht Land und 
Wasser gleich verteilt hat, sondern die Erde ist so, daft sie auf der einen 
Seite eigentlich das meisteLand hat und auf der anderen Seite das meiste 
Wasser. Also gleich verteilt ist der Stof f auf der Erde nicht (siehe Zeich- 
Tafel8 nung S. 149, rechts). Das war auch nicht gleich verteilt, als der Mond 
noch in der Erde drinnen war. Der Mond war eben nach der Seite ge- 
legen, wo die Erde iiberhaupt die Neigung hat, schwer zu sein. Natiir- 
lich, wenn da ein fester Stoff liegt, ist sie dort schwer. So daft ich also 
die Sache so zeichnen mufi, wie ich es dort mit weifter Kreide bezeichnet 
habe. 

Nun miissen Sie sich aber vorstellen, daft damals die Bef ruchtung so 
vor sich gegangen ist, daft der Mond, der in der Erde war, diesen Rie- 
senviechern die Krafte gegeben hat, durch die sie gewissermaften Fort- 
pflanzungsstoff lieferten. Man kann nicht sagen, daft dazumal schon 
etwa die Tiere richtige Eier gelegt hatten. Diese Riesenaustern sind ja 
selber eigentlich nur eine schleimige Masse gewesen und sie haben eben 
ein Stiickchen von sich abgesondert. So daft solch eine riesige Auster, 
wie ich es Ihnen das Ietzte Mai beschrieben habe, die urspriinglich so 
groft gewesen sein konnte wie ganz Frankreich, da eine machtige Schale 
gehabt hat, auf der man hatte herumspazieren konnen, und gegen das 
Innere der Erde zu eine Schleimmasse. Auf diese Schleimmasse haben 
die Mondenkrafte gewirkt, und da hat sich ein Stuckchen Schleimmasse 
abgesondert. Das ist dann weitergeschwommen in der Erde. Und wenn 



Tafel8 




wiederum die Sonne daraufgeschienen hat - ich habe Ihnen das an dem 
Beispiel vom Hund anschaulich erklart -, hat sich eben eine Eischale 
gebildet, und dadurch, daft sich diese Eischale gebildet hat, wurde die 
schleimige Masse der Auster wiederum geneigt, ein Stiickchen von sich 
abzusondern, und dann konnte ein neues Tier entstehen. So daft also 
die weiblichen Krafte vom Mond kamen, der in der Erde war, und die 
mannlichen Krafte von der Sonne, die von auften auf die Erde drauf- 
schien. Nun, meine Herren, da schildere ich Ihnen eine ganz bestimmte 
Zeit, die Zeit eben, wo der Mond noch in der Erde drinnen war. 

Nun miiftten Sie sich folgendes vorstellen. Heute, wo der Mond 
drauften ist, aufterhalb der Erde, da wirkt er ganz anders. Sie wissen ja 
auch, wenn die Kohlensaure im Menschen drinnen ist - ich habe es 
Ihnen das letzte Mai gesagt -, wirkt sie ganz anders, als wenn sie 
drauften ist, wo sie ein Gift ist. Wenn Sie sich an die Fortpflanzung der 
Tiere heute erinnern, so miissen Sie sagen: Die Tiere miissen Eier her- 
vorbringen, und diese Eier miissen dann erst in irgendeiner Weise be- 
fruchtet werden. Dasjenige also, was friiher der Mond gegeben hat, als 
er drinnen war in der Erde, das haben jetzt die Tiere in sich. Die Tiere 
haben diese Mondenkrafte in sich. 

Und von auften gibt ja der Mond auch noch Krafte. Ich habe Ihnen 
das letzte Mai gesagt: Sogar die Dichter wissen das, daft der Mond der 
Erde Krafte gibt. Aber das sind Krafte, durch die die Phantasie an- 
geregt wird, durch die man innerlich lebendiger wird. Das sind Krafte, 
die nicht mehr auf die Fortpflanzung wirken, sondern die von auften 
hereinstrahlen, die gar nicht mehr die Fortpflanzung bewirken konnen. 

So miissen Sie sich vorstellen: Dasjenige, was der Mond der Erde 
geben konnte, als er noch drinnen war, diese Fortpflanzungskrafte, die 
haben sich die Tiere angeeignet, als Erbschaft bekommen, und die 
pflanzen sie jetzt fort von einem Tier aufs andere. Also wenn Sie die 
Eier der Tiere anschauen, so miissen Sie sich sagen: Da drinnen sind die 
Mondenkrafte. Aber diejenigen Mondenkrafte sind da noch drinnen, 
welche gewirkt haben, als der Mond noch in der Erde war. Heute kann 
der Mond nicht mehr viel anderes bewirken, als daft er den Kopf an- 
regt. Also der Mond wirkt heute auf den Kopf. Dazumal hat er aber 
gerade auf die Fortpflanzung gewirkt. Sehen Sie, das ist ein betracht- 



licher Unterschied. Es ist ein grofier Unterschied, ob irgend etwas in 
der Erde drinnen ist, oder ob es aufierhalb der Erde ist. 

Mit der Fortpflanzung ist es ja eben doch eine recht merkwiirdige 
Sache. Aber wiederum miissen wir sagen: Alles Verstandnis der Natur 
iiberhaupt hangt zusammen damit, dafi man die Fortpflanzung ver- 
steht. Denn dadurch entstehen heute noch die einzelnen Tiere und die 
einzelnen Pflanzen. Wenn die Fortpflanzung nicht ware, ware alles 
langst tot geworden. Man mufi schon, wenn man irgend etwas liber die 
Natur verstehen will, die Fortpflanzung verstehen. Aber mit der Fort- 
pflanzung ist es etwas Eigentiimliches auf der Erde. 

Denken Sie sich einmal: Der Elefant hat die Eigentiimlichkeit, dafi 
er erst mit etwa fiinfzehn, sechzehn Jahren imstande ist, ein einziges 
Junges hervorzubringen. Nehmen Sie dagegen eine Auster; das ist so ein 
kleines, schleimiges Tier. Wenn Sie sich dieses riesig grofi denken, so 
haben Sie ungefahr diejenigen Viecher, die ich Ihnen fur die damalige 
Zeit gezeigt habe. Also, an der Auster kann man schon etwas lernen. 
Aber die Auster ist nicht wie der Elefant, der so viele Jahre warten 
mufi, urn ein Junges hervorzubringen. Eine einzige Auster kann in 
einem Jahr eine Million Austern hervorbringen. Also eine Auster steht 
in einem anderen Verhaltnis zu der Fortpflanzungsfahigkeit als der 
Elefant. 

Nun, meine Herren, ein anderes interessantes Tier ist die Blattlaus. 
Sie wissen, sie kommt auf den Blattern der Baume vor, findet sich iiber- 
haupt als eine recht schadliche Bevolkerung der Pflanzenwelt. Man 
leidet sehr unter ihr. Eine Blattlaus ist ja, wie Sie wissen, viel kleiner 
als ein Elefant, aber sie kann in wenigen Wochen - eine einzige Blatt- 
laus! - mehrere tausend Millionen Nachkommen erzeugen. Also ein 
Elefant braucht etwa fiinfzehn, sechzehn Jahre, bis er imstande ist, 
einen einzigen Nachkommen hervorzubringen, und die Blattlaus, die 
kann eben in wenigen Wochen sich so vermehren, daft von einer ein- 
zigen mehrere Millionen kommen. 

Und dann gibt es noch kleinwinzige Tiere, die nennt man Vorti- 
cellen. Wenn man sie durch ein Mikroskop anschaut, dann sind sie iiber- 
haupt nur so ein ganz kleines Schleimklumpchen, und sie haben einen 
Faden, an dem sie sich fortschlangeln. Es sind ganz interessante Tiere, 



aber sie bestehen nur aus einem ganz kleinen Schleimkliimpchen, wie 
wenn man einen Faden aus einer Auster herausnehmen wiirde, und sie 
schwimmen so herum. Diese kleinen Vorticellen, die sind nun ganz so, 
daft sie in vier Tagen hundertvierzig Billionen Nachkommen - eine 
einzige! - erzeugen konnen. Also man kann es auf die Tafel gar nicht 
aufschreiben, so viele Nullen mufi man aufschreiben. Das einzige, was 
damit konkurrieren kann, ist jetzt die russische Valuta! 

Also Sie sehen, es ist ein betrachtlicher Unterschied in der Fortpflan- 
zungsf ahigkeit zwischen einem Elef anten, der fiinfzehn, sechzehn Jahre 
warten muft, um ein einziges Junges hervorzubringen, und solch einer 
kleinen Vorticelle, die in vier Tagen sich so vermehrt, daft hundert- 
vierzig Billionen Nachkommen wachsen. 

Also sehen Sie, da liegen wirklich ganz bedeutende Naturgeheim- 
nisse vor. Und es gibt eine ganz interessante franzosische Erzahlung, 
die aufierlich mit dem nicht viel zu tun hat, aber innerlich doch. Da 
war ein bedeutender franzosischer Dichter - der hieft Racine. Und die- 
ser Racine, der brauchte, um solch eine Dichtung, wie zum Beispiel die 
«Athalie» zu schreiben, sieben Jahre. Also er hat in sieben Jahren ein 
solches Theaterstiick wie die «Athalie» geschrieben. Und da gab es zu 
seiner Zeit einen anderen Dichter, der war furchtbar stolz gegen den 
Racine und sagte: Der Racine braucht sieben Jahre, um ein Stuck zu 
schreiben; ich schreibe in einem Jahr sieben Stiicke! - Und da entstand 
eine Fabel, so eine Erzahlung, und diese Erzahlung, diese Fabel lautets 
Es haben einmal gestritten dasSchwein und der Lowe; und dasSchwein, 
das stolz war, sagte zum Lowen: Ich kriege jedes Jahr sieben Junge, 
aber du, Lowe, du bringst nur ein einziges in einem Jahr zustande. - 
Da sagte der Lowe: Jawohl, aber das einzige, das ist eben auch ein 
Lowe, und deine sieben sind Schweine. - Und damit, nicht wahr, hat 
Racine den Dichter abfertigen wollen. Er hat ihm nicht gerade sagen 
wollen, seine Theaters tiicke seien Schweine, aber er vergHch das, denn 
er sagte: Nun ja, du machst alle Jahr sieben solche Stiicke, aber ich 
mache in sieben Jahren eine «Athalie» - die heute weltberiihmt ist. 

Sehen Sie, so kann man sagen: Selbst in einer solchen Fabel, in einer 
solchen Erzahlung liegt so etwas drinnen, daft es wertvoller ist, nach 
Elefantenart fiinfzehn, sechzehn Jahre zu brauchen, um dann ein 



Junges zu kriegen, als eine Vorticelle zu sein, die in vier Tagen sich so 
vermehrt, dafl sie hundertvierzig Billionen Junge kriegt. Man redet 
schon viel, dafi die Kaninchen so viel Junge kriegen; wenn man nun gar 
von der Vorticelle reden wiirde - eine solche Vermehrungsfahigkeit ist 
ja gar nicht auszudenken! 

Nun mufi man doch herausbekommen, woran das liegt, dafi solche 
kleinwinzigen Tiere so viele Junge kriegen, wahrend der Elefant so 
lange dazu braucht. 

Nun habe ich Ihnen gesagt: Die Sonne, die ist dasjenige, was eigent- 
lich der Befruchtung zugrunde liegt. Die Sonne braucht man also heute 
auch noch bei der Befruchtung. Und ich habe Ihnen auch gesagt: "Wenn 
cin Himmelskorper draufien ist wie der Mond, so wirkt er hochstens 
noch auf den Kopf, aber nicht mehr wirkt er auf die Unterleibsorgane, 
also nicht mehr direkt auf die Fortpflanzungskrafte. Die Fortpflan- 
zungskrafte miissen heute vererbt werden von einem Wesen aufs an- 
dere. Aber, meine Herren, in einem gewissen Sinne ist dennoch das- 
jenige, was da geschieht in der heutigen Fortpflanzung noch, doch noch 
vom Monde abhangig. Und das will ich Ihnen auf die folgende Weise 
erklaren, indem ich auch wiederum auf die Sonne zuriickgehe. 

Sehen Sie, wir miissen uns fragen: Warum braucht der Elefant fiinf- 
zehn, sechzehn Jahre, um seine Fortpflanzungsfahigkeit so weit zu 
bringen, dafi er ein Junges kriegt? Nun wissen Sie alle, dafi der Elefant 
ein Dickhauter ist, und weil er ein Dickhauter ist, braucht er so lange. 
Eine dicke Haut lalk namlich die Sonnenkrafte weniger stark durch 
sich durch, als wenn man eine Blattlaus ist und ganz weich ist und 
iiberall die Sonnenkrafte hereinkonnen. So dafi tatsachlich die geringe 
Fortpflanzungsfahigkeit des Elefanten eben mit seiner Dickhautigkeit 
zusammenhangt. 

Das konnen Sie ja auch daran sehen: Denken Sie wiederum zuriick 
an diese riesigen schwimmenden Austern. Ja, es wiirde niemals eine 
zweite Auster entstehen, wenn es auf die Sonne nur ankame, die da 
draufstrahlt auf diesen Schuppenpanzer, auf die dicke Haut! Sondern 
diese Auster, die gibt ein bifichen Schleim ab, habe ich Ihnen gesagt; 
der Schleim, der hat noch keine Austernschale, da kann die Sonne drauf- 
kommen. Und indem sie anfangt, den Schleim abzutrocknen und eine 



neue Auster dadurch entstehen kann, wirkt sie auf diese Auster befruch- 
tend. - Ja, wenn die Sonnenstrahlen von aufien kommen, meine Herren, 
dann konnen sie eben nur Schalen erzeugen. Wie kommt es denn, dafl 
die Sonnenkrafte dennoch befruchtend wirken konnen? 

Sehen Sie, da miissen wir wiederum etwas anderes anschauen, damit 
Sie einsehen konnen, wie die Geschichte eigentlich zusammenhangt. Sie 
wissen vielleicht, dafi die Bauern, wenn sie die Kartoffeln geerntet 
haben, ziemlich tiefe Gruben machen, und in diese Gruben hinein legen 
sie die Kartoffeln. Dann graben sie die Gruben wieder zu. Und sie 
graben dann spater, wenn der Winter voriiber ist, aus diesen Gruben 
die Kartoffeln wiederum aus, weil sie da drinnen gut geblieben sind. 
Wenn sie die Kartoffeln einfach in dem Keller aufgehoben hatten, 
waren sie zugrunde gegangen. Da drinnen bleiben sie ganz gut. 

Woher kommt das eigentlich? Es ist eine sehr interessante Sache. Die 
Bauern wissen nicht viel Auskunft dariiber zu geben. Aber, meine Her- 
ren, wenn Sie selber eine Kartoffel waren und wiirden da hinein- 
gegraben in diese Grube, so wiirden Sie sich da drinnen, wenn Sie nicht 
gerade etwas zu essen brauchten, eigentlich aufierordentlich gut fiihlen. 
Denn sehen Sie, da drinnen bleibt namlich die Sonnenwarme vom 
Sommer drinnen, und dasjenige, was im Sommer von der Sonne auf die 
Erde draufscheint, das zieht sich immer mehr und mehr eben nach 
unten hin. Und wenn man im Januar in die Erde hineingrabt, so ist da 
noch die Sonnenwarme und alle anderen Sonnenkrafte vom Sommer, 
die sind da eineinhalb Meter tief noch drinnen. 

Das ist das Merkwiirdige. Im Sommer, da ist die Sonne draulSen, da 
erwarmt sie von draufien, und im Winter, da zieht sich die Sonnenkraf t 
nach unten und ist weiter unten zu finden. Aber sie kann nicht sehr tief 
nach unten gehen; sie stromt wiederum zuriick. Wenn man eine Kar- 
toffel ware und da unten lage, so wiirde es einem ganz gut gehen; ein- 
heizen brauchte man nicht, denn erstens ist da noch die Warme vom 
Sommer drinnen, und zweitens kommt es ganz warm herauf von unten, 
weil die Sonnenkrafte wiederum zuriickstrahlen. Und diesen Kartof- 
feln ist es eigentlich furchtbar wohl. Da geniefien sie eigentlich erst die 
Sonne. Im Sommer haben sie nicht viel von der Sonne, da ist es ihnen 
sogar unangenehm.Wenn sie Kopfe hatten, kriegten sie Kopfweh, wenn 



die Sonne so draufscheint; da ist es eigentlich unangenehm fur die Kar- 
tof feln. Aber im Winter, wenn ihnen die Wohltat geschieht, in die Erde 
hineingegraben zu werden, da konnen sie die Sonne erst so recht ge- 
niefien. 

Daraus sehen Sie, dafi die Sonne ja nicht nur wirkt, wenn sie auf 
etwas draufscheint, sondern sie wirkt weiter, wenn ihre Krafte von 
etwas aufgefangen, aufgehalten werden. 

Ja, meine Herren, jetzt tritt eine Eigentiimlichkeit ein. Ich habe 
Ihnen gesagt: Wenn ein Korper draufien ist aus der Erde, dann wirkt er 
abtotend, entweder - wie die Kohlensaure - wie ein Gift, oder aber wie 
die Sonne hier, die Schuppen erzeugt, wenn sie draufscheint; die ver- 
hartet das Lebewesen, auf das sie draufscheint. Aber im Winter, da ist es 
ja gar nicht wahr, dafi die Sonne von aufien wirkt; da wirkt sie vom 
Inneren der Erde. Da lafit sie ihre Kraft zuriick, wirkt im Inneren der 
Erde. Und da frischt sie im Inneren der Erde auch wiederum die Fort- 
pflanzungskrafte auf. So dafi dieFortpflanzungskrafte heute, in unserer 
Gegenwart, auch von der Sonne kommen, aber nicht etwa von der 
direkten Sonnenbestrahlung, sondern sie kommen von dem, was in der 
Erde drinnen zuriickbleibt und im Winter dann wiederum zuriick- 
strahlt. 

Es ist eine sehr interessante Sache. Es ist gerade so, wie wenn wir die 
Kohlensaure einatmen: da ist sie ein Gift. Wenn aber die Kohlensaure 
in unserem Korper drinnen ist und durch das Blut geht, da brauchen 
wir sie. Denn hatten wir keinen Kohlenstoff, so hatten wir iiberhaupt 
nichts in uns. Da brauchen wir ihn im Inneren, da ist er wohltatig; von 
aufien ist er Gift. Sonnenstrahlen von aufien erzeugen Schalen bei den 
Tieren, Sonnenstrahlen, von innen aufgefangen und wiederum zuriick- 
gestrahlt, erzeugen Leben, machen die Tiere fortpflanzungsfahig. 

Aber, meine Herren, denken Sie sich jetzt, Sie waren nicht eine Kar- 
toffel, sondern ein Elefant. Da hatten Sie eine furchtbar dicke Haut, 
und da liefien Sie nur wenig von dieser Warme in sich herein, die die 
Erde da von der Sonne hat. Daher brauchten Sie furchtbar lang, wenn 
Sie ein Elefant waren, um ein Elefantenkind hervorzubringen. Aber 
denken Sie sich, Sie waren eine Blattlaus oder eine Auster; da waren Sie 
ja - bei dieser Auster - gerade gegen die Erde zu nur eine Schleimmasse. 



Solch eine Schleimmasse ist der Elefant nicht. DerElefant ist nach alien 
Seiten durch seine Haut abgeschlossen, lafit also diese Warme, die von 
unten kommt, furchtbar langsam nur in sich hinein. 

Nun, sehen Sie, das ist so: SolcheTiere wie Blattlause, die halten sich 
auch so in der Nahe der Erde schon auf und aufierdem an Pflanzen und 
haben gar keine dicken Haute; die konnen furchtbar leicht das, was da 
von der Erde zuriickdunstet, mit dem Friihling aufnehmen, bekommen 
also ihre Fortpflanzungskrafte immer rasch aufgefrischt. Und die Vor- 
ticellen erst recht, denn die leben im Wasser und das Wasser bewahrt 
die Sonnenwarme noch viel intensiver, so daft die aufgesparte Sonnen- 
warme in den Vorticellen die hundertvierzig Billionen zur richtigen 
Jahreszeit hervorbringt; das heifit, wenn sie geniigend aufgenommen 
haben von dem, was die Sonnenwarme im Wasser ist, konnen sie sich 
furchtbar rasch fortpflanzen. So konnen wir sagen: Heute ist es bei der 
Erde so, dafi sie die Fortpf lanzungsf ahigkeit ihren Wesen dadurch gibt, 
dafi sie die Sonnenkrafte in sich wahrend des Winters bewahrt. 

Nun gehen wir von da aus auf die Pflanzen iiber. Sehen Sie, bei den 
Pflanzen, da ist es so: Sie wissen, es gibt bei den Pflanzen auch eine 
Fortpf lanzung durch sogenannte Stecklinge. Wenn also die Pflanze aus 
der Erde herauswachst, so kann man irgendwo einen Steckling ab- 
schneiden. Man mufi ihn ordentlich herausschneiden, kann ihn dann 
wiederum einsetzen, und das wachst sich dann zur Pflanze aus. Solch 
eine Fortpflanzung gibt es bei gewissen Pflanzen. Woher kommt denn 
das? Diese Kraft, die da die Pflanzen haben, sogar noch durch ein 
Stuckchen von ihnen sich fortzupflanzen, haben die Pflanzen aus dem 
Grunde, weil sie ja den Samen im Winter in der Erde drinnen haben. 
Das ist namlich eine ganz besonders wichtige Sache bei den Pflanzen. 
Will man irgendwie Pflanzen zum richtigen Wachstum bringen, so ist 
es ja so, nicht wahr, dafi sie eigentlich im Winter in der Erde drinnen 
sein mussen. Sie miissen iiberhaupt aus der Erde herauswachsen. Es gibt 
ja Sommerf riichte, da konnten wir ja spater einmal dariiber reden. Aber 
in der Hauptsache mussen die Pflanzen in der Erde drinnen ihren 
Samen entwickeln, und dann konnen sie wachsen. Man kann manchmal 
zwiebelartige Gewachse auch im Wasser zum Wachsen bringen, aber 
da mufi man besondere Mafiregeln ergreifen, nicht wahr. In der Haupt- 



sache ist es so in der Natur, dafi die Pflanzen in die Erde hineingesetzt 
werden miissen und von da aus ihre Kraft zum Wachsen haben miissen. 

"Was geschieht nun da, meine Herren, wenn ein Samenkorn in die 
Erde hineingelegt wird? Da ist dieses Samenkorn erst recht in die Wbhl- 
tat versetzt, diese von der Sonne der Erde iibergebenen Krafte in sich 
aufzunehmen. Gerade das Pf lanzensamenkorn, das nimmt diese Krafte, 
die da von der Sonne in die Erde hineinkommen, erst recht auf . 

Beim Tier, da geht das viel schwerer. Diejenigen Tiere, die in der 
Erde selber drinnen sind wie die Regenwiirmer und dergleichen, die 
nehmen diese Kraft auch leicht auf. Deshalb pflanzen sich diese auch 
alle sehr stark fort, alle die Tiere, die entweder ganz nahe der Erde oder 
in der Erde sind. Wiirmer sind ja auch so, daft sie furchtbar viel Nach- 
kommen haben, und zum Beispiel gerade solche Wiirmer, die auch 
leider in die menschlichen Gedarme kommen konnen, erzeugen furcht- 
bar viele Nachkommen, und der Mensch mufi fortwiihrend seine 
eigenen Krafte anstrengen, damit diese Wiirmer nicht schrecklich viele 
Nachkommen erzeugen. So dafi man da eben, wenn man Wiirmer in 
sich hat, fast alle Lebenskrafte anwenden mufi, urn diese Schreckens- 
kerle, die man in sich hat, zu toten. 

Ja, aber Pflanzen, die sind in der Lage, dafi sie aus dem Boden her- 
Tafel8 auswachsen (siehe Zeichnung); da unten ist die Wurzel, dann wachsen 
sie aus dem Boden heraus, und dann haben sie die Blatter, dann ent- 
wickeln sie die Bliiten und neue Samen. Aber, meine Herren, Sie wissen 
ganz genau: Wenn die Bliite anfangt sich zu entwickeln, da wachst die 
Pflanze nicht mehr nach oben. Das ist sehr interessant. Der Same der 
Pflanze, der Keim, der wird in den Boden gegeben; da wachst der 
Stengel heraus, es werden Blatter, griine Blatter, und nachher kommt 
die Bliite. Da wird das Wachstum aufgehalten, und die Pflanze macht 
jetzt geschwind, erzeugt geschwind den Samen. Denn wiirde sie nicht 
geschwind den Samen erzeugen, so wiirde die. Sonne alle Kraft auf diese 
Bliitenblatter verwenden, die unfruchtbar waren. Die Pflanze wiirde 
oben eine riesige schone Bliite kriegen, vielfarben, aber der Same wiirde 
sich nicht entwickeln konnen. Die Pflanze nimmt zuletzt noch alle 
Kraft zusammen, um geschwind den Samen zu erzeugen. 

Sehen Sie, die Sonne, die von aufien kommt, die hat die Eigentiim- 




Tafel 



lichkeit, die Pflanzen schon zu machen. Wenn wir schone Pflanzen auf 
der Wiese finden, so ist es die auftere Sonne mit ihren Strahlen, die diese 
schonen Farben hervorbringt. Aber sie wiirde die Pflanzen damit er- 
sterben machen, geradeso wie sie mit der Austernschale die Auster 
ersterben macht, vertrocknet. 

Daher konnen Sie das auch auf der ganzen Erde sehen. Dieses Wir- 
ken der Sonne konnen Sie besonders schon sehen, wenn Sie in heifte 
Gegenden kommen, in Aquatorialgegenden; da schwirren alle Vogel in 
den wunderbarsten Farben durcheinander. Das ist die Wirkung der 
aufieren Sonne. Diese Federn sind alle wunderschon gefarbt, enthalten 
aber keine Lebenskraft mehr in sich. In den Federn ist die Lebenskraft 
am meisten abgestorben. 

Und so ist es bei der Pflanze. "Wenn sie aus dem Erdboden heraus- 
wachst, da hat sie strotzende Lebenskraft. Dann verliert sie diese immer 
mehr und mufi zuletzt noch alle Kraft zusammennehmen; das ganz 
kleine bifichen Lebenskraft bringt sie noch in den Samen hinein. Und 
die Sonne macht schone Blatter, farbigeBliiten, aber sie totet die Pflanze 
dabei ab. In den farbigen Blumenblattern lebt nichts von Fortpflan- 
zungsfahigkeit. 



Aber was tut denn die Pflanze, wenn man ihren Samen in die Erde 
hereingibt? Da lafit sie sich nicht nur darauf ein, in die Erde hinein- 
gelegt zu werden, sondern sie bringt Wachstum in den Blattern herauf ; 
das tragt sie herauf. Wenn ich da etwas Grimes zeichne, entwickeln das 
die Sonnenkrafte, also Warme, Licht und so weiter. So gehen die Son- 
nenkrafte herauf in der Pflanze. Die nimmt sich die Pflanze im Samen- 
korn mit, wahrenddem die Sonnenkrafte, die von auften kommen, die 
Pflanze ertoten, so dafi da eine sehr schone Bliite entsteht. Aber da 
mitten drin ist noch der Same, der noch von der mitten im Winter auf- 
gespeicherten Sonnenwarme kommt. Von der heurigen Sonne kommt 
der Same nicht. Das ist blofi eine falsche Vorstellung. Von der heurigen 
Sonne kommt die schone Bliite; der Same aber kommt von der Sonnen- 
warme des vorigen Jahres, der hat noch die Kraft, die die Sonne erst 
der Erde hingegeben hat. Die tragt die Pflanze durch ihren ganzen 
Korper durch. 

Beim Tier ginge das nicht so leicht. Das Tier ist darauf angewiesen, 
dafi diese Sonnenwarme mehr von aufien, mehr von der Erde kommt 
und nur aufgefrischt wird. Denn das Tier nimmt nicht die Sonnenkrafte 
so direkt auf wie die Pflanze. Die Pflanze aber tragt durch ihren 
eigenen Leib bis zum Samen in der Bliite herauf die vorjahrige Sonnen- 
warme, die also in die Erde hinein sich aufgespeichert hat. 

Wenn man diese Geschichte richtig betrachtet - es ist aufierordent- 
lich interessant, es ist wunderbar interessant -, dann sagt man sich: 
Pflanzen und Tiere pflanzen sich fort. Sie konnten sich nicht fortpflan- 
zen, wenn nicht die Sonne wirkte. Ware keine Sonne da, konnten sie 
sich nicht fortpflanzen. Aber die Sonne, die draufien ist am Himmels- 
raume, aufier der Erde, die totet gerade die Fortpflanzungsfahigkeit. 
Es ist eine solche Sache wie mit der Kohlensaure: Wenn wir die Kohlen- 
saure einatmen, so totet sie uns; wenn wir sie in uns haben, so belebt sie 
uns. Wenn die Erde die Sonnenstrahlen von aufien bekommt, so wer- 
den ihre Tiere und Pflanzen getotet; wenn die Erde den Tieren und 
Pflanzen von ihrem Inneren aus das, was in der Sonne ist, geben kann, 
so werden sie gerade recht belebt und zur Fortpflanzung angeregt. Das 
sieht man an den Pflanzen; die entwickeln fortpflanzungsfahige Samen 
nur aus der Kraft der Sonne, die sie von friiher mitnehmen, vom 



vorigen Sommer. Was die Pflanze dieses Jahr schon werden lafit, das 
kommt von der heurigen Sonne. Das ist iiberhaupt so: Das Innere, das 
wachst von der Vergangenheit, und schon - schon wird man durch die 
Gegenwart. 

Nun, meine Herren, dem Elefanten mit seiner dicken Haut, dem 
wiirde aber das bifichen Warme von der Erde her und das biikhen 
Sonne drinnen, das er von der Erde her bekommt, furchtbar wenig 
niitzen, denn der ist eben ein Dickhauter. Da gehen diese Krafte nicht 
so leicht durch. Der mufi sehr viel in seinem eigenen Samen aufgespei- 
chert haben von friiher her. Mondenkrafte hat er aufgespeichert. Die 
braucht er ja natiirlich zur mutterlichen, zur weiblichen Fortpflanzung. 
Die hat er aufgespeichert. Der Mond ist heraus aus der Erde, und die 
Tiere, die sich fortpflanzen, die haben eben jetzt die Mondenkrafte in 
sich. 

Sehen Sie, da kommt etwas, was man iiberhaupt recht beriicksich- 
tigen mufi. Es konnte natiirlich einer kommen und sagen: Da ist solch 
ein dummer Kerl, der von den ehemaligen, von den friiheren Monden- 
kraften sagt, da leben in den Eiern, in den Fortpflanzungskraften noch 
solche alten Krafte drinnen. Dieser dumme Kerl behauptet, die gegen- 
wartigen Fortpflanzungskrafte, die seien von friiher her. - Ich wiirde 
diesem Menschen einfach sagen: Hast du denn noch nie gesehen, dafi 
etwas, was jetzt lebt, etwas in sich hat, was von friiher her ist? — Ich 
wiirde ihm einen Buben zeigen, der seinem Vater so ahnlich ist, dafi er 
ihm, wie man sagt, wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Ja, wenn man 
dann zuriickgeht - der Vater konnte ja sogar schon gestorben sein; 
einer konnte den Vater gekannt haben, als der Vater selber ein so klei- 
ner Bub war, wie der Junge jetzt ist, und der Betreffende konnte sagen: 
Ja, der Bub ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. - Aber 
er schaut ihm gerade ahnlich, so wie der Vater war, als er selber so ein 
kleiner Bub war. Was Sie da vor vielleicht dreiftig oder vierzig Jahren 
gesehen haben - bei dem kl einen Bub ist es jetzt noch drinnen! Immer 
sind die Krafte der Vergangenheit in dem, was in der Gegenwart lebt, 
noch drinnen. Und so ist es auch mit den Fortpflanzungskraften. Das, 
was in der Gegenwart ist, das stammt aus der Vergangenheit. 

Sie wissen ja, man hat es als einen besonders starken Aberglauben 



angeschaut, daft der Mond aufs Wetter wirken soil. Nun, darinnen 
steckt auch sehr viel Aberglaube. Aber einmal hat es doch zwei Ge- 
lehrte gegeben in Deutschland, an der Universitat in Leipzig, von denen 
hat der eine sich gesagt - Fechner hat er geheifien -: Vielleicht steckt 
in diesem Aberglauben, daft der Mond aufs Wetter wirke, wirklich ein 
bifichen Wahrheit. - Und da hat er sich notiert, wie das Wetter war 
beim Vollmond, und wie das Wetter war beim Neumond, und hat ge- 
funden: Es ist ein Unterschied; es regnet mehr bei Vollmond als bei 
Neumond. - Das hat er herausgekriegt. Daran muft man ja noch nicht 
glauben. Solche Notizen sind nicht sehr uberzeugend. Bei der wirk- 
lichen Wissenschaft muft man viel, viel genauer arbeiten. Aber er hat 
doch gesagt, man miisse eben solche Untersuchungen fortsetzen und 
sehen, ob nicht doch dabei herauskommt, daft der Mond auf das Wetter 
wirkt. 

Nun war an derselben Universitat Leipzig ein anderer, einer, der 
sich fur viel gescheiter gehalten hat - Schleiden hat er geheifien -, der 
hat gesagt: Nun fangen sogar schon meine Kollegen an, davon zu reden, 
daft der Mond auf das Wetter wirkt. Donnerwetter, die Geschichte 
geht nicht, da muft man mit aller Kraft dagegen ansturmen! - Da hat 
der Fechner gesagt: Nun schon, zwischen uns Mannern wird der Streit 
schon bestehen bleiben, aber wir haben ja auch Frauen. - Sehen Sie, das 
war noch in fruheren Zeiten. Als die zwei Universitatsprofessoren in 
Leipzig gelebt haben, da haben die Universitatsprofessoren-Frauen 
noch einen alten Brauch gehabt in der Stadt. Sie haben namlich ihre 
Troge, ihre Bottiche in den Regen gestellt, um da Waschwasser zu 
bekommen. Sie haben das gesammelt, weil das Wasser nicht so leicht zu 
kriegen war im alten Leipzig. Es hat dazumal noch keine Wasser- 
leitungen gegeben. - Da hat der Professor Fechner gesagt: Ja, diesen 
Streit sollen einmal unsere Frauen ausmachen. Die Frau Professor 
Schleiden und die Frau Professor Fechner, die sollen das so machen: 
Damit sie immer gleich viel Regenwasser bekommen, kann Frau Pro- 
fessor Schleiden beim Neumond ihre Troge herausstellen, und meine 
Frau, die stellt die Troge heraus beim Vollmond! - Da hat er sich ge- 
sagt: Nach meiner Rechnung kriegt sie dann das meiste Regenwasser. 

Nun, sehen Sie, die Frauen sind nicht darauf eingegangen. Die woll- 



ten nicht auf die Wissenschaft ihrer Manner eingehen. Die haben sich 
gar nicht iiberzeugen lassen. So kam einmal auf eine merkwiirdige"Weise 
die Geschichte heraus, dafi ein Mensch, selbst wenn die Wissenschaft in 
Form vom Mann dasteht, nicht daran glaubt, wie die Frau Schleiden, 
und sich nicht sagt: Ich kriege geradesoviel Wasser beim Neumond wie 
beim Vollmond, sondern ihre Regentroge auch beim Vollmond heraus- 
stellen wollte, trotzdem ihr Mann furchterlich gewettert hat auf den 
Fechner. 

Das ist etwas, was ja noch nichts beweist. Aber sehen Sie, etwas 
Merkwiirdiges ist doch, dafi heute noch Ebbe und Flut mit Sonne und 
Mond zusammenhangen. So dafi man schon sagen kann: Fluten treten 
bei einem Mondesviertel ganz anders auf als bei irgendeinem anderen 
Mondesviertel. Das hangt zusammen. Aber, meine Herren, davon 
kommt es nicht, dafi der Mond irgendwo aufs Meer scheint und da- 
durch eben Flut entsteht, sondern das ist eine alte Geschichte. 

Als der Mond noch in der Erde drinnen war, da hat er seine Krafte 
entwickelt und die Fluten bewirkt. Und die Erde hat noch immer diese 
Reste von den Kraften selbst, durch die die Flut entsteht. Kein Wunder, 
die Erde macht das schon selbstandig. Heute ist es ein Aberglaube, wenn 
man glaubt, der Mond wirke auf die Erde. Aber er. hat einmal auf die 
Erde gewirkt, als er noch drinnen war, als alles noch auf die Erde ge- 
wirkt hat; und die Erde ist noch immer in diesem Zusammenhang 
drinnen. Sie macht deshalb Ebbe und Flut vom Monde abhangig. Aber 
das ist nur scheinbar. Geradeso wie wenn ich auf meine Uhr schaue, ich 
auch nicht sage: Sie wirft mich um zehn Uhr zum Saal heraus. - So 
treffen heute die Mondphasen mit Ebbe und Flut zusammen, weil das 
einmal voneinander abhing. 

'Und so ist es mit den Fortpflanzungskraften, soweit sie vom Mond 
abhangen, soweit sie also weiblich sind. Und so ist es mit den Fort- 
pflanzungskraften, soweit sie von der Sonne abhangig sind, also von 
derjenigen Sonnenkraft kommen, die im Inneren der Erde ist. 

Aber alle dieTiere, die sich so stark fortpflanzen, bis in die Billionen 
hinein, die also diese von der Sonne durch die Erde aufgespeicherten 
Sonnenkrafte beniitzen konnen, das sind niedere Tiere. Die hoheren 
Here und dieMenschen, die haben diese Fortpflanzungskrafte geschiitzt 



im Inneren, Da kommt zwar etwas noch von der Sonnenkraft heran 
und frischt diese Krafte immerfort auf. Ohne Auffrischung wiirden sie 
auch nicht da sein. Aber aus dem, was heute in der Erde von der Son- 
nenkraft drinnen ist, wiirden sie nicht so richtig ihre Fortpflanzungs- 
krafte haben konnen. 

Die Pflanze kann sie haben, weil sie das, was in der Erde drinnen 
lebt, vom Winter in den Sommer hinein durch ihren eigenen Korper 
hinauftragt. Die Pflanze, die hat die Fortpflanzungskraft vom vorigen 
Jahr. 

Aber der Elefant kann sie nicht haben vom vorigen Jahr. Der hat sie 
von einer Zeit vor Jahrmillionen, und hat sie eben in seinem Fortpflan- 
zungssamen, den er wiederum vererbt vom Elefantenvater auf den 
Elefantensohn. Da hat er sie drinnen. Aber aus welcher Zeit hat er sie 
drinnen! Nun, geradeso wie die Pflanze in sich die Fortpflanzungskraft 
vom vorigen Jahr hat, so hat der Elefant die Fortpflanzungskraft von 
Jahrmillionen in sich. Deshalb kann sich die Pflanze -und die niedrigen 
Tiere - daraus fortpflanzen, weil sie heute noch die von der Erde auf- 
gespeicherte Kraft benutzen konnen. Das sind ungeheuer starke Fort- 
pflanzungskrafte. Diejenigen Tiere, die darauf angewiesen sind, sehr 
weit zuruckliegende Krafte in sich noch aufzubewahren, die konnen 
sich nur schwach fortpflanzen. 

Aber gehen wir jetzt zuriick zu der Zeit, wo da solche Riesenaustern 
waren: Kaum hat eine solche Auster das erreicht, dafi sie von der Sonne 
beschienen worden ist, da verlor sie schon die innere Kraft, konnte nur 
diejenige benutzen, die aus der Erde heraufkam. Aber sie konnte sie 
doch noch benutzen, weil die Auster nach unten off en war. Wenn diese 
Auster auch so grofi war wie heute Frankreich, nach unten war sie 
offen, konnte die Erdenkrafte, die von der Sonne kamen, in sich auf- 
nehmen. Als diese Tiere sich dann umgestaltet hatten zu Megatherien, 
zu Ichthyosauriern, als sie von der Sonne so beschienen wurden, dafi sie 
von alien Seiten kam, sie also nicht mehr von unten her offen waren, 
da waren sie auf die Fortpflanzungskraft angewiesen, die sie in sich 
selber hatten, die hochstens aufgefrischt wurde durch die Sonne. 

Ja, meine Herren, was mufi es denn da einmal fur eine Zeit ge- 
geben haben, wenn Tiere Fortpflanzungskrafte gekriegt haben, die sie 



nicht bekommen konnen, wenn die Sonne von auften scheint? Es mufi 
einmal eine Zeit gegeben haben, wo die Sonne in der Erde drinnen war, 
wo also nicht blofi das bifichen Sonnenkrafte in die Erde hereingekom- 
men ist, das im Winter zum Beispiel dableibt fur die Kartoffeln; son- 
dern es hat einmal eine Zeit gegeben, wo die ganze Sonne in der Erde 
drinnen war. 

Nun werden Sie sagen: Die Physiker sagen aber, dafi die Sonne so 
furchtbar heifi ist, und wenn die Sonne in der Erde drinnen war, so 
hatte sie ja alles verbrannt. - Ja, meine Herren, das wissen Sie ja nur 
von den Physikern. Aber die Physiker wiirden namlich hochst erstaunt 
sein, wenn sie sehen konnten, wie die Sonne wirklich ausschaut. Wenn 
sie einmal einen Luftballon bauen und da hinauffahren konnten, so 
wiirden sie gar nicht finden, dafi die Sonne so heifi ist, sondern die 
Sonne ist gerade in sich drinnen voller Lebenskrafte, und die Hitze ent- 
wickelt sie, indem die Sonnenstrahlen durch Luft und alles mogliche 
durchgehen. Da entwickelt sie erst die Hitze. Also als die Sonne einmal 
in der Erde drinnen war, da war sie voller Lebenskrafte. Da hat sie 
nicht nur das bifichen Lebenskrafte geben konnen, das sie heute geben 
kann, sondern als die Sonne einmal in der Erde drinnen war, da konn- 
ten diese lebendigen Wesen, Tiere und Pflanzen, die damals da waren, 
geniigend kriegen von dem, was ihnen die Sonne gab, denn die Sonne 
war ja in der Erde selber drinnen. Da entwickelten diese Austern aber 
auch keine Schalen, sondern da waren sie iiberhaupt blofier Schleim. 

Und nun denken Sie sich: Da war also die Erde, der Mond in ihr, die 
Sonne war in der Erde drinnen, Austern entwickelten sich, die keine 
Schalen hatten, sondern die Schleim waren. Es entstand Schleim; der 
schmierte sich ab, trennte sich ab, wiederum entstand eine Auster, 
wiederum entstand eine Auster und so weiter fort. Die waren aber so 
riesengroft, dafi man sie gar nicht voneinander unterscheiden konnte. 
Sie grenzten aneinander an. Wie mufi denn dazumal die Erde aus- 
gesehen haben? So ahnlich wie unser Gehirn namlich, wo auch die Zel- 
len nebeneinander liegen. Da liegt auch eine Zelle neben der anderen; 
nur sterben die ab, wahrend dazumal, als die Sonne in der Erde drinnen 
war, Austernzellen, riesige Zellen, eine neben der anderen, waren, und 
die Sonne ihre Krafte entwickelte, die sie ja fortwahrend entwickelte, 



weil sie in der Erde drinnen war. Ja, meine Herren, bedenken Sie jetzt 
das: Da war also die Erde da (siehe Zeichnung), hier eine Riesenauster, 
da wieder eine Riesenauster, wieder eine, lauter solche Riesenschleim- 
batzen nebeneinander, und die pflanzten sich immer fort. Und die heu- 



Tafel8 

% '''sj&y' ,/////(,*/// /'-""^ f 



tigen Austern pflanzen sich noch so rasch fort, daft sie in einer kurzen 
Zeit eine Million Nachkommen haben konnen; da pflanzten sich die 
damaligen Austern erst recht rasch fort. Donnerwetter, kaum war die 
alte Auster da, waren schon die Jungen wieder da, und die hatten wie- 
der Junge und so weiter. Die Alten muftten sich wieder auflosen. Wenn 
das einer von aufien angeschaut hatte, wie da dieser riesige Erdklumpen 
wie ein grofies Gehirn dagewesen ware, natiirlich viel weicher, viel 
schleimiger als ein heutiges Gehirn, wie da eine Riesenauster sich so 
schnell fortpflanzte - aber jede andere hatte wieder eine Million Nach- 
kommen haben konnen -, der hatte gesehen: Da mufite jeder sich gegen 
die anderen verteidigen, weil sie aneinander anstiefkn. Und wenn da 
einer gekommen ware, ein besonders Neugieriger, und hatte von einem 
fremden Stern zugeschaut, da hatte er gesehen: Da unten schwimmt im 
Weltenraum ein Riesenkorper, aber der ist ganz Leben, bringt fort- 
wahrend Leben hervor, besteht nicht nur aus Millionen von ineinander- 
geschobenen Austern, sondern die vermehren sich fortwahrend. Und 
was hatte er gesehen? Ganz dasselbe - nur riesengrofi -, was man heute 
sieht, wenn man ein kleines Ei, aus dem ein Mensch entsteht, in der 
ersten Zeit anschaut! Da geht es nur ganz kleinwinzig vor sich. Da sind 
auch diese kleinen Zellenschleimblaschen, die sich rasch vermehren, 



denn sonst wiirde der Mensch in den ersten Wochen, in denen er ge- 
tragen wird, seine Grofte nicht erreichen konnen. Die Zellen sind eben 
so klein, daft sie sehr rasch sich vermehren miissen. Hatte man dazumal 
die Erde angeschaut, man hatte das Bild von der Erde bekommen: Ein 
Riesentier, und darinnen die Krafte der Sonne und des Mondes, in der 
ganzen Erde inwendig. 

Sehen Sie, jetzt habe ich Ihnen gezeigt, wie man zuriickkommen 
kann zu der Zeit der Erdenentwickelung, wo Erde, Sonne und Mond 
noch ein Korper waren. Aber, meine Herren, ich mochte sagen: Im 
«Faust»j wenn Sie den einmal lesen oder gelesen haben, da sagt einmal 
das sechzehnjahrige Gretchen, als ihm der Faust seine Religion ent- 
wickelt: So ungefahr sagt es der Pfarrer auch; aber doch ein bifkhen 
anders. - So konnten Sie auch sagen: Ja, so ungefahr sagen es einem die 
Professoren auch, aber doch ein bilkhen anders. Sie sagen: Einmal war 
die Sonne mit Erde und Mond ein Korper. - Das sagen sie schon; denn 
sie sagen, nicht wahr: Diese Sonne, die war ein Riesenkorper; dann hat 
sie sich gedreht, und dann hat sich die Erde abgespalten, als sie sich 
gedreht hat. Dann hat sich die Erde weiter gedreht, und da hat sich 
wieder der Mond abgespalten. - Also im Grunde genommen sagt man 
auch da, es waren alle drei einmal ein Korper. 

Da kommen dann die Leute und sagen: Das kann man ja beweisen; 
den Schulkindern wird das schon bewiesen. Man kann das furchtbar 
nett vormachen. Man nimmt ein kleines 'Oltropfchen - das schwimmt 
namlich auf dem Wasser - und dann nimmt man ein Kartenblatt und 
schneidet einen kleinen Kreis heraus, schiebt oben eine Stecknadel 
durch; nachher gibt man das ins Wasser und dreht da am Kopf der 
Stecknadel. Die kleinen Oltropfelchen spalten sich ab und gehen so 
herum. Da habt ihr es ja, sagt man, da seht ihr es: Das ist einmal in der 
Welt geschehen! Da war in der Welt ein riesiger Gasball, blofi Gas; 
aber gedreht hat sich die Geschichte, und beweglich war es. Und dann 
sind halt die aufleren Dinge geradeso abgespalten worden, unsere Erde 
von der Sonne, wie da diese Oltropfchen abgespalten wurden. — Das 
konnen sie schon in der Schule beweisen. Und die Kinder, die ja an die 
Autoritat glauben, die sagen: Das ist ganz natiirlich zugegangen; da 
war einmal ein riesiger Gasball, der hat sich gedreht, und da sind die 



Planeten abgespalten worden. Wir haben es selber gesehen, wie die 01- 
tropfelchen abgespalten worden sind. 

Nun miissen Sie aber auch die Kinder fragen: Habt ihr denn auch 
gesehen, wie da oben der Schulmeister an dem Stecknadelkopf gedreht 
hat? Also miifit ihr euch einen riesigen Schulmeister dazu denken, der 
dazumal den Gasball gedreht hat, sonst hatten sich ja die Planeten 
nicht abspalten konnen! - Der Riesenschulmeister - im Mittelalter hat 
man ihn gezeichnet: das war der Herrgott mit dem langen Bart. Das 
war der Riesenschulmeister, und den vergessen diese Leute. 

Aber es ist keine Erklarung, wenn man da einen Riesengasball an- 
nimmt, der sich dreht, und der sich erst drehen konnte, wenn einmal ein 
riesiger Weltenschulmeister dagewesen ware. Das ist keine Erklarung. 
Aber, meine Herren, das ist eine Erklarung, wenn man darauf kommt, 
dafi Sonne und Mond mit der Erde verbunden waren, und das sich 
selber bewegt hat. Das konnte sich bewegen. Ein Gasball, der kann 
sich nicht allein bewegen. Aber das, was ich Ihnen hier erklart habe, 
das konnte sich bewegen. Dazumal brauchte es nicht einen Welten- 
schulmeister, sondern das war in sich selbst lebendig. Die Erde war 
eben einmal ein lebendiges Wesen, und zwar ein solches, wie heute ein 
Samenkorn es ist, und hat Sonne und Mond in sich gehabt. Sonne und 
Mond sind herausgegangen aus der Erde und haben ihre Erbschaft 
zuriickgelassen, so dafi heute die Keimkraft, die geschutzt ist im mutter- 
lichen und vaterlichen Leibe des Menschen, diese Krafte, die einstmals 
direkt von der Sonne kommen konnten, sich noch fortpflanzen und 
heute die Tiere, die Samen und Eier in sich entwickeln, die uralte Son- 
nenkraft in ihrer Eier- und Samenf liissigkeit in sich tragen, aus uralten 
Zeiten als Erbschaft in sich tragen von den Zeiten, wo die Erde selber 
noch Sonne und Mond in sich gehabt hat. 

Sehen Sie, das ist eine wirkliche Erklarung, und nur wenn man es so 
versteht, kommt man zu einem wirklichen Verstandnis. Dann begreift 
man, dafi es einmal eine Zeit gegeben hat, wo der Mond herausgeflogen 
ist, und die Erde mit dem Mond aus der Sonne herausgeflogen ist. Wir 
werden uns iiber diese Sache noch weiter verstandigen zunachst am 
Samstag um neun Uhr. Es wird noch etwas schwer sein, trotzdem aber 
glaube ich, daft die Geschichte so ausschaut, dafi man es begreifen kann. 



ZEHNTER VORTRAG 



Dornach, 30. September 1922 

Frage: In bezug darauf, daft die Sonne in der Erde drinnen war, war ich sehr erstaunt; 
dariiber habe ich noch nie etwas gehort. So wie ich die letzten Vortrage verstanden 
habe, ist die Erde nichts anderes gewesen als der Mensch, und daft die Tiere eigentlich 
von alledem abstammen. Wie erklart man es dazu im Gegensatz, daft der Mensch vom 
Affen abstamme? 

Dr. Steiner: Ich bin sehr erfreut, dafi Sie die Frage stellen, denn wir 
konnen gerade dadurch, dafi wir diese Frage beantworten, ein gutes 
Snick weiterkommen. 

Wenn Sie den heutigen Menschenkopf fur sich nehmen, so wie er ist, 
was finden Sie an diesem Menschenkopf? Diesen Menschenkopf f inden 
Sie zunachst von aufien nach innen von oben umhiillt mit einer ziem- 
lich harten, knochernen Schale. Ja, meine Herren, wenn Sie diese kno- 
cherne Schale, die ja im Verhaltnis zum ganzen Kopf diinn ist, nehmen 
und sie vergleichen mit demjenigen, was Sie zum Beispiel finden, wenn 
Sie in das Juragebirge hineingehen, so finden Sie da eine ganz merk- 
wiirdige Ahnlichkeit. Es ist namlich dasjenige, was knocherne Kopf- 
schale ist, im wesentlichen aus ganz ahnlichen Bestandteilen bestehend 
wie die Kalkablagerung, Kalkkruste, die Sie da finden, wenn Sie in das 
Juragebirge hineingehen. 

Nun finden Sie iiberhaupt solche Ablagerungen zumeist auf der 
Oberflache der Erde. Natiirlich, in diesen Kalkablagerungen, da konnte 
man nicht gerade sehr gut Fruchte anbauen. Aber das kann dann ge- 
schehen in einer Schichte, die nicht aus Kalk besteht, sondern eben aus 
Ackererde, und die sich iiber dem Kalkboden noch auflagert. 

Nun, meine Herren, Sie werden ja schon gesehen haben: Wenn man 
von der Natur spricht, so mufi man alles beriihren. Und Sie wissen ja, 
dafi der Kopf des Menschen, wenigstens nach auften hin, sich auch mit 
einer Haut bedeckt, die sich sogar abschuppt, so dafi iiber der kalk- 
haltigen Kopfschale, iiber dem Kopfskelett aufien die Haut liegt. Wenn 
man diese Haut wiederum studiert, so hat sie grofie Ahnlichkeit mit 
dem, was Ackererde ist. In der Kopf haut wachsen die Haare. Die Haare 



haben wiederum eine grofie Ahnlichkeit mit dem, was als Pf lanzen her- 
auswachst aus der Ackererde. Wenn man es schematisch zeichnet, bild- 
haft, so konnen wir eigentlich sagen: An gewissen Stellen der Erde, da 
ist oben Kalkablagerung; dariiber ist die Ackererde, und aus der Acker- 
erde wachsen die Pflanzen heraus. Beim Menschen haben wir nach 
auften diese kalkhaltige Schale, daruber die Haut, und aus der Haut 
wachsen die Haare heraus. 



Tafel 9 




Jetzt erinnern Sie sich an etwas anderes. Da kann ich also ahnlich 
zeichnen kurioserweise, wenn ich die Erde oder den Menschenkopf auf- 
zeichne. Nun erinnern Sie sich aber, daft ich Ihnen ja noch etwas gesagt 
habe. Ich habe Ihnen gesagt, daft, wenn man tiefer in die Erde hinein- 
geht und dasjenige studiert, was da tiefer in der Erde ist, man in der 
Erde Oberreste von alten Lebewesen, von alten Tieren und Pflanzen 
findet. Ich habe Ihnen gesagt, wie diese Tiere und Pflanzen friiher aus- 
geschaut haben. Ichthyosaurier, Plesiosaurier und so weiter, das waren 
recht grofie Viecher. Aber wenn wir jetzt ins Innere des Menschen- 
kopfes hineingehen, was habe ich Ihnen da gesagt? Ich habe Ihnen ge- 
sagt: Im Blut schwimmen die weifien Blutkorperchen, und das sind 
eigentlich auch kleine Tiere. Im Menschenkopf drinnen, da sind diese 
kleinen Tiere immerfort im Absterben, sind gewissermafien halb tot, 
werden nur in der Nacht immer wiederum lebendig gemacht, aber sie 
sind auf dem Weg zum Absterben. Und je weiter man zum Kopfe 
kommt, desto mehr stirbt der Kopf ab. Unter der Kopfschale, zwischen 
dem Gehirn und der aufieren Knochenschale, ist eine recht abgestorbene 
Haut. So dalS, wenn man in den Kopf hineingeht, man auch etwas fin- 
det, was im Absterben ist. 

Also kann man sagen: Wenn der Mensch stirbt, und man nimmt 



nachher seinen Kopf ~ was ja vorzugsweise die Wissenschaft tut, die 
sich nicht gem mit dem lebendigen Menschen befaftt, sondern mit dem 
toten Menschen auf dem Seziertisch ja, meine Herren, da hat man in 
der Tat diese abgestorbenen Gehirnzellen, die eigentlich versteinerte 
Blutzellen sind, und auften die harte Schale. Da wird die Geschichte 
ganz ahnlich der Erde. So daft wir gar nicht anders sagen konnen, als: 
Wenn wir da durch diese harte Gehirnhaut - man nennt sie sogar des- 
halb die «harte Gehirnhaut», weil sie schon ganz abgestorben ist - in 
das eigentliche Gehirn hereinkommen, so sehen wir da auch fort- 
wahrend Versteinerungen. Auf der Erde findet man iiberall diese Ver- 
steinerungen. Wenn wir die Erde heute anschauen, so gleicht sie nam- 
lich aufs Haar, konnte man sagen, einem abgestorbenen Menschenkopf . 
Der ist naturlich nur kleiner. Die Erde ist grower, daher nimmt sich 
alles anders aus. Die Erde gleicht einem abgestorbenen Menschenkopf. 
Wer also die Erde heute studiert, der muft eigentlich sich sagen: Die 
Erde ist ein riesiger Menschenschadel, und zwar ein solcher, der ge- 
storben ist. 

Nun, meine Herren, Sie werden sich niemals vorstellen konnen, daft 
etwas gestorben sein kann, wenn es nicht vorher gelebt hat. Nicht wahr, 
das gibt es nicht. Das behauptet nur die Wissenschaft. Aber ich glaube, 
Sie wiirden sich selber fiir dumm halten, wenn Sie irgendwo einen toten 
Menschenkopf finden wiirden und Sie sagen wiirden: Das hat sich halt 
gebildet aus Materie. - Das werden Sie doch nie sagen, sondern Sie wer- 
den sagen: Dasjenige, was so ausschaut, das muft einmal einem leben- 
digen Menschen gehort haben, das muft einmal lebendig gewesen sein; 
denn was abgestorben ist, muft einmal lebendig gewesen sein. - So daft 
also, wenn einer verniinftig nachdenkt dariiber, wenn er heute die Erde 
studiert und er einen abgestorbenen Menschenkopf findet, er sich natur- 
lich vorstellen muft - sonst ware er einfach, ich mochte sagen, dumm -, 
daft das einmal gelebt hat, daft also die Erde einmal ein lebendiger Men- 
schenkopf war, daft sie im Weltenall gelebt hat, wie heute der Mensch 
auf der Erde lebt. 

Nun, der Menschenkopf, der konnte aber nicht leben, konnte un- 
moglich leben, wenn er nicht sein Blut vom Menschenkorper bekame. 
Der Menschenkopf allein, der kann hochstens zum Spafi einmal gezeigt 



werden. Als ich ein kleiner Bub war und im Dorf gewohnt habe, da 
haben sich manchmal solche herumziehenden Wandertruppen nieder- 
gelassen und eine Bude aufgerichtet. Wenn man da vorbeigegangen ist, 
ist immer einer herausgekommen: Meine Herrschaften, bitte eintreten, 
es beginnt gleich die Vorstellung! Hier ist der lebend spirechende Men- 
schenkopf zu sehen! - Also die haben einen lebend sprechenden Men- 
schenkopf gezeigt. Sie wissen, das wird durch allerlei Spiegelapparate 
gemacht, dafi man den Korper nicht sieht, nur den Kopf. Aber sonst 
gibt es naturlich nicht den Kopf allein, sondern sein Blut und alles das, 
was ihn ernahrt, mufi er vom Menschenleib bekommen. So mufl die 
Erde auch einmal so gewesen sein, daft sie sich aus dem Weltenraum her- 
aus hatte ernahren konnen. Ja, konnte man denn auch dafiir Griinde 
anfiihren, daft die Erde wirklich einmal so etwas wie ein Mensch war 
und sich aus dem Weltenraum heraus hat ernahren konnen? 

Viel ist nachgedacht worden dariiber, wie es eigentlich kommt, dafi 
die Sonne - letzthin habe ich es gezeigt - einmal mit der Erde verbun- 
den war. Aber das ist ja schon lange her. Seit jener Zeit ist die Sonne 
aufierhalb der Erde und gibt der Erde Licht und Warme. Sogar die 
Warme, die in der Erde selbst drinnen ist, ist ja von der Sonne, bleibt 
nur im Winter aufgespart. Nun kann man wirklich berechnen, wieviel 
das betragt, was die Sonne alljahrlich an Warme ausgibt. Das ist sehr 
viel, was die Sonne an Warme ausgibt. Und die Physiker haben solche 
Rechnungen auch angestellt. Das sind MilHonen und Millionen Kalo- 
rien. Aber, meine Herren, bei dieser Rechnung ist den Physikern wirk- 
lich angst und bange geworden, denn sie haben zwar dabei heraus- 
bekommen, wieviel die Sonne in jedem Jahr an Warme ausgibt; sie 
haben aber auch herausbekommen, da!5, wenn das richtig ware, die 
Sonne langst erkaltet sein miifite und wir alle erfroren sein miifiten. Die 
Rechnung ist also richtig angestellt, aber sie stimmt doch nicht. Das gibt 
es namlich. Man kann rechnen, es kann etwas aufs allerschbnste berech- 
net sein, aber die Rechnung stimmt doch nicht, gerade weil sie so schon 
ist. 

Nun war ein Physiker da, ein Schwabe, Julius Robert Mayer heifit 
er, der hat tatsachlich ganz interessante Gedanken gehabt, so in der 
Mitte des 19. Jahrhunderts. Dieser Julius Robert Mayer, der in Heil- 



bronn in Wiirttemtferg ansassig war, war Arzt und hat in ahnlicher 
Weise wie Darwin auf seiner Weltreise seine Entdeckungen gemacht, 
hat namlich da ganz interessante Beobachtungen gemacht bei einer 
Reise nach dem siidlichen Asien, auf den Inseln dort, wie durch den 
Einflufi der Warme das Menschenblut anders aussieht als in etwas kal- 
teren Gegenden und ist durch diese Beobachtungen zu interessanten 
Tatsachen gekommen. Diese Beobachtungen hat er dann zusammen- 
gefafit und zunachst aufgeschrieben in einem ganz kurzen Aufsatz. Den 
hat er dazumal an die bedeutendste deutsche naturwissenschaftliche 
Zeitschrift geschickt. Das war 1841. Und diese naturwissenschaftliche 
Zeitschrift hat ihm den Aufsatz zuriickgeschickt, weil die Leute gesagt 
haben: Das ist alles unbedeutendes Zeug, dilettantisch, dumm. — Heute 
sehen dieselben Leute, das heifit ihre Nachfolger natiirlich, das fur eine 
der grofiten Entdeckungen im 19. Jahrhundert an! 

Aber von den Poggendorffschen «Annalen fur Physik und Chemie», 
die dazumal die benihmteste deutsche naturwissenschaftliche Zeit- 
schrift war, hat man dem Julius Robert Mayer nicht blofi dazumal 
diese Abhandlung zuriickgeschickt, wo die Geschichte drinnenstand, 
sondern man hat ihn noch auflerdem - ins Irrenhaus gesperrt! Weil er 
wirklich sehr begeistert war von seiner Wissenschaft - sie ist nicht ganz 
richtig, aber er war sehr begeistert fur seine Wissenschaft -, hat er sich 
ein bifkhen anders benommen als die anderen Menschen - die anderen 
haben ja auch nicht gerade dasselbe gewulk wie er -, und das haben 
dann seine Arztekollegen und die anderen Arzte bemerkt, und dafur 
ist er ins Irrenhaus gekommen! So daft Sie da auf eine wissenschaftliche 
Entdeckung kommen, die herriihrt von einem Menschen, der dafiir ins 
Irrenhaus gesperrt worden ist. Wenn Sie heute nach Heilbronn kom- 
men ins Schwabenland, finden Sie dort auf dem wichtigsten Platze ein 
Denkmal von Julius Robert Mayer. Aber das ist nachtraglich gemacht 
worden! Das ist nur ein Beispiel, wie die Leute umgehen mit solchen 
Leuten, die so ein bifichen Gedanken im Kopfe haben. 

Nun, sehen Sie, dieser Julius Robert Mayer, der sich iiber diesen Ein- 
flufi, den er da von der Warme auf das Blut gekannt hat, Gedanken 
gemacht hat, hat sich auch Gedanken gemacht, wie denn die Sonne zu 
der Warme kommen kann. Die anderen rechnen blofi aus, wieviel sie 



hergibt. Aber Julius Robert Mayer fragte sich auch: Ja, wo kommt 
derm das alles her? - Was tut die Physik? Man mochte sagen, die Phy- 
sik, die rechnet gerade so, wie man bei einem Menschen rechnen wurde: 
Der hat einmal gegessen und jetzt ist er satt geworden, aber aufierdem 
speichert sich noch etwas auf in seinem eigenen Fett und seinen Mus- 
keln.Wenn er jetzt nichts mehr essen kann, so nimmt er das aus seinem 
Fett und seinen Muskeln. Und da kann er vierzig, sechzig Tage leben, 
aber nachher stirbt er, wenn er nichts zu essen kriegt. Das haben die 
Physiker auch bei der Sonne berechnet, was sie jeden Tag hergibt, 
nachdem sie eben einmal auf wunderbare Weise diese Warme gehabt 
hat. Wie sie dazumal gegessen hat, wurde zwar nicht beachtet, aber 
jedenfalls ausgerechnet, wieviel sie hergibt. 

Aber woher sie das nimmt, das hat doch der Julius Robert Mayer 
gefragt. Und da hat er herausbekommen, dafi jedes Jahr so und so viele 
Himmelskorper in die Sonne hereinfliegen, die wie die Kometen sind. 
Sehen Sie, das ist die Speise der Sonne. Aber wenn wir heute noch auf 
die Sonne heraufschauen, so konnen wir ja sehen: Die hat einen guten 
Magen, die frifit jahrlich eine ungeheure Anzahl von Kometen. So wie 
wir unsere Mittagsmahlzeit verzehren und dadurch unsere Warme ent- 
wickeln, so entwickelt die Sonne Warme, indem sie in ihren guten 
Magen hinein Kometen frifit. 

Nun, meine Herren, das heifit: Wenn die Kometen schon ganz zer- 
splittert sind und herunterfallen, so sind sie allerdings harte Eisenkerne, 
aber es fallt eben nur das Eisen herunter. Der Mensch hat ja auch Eisen 
in seinem Blut. Wenn der Mensch irgendwo aufgelost wiirde und nur 
das Eisen herunterfallen wiirde, so wiirden die Menschen wahrschein- 
lich sagen: Da oben ist etwas, das hat geleuchtet, und das besteht aus 
Eisen. - Weil also die Meteorsteine, in die sich die Kometen auflosen, 
aus Eisen bestehen, sagt man, die Kometen sind aus Eisen. Das ist aber 
ein Unsinn, geradeso wie es ein Unsinn ware zu glauben, daft der 
Mensch aus Eisen besteht, weil er Eisen in seinem Blute hat und man 
da einen ganz kleinen Eisenbatzen finden wiirde. So findet man eben 
die Meteorsteine; die sind zerfallene Kometen. Die Kometen sind eben 
etwas ganz anderes, die Kometen leben! Und die Sonne lebt eben auch, 
hat einen Magen, frifit nicht nur die Kometen, sondern nahrt sich 



geradeso wie wir. In unserem Magen ist auch Eisen drinnen. Wenn 
einer Spinat iftt, so merkt er nicht, daft da sehr viel Eisen drinnen ist, 
im allgemeinen naturlich. Trotzdem ist es gut, wenn man gerade blut- 
armen Menschen sehr viel zu Spinatessen rat, weil sie dadurch viel 
sicherer Eisen ins Blut kriegen, als wenn man ihnen einfach Eisen in den 
Magen hineintut, das ja doch meistens durch die Darme wieder abgeht. 

Wenn die Kometen bloft aus Eisen bestehen und in die Sonne herein- 
fallen wiirden, da sollten Sie nur einmal sehen, wie das alles wieder ab- 
geht! Da wiirde man einen ganz anderen Prozeft sehen. Da wiirde man 
wahrscheinlich im Himmelsraum ein Riesenklosett aufrichten miissen, 
wenn das richtig ware! Die Sache ist naturlich ganz anders. Die Kome- 
ten bestehen nur zum geringsten Teil aus Eisen; aber die Sonne friftt sie. 

Nun denken Sie zuriick, daft die Erde selber einmal die Sonne in sich 
gehabt hat. Da hat die Sonne dasselbe gemacht, was sie jetzt allein tut; 
da hat sie auch Kometen gefressen. Und Sie haben jetzt den Grund, 
warum dieser Riesenkopf, der die Erde ist, leben konnte: weil die Sonne 
seinen Ernahrungsapparat darstellte. Solange die Sonne bei der Erde 
war, ernahrte sich aus dem Weltenall heraus die Erde durch die Sonne, 
wie wir uns jetzt ernahren von der Erde durch unseren Ernahrungs- 
apparat. 

Also dafiir war schon gesorgt, daft die Erde doch, als noch die Sonne 
bei ihr war, sich ernahren konnte. Nur miissen Sie sich naturlich vor- 
stellen, daft die Sonne riesig viel grofier als die Erde ist, und daft also 
die Sonne, indem sie da drinnen war in der Erde, eigentlich nicht in der 
Erde drinnen war, sondern die Erde war in der Sonne drinnen. So daft 
man sich die Sache so vorstellen muft (siehe Zeichnung S. 176), daft da- 
mals hier die Sonne war, da war die Erde drinnen und in der Erde erst 
wiederum der Mond. Also: Sonne, in der Sonne die Erde und in der Erde 
der Mond. In einem gewissen Sinne war das ja umgekehrt wie beim 
Menschen. Aber das ist ja beim Menschen auch nur scheinbar, daft er 
den kleinen Magen hat; der kleine Magen allein konnte ja nicht viel 
machen. Der kleine Magen, den der Mensch hat - dariiber werden wir 
spater noch sprechen -, der steht iiberall in Beziehung zur Auftenwelt. 
Eigentlich ist der Mensch in der Erde drinnen, so wie die Erde einmal 
in der Sonne drinnen war. Und der eigentliche Erdenmagen, der war 




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dann der Mittelpunkt der Sonne. Wenn das die Sonne ist (siehe Zeich- 
nung), das die Erde, so war eben der Magen hier (in der Mitte), und die 
Sonne, die hat nur iiberall diese Kometen herangezogen und hat sie 
dann dem Magen iiberliefert, so dafi die Verdauung der Erde doch 
innerhalb der Erde geschehen ist. 

Nun konnen Sie wiederum sagen: Dem widerspricht ja, daft der 
menschliche Kopf nicht selber verdaut. - Das ist ganz richtig. Aber es 
hat sich ja die Geschichte auch verandert. Ein biftchen verdaut namlich 
dennoch der menschliche Kopf. Sehen Sie, ich habe Ihnen beschrieben: 
Wenn wir die Speisen essen, dann kommen sie ja zunachst auf die 
Zunge, an den Gaumen heran. Da werden sie zuerst eingespeichelt mit 
Ptyalin, und dann gehen sie durch die Speiserohre. Aber nicht alle Spei- 
sen gehen durch die Speiserohre, sondern der Mensch ist ja im Grunde 
eine Wassersaule - es ist ja alles weich, es sind ja nur die festen Teile 
eingelagert so daft schon im Mund etwas von den Speisen aufgesogen 
wird im Kopf. Eine direkte Ernahrung geht vom Gaumen aus in den 
Kopf hinein. Das ist so. Sehen Sie, dafi die Dinge nicht so grob sind, 
wie man gewohnlich glaubt, das konnen Sie ja einfach daraus ent- 
nehmen, wenn Sie vergleichen. Ein Menschenei, das konnen Sie nicht 
an die Luft bringen, damit es dort aufierlich ausgebrutet wird. Beim 
Vogelei konnen Sie das. Das kommt an die Luft und wird erst aufien 
ausgebrutet. So ist es naturlich - in ahnlicher Weise - auch mit dem 
menschlichen Kopf. Der heutige Menschenkopf konnte sich von dem 
bifichen Nahrung, das er blofi vom Gaumen aus kriegt, nicht ernahren. 
Aber die Erde war eben anders eingerichtet. Die hat in sich einen 
Magen, der zugleich Mund war, gehabt, und hat sich eben ganz von 



diesem Munde aus ernahrt. So dafi wir sagen konnen: Solange die Sonne 
mit der Erde verbunden war, hatte dieses riesige Wesen die Moglich- 
keit, sich aus dem Weltenall heraus zu ernahren. 

Nun habe ich Ihnen aber gesagt: Wenn man heute die Erde studiert, 
so ist sie wie ein abgestorbener Menschenkopf. Ja, ein abgestorbener 
Menschenkopf, der mufi aber einmal gelebt haben. Also mufi die Erde 
eben einmal gelebt haben. Sie hat sich ernahrt durch die Sonne. 

Nun, meine Herren, will ich Ihnen noch etwas anderes sagen. Sehen 
Sie, wenn Sie in einer bestimmten Zeit den Menschenkeim im Mutter- 
leibe anschauen, also nach der Befruchtung, ich will sagen, zwei, drei, 
vier Wochen nach der Befruchtung anschauen, da schaut dieser Men- 
schenkeim aufierordentlich interessant aus. Da ist zunachst im mutter- 
lichen Leibe, rundherum im Mutterkorper, den man Uterus nennt, eine 
Haut, die viele Blutgefafie hat. Und die Blutgef afie, die da im mutter- 
lichen Leibe drinnen extra sind - die sind ja natiirlich dann im Men- 
schenleibe nicht, wenn nicht gerade ein Kind getragen wird -, diese 
Blutgefafie stehen in Verbindung mit den anderen Blutgefafien, die die 
Mutter hat. Die gehen da uberall in die Blutadern hinein. So dafi also 
die Mutter in ihr eigenes Blutsystem diese Kugel da eingeschaltet hat 
(siehe Zeichnung) und wahrend sonst das Blut im Leibe zirkuliert, rinnt 
das Blut extra noch in diese Kugel hinein, nur in die aufiere Kugel. 

Nun, meine Herren, da finden Sie innerhalb dieser Kugel alle Or- 
gane. Da ist zum Beispiel ein Organ, das sieht aus wie ein Sack, und 




f s 



Tafel9 



daneben wiederum eines, das ist ein kleinerer Sack. In diese Sacke, in 
die setzen sich auch diese Blutadern fort, die sonst, wenn die Mutter 
kein Kind tragt, gar nicht da sind, weil ja die ganze Kugel dann fehlt; 
da hinein setzen sich auch diese Adern dann fort. So daft wir sagen 
konnen: Diese Adern gehen iiberall da hinein und das alles, was ich 
Ihnen bis jetzt aufgezeichnet habe, das ist da, wenn sich das Kind in 
den ersten Wochen entwickelt; das ist da, und ganz klein hangt daran, 
also winzigklein hangt daran hier das Kind. Ganz winzigklein hangt 
es daran! 

Und kurioserweise, wenn ich Ihnen das Kind jetzt groft aufzeichnen 
wiirde, wie es in der nachsten Zeit ist, dann mufite ich das so zeichnen: 



Taf el 9 




das Kind namlich ist fast nur ein Kopf, das andere ist ganz winzig 
daran. Sie sehen, da habe ich zwei solche Stetzelchen hingezeichnet, 
das werden spater die Arme. Die Beine sind fast gar nicht da. Dafiir 
aber setzen sich dann eben an das Kind diese zwei Taschen, die ich da 
gezeichnet habe, und in diese zwei Taschen gehen die Blutgefafie hin- 
ein. Und diese Blutgef afte bringen die Nahrung mit, und der Kopf wird 
ernahrt. Ein Magen ist ja noch gar nicht da, und ein Herz auch nicht. 




Eine eigene Blutzirkulation hat das Kind in den ersten Wochen gar 
nicht. Das Kind ist ja nur ein Kopf . Und das wachst und wachst all- 
mahlich so heran, dafi es im zweiten, dritten Monat menschenahnlich 
wird, dafi sich die anderen Organe ansetzen. Aber ernahrt wird das 
Kind immer noch von aufien, von demjenigen, was da als Taschen ist. 
Und dann speichert sich da Nahrung ringsherum so auf (es wird ge- Tafel9 
zeichnet). Aber Blut wird zugefiihrt. Atmen kann ja das Kind noch 
nicht, es bekommt nur Luft auf dem Umwege durch die Mutter. Das 
Kind ist also eigentlich ein Menschenkopf, und die anderen Organe 
dienen ihm noch gar nicht besonders. Mit den Lungen kann es nichts 
anfangen. Mit dem Magen kann es nichts anf angen. Essen kann es noch 
nicht; es mufi also alle Nahrung nur so bekommen, dafi sein Kopf er- 
nahrt wird. Atmen kann es noch nicht. Eine Nase hat es auch noch 
nicht. Die Organe entwickeln sich zwar, aber es kann sie noch nicht 
gebrauchen. Also das Kind ist im miitterlichen Leibe ja ein Kopf; nur 
ist alles weich. Das spatere Gehirn, das ist furchtbar weich hier drinnen, 
ganz weich und furchtbar lebendig, ganz lebendig. Und wenn Sie ein 
Riesenmikroskop nehmen konnten und konnten gerade einen Kinder- 
kopf anschauen, der meinetwillen aus der zweiten oder dritten Woche 
nach der Befruchtung ist, so wiirde der recht ahnlich ausschauen dem, 
was ich Ihnen von der Erde gesagt habe, wie sie einmal war, als da die 
Ichthyosaurier und Plesiosaurier und so weiter herumgewatet sind. 
Ganz verf lucht ahnlich wiirde das ausschauen, nur in der Grofie unter- 
schieden. 

So daft man sagen kann: Wo gibt es ein Bild von der Erde, die ein- 
mal da war, heute noch? Im Menschenkopf, wenn der Menschenkopf 
eben noch ungeboren ist und als Keim vorhanden ist. Dieser Menschen- 
kopf ist namlich ein deutliches Abbild von der Erde. 

Und all das, was da dran sein mufi, diese Taschen am Leibe, das, was 
da herum ist, das wird als die sogenannte Nachgeburt, nachdem es ganz 
briichig geworden ist, abgeworfen, und der Mensch bleibt iibrig, wird 
geboren. Also von dem, was als Nachgeburt abgeworfen wird, von dem 
bekommt man eigentlich die Nahrung als Kind im Mutterleibe - die 
Nachgeburt besteht aus den zerfetzten Blutgefafien. Diese sogenannte 
Allantois und dieses Amnion - das also sind die zerfetzten Organe -, 

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CoDvriaht Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltuna Buch:3 47 Seite:17 9 



die sind uns, solange wir im Mutterleibe sind, aufierordentlich wichtig, 
weil sie den Magen und die Atmungsorgane ersetzen. Aber wenn wir 
sie nicht mehr gebrauchen, wenn wir geboren werden, selber atmen und 
essen konnen, wird das als Nachgeburt abgeworfen. 

Nun, meine Herren, wenn Sie sich so etwas anschauen, wie ich es 
Ihnen da aufgezeichnet habe, so brauchen Sie sich nur vorzustellen: 
Da ware das Weltall, hier ware die Erde, und da drinnen der Menschen- 
Tafel 9 kopf und ringsherum ganz f ein die Sonne (siehe Zeichnung S. 1 77) . Und 
nun kommt die Geburt, das heifit, es hort das auf, was einmal da war. 
Die Sonne und der Mond fliegen heraus, und die Geburt der Erde ist da. 
Die Erde mufi sich selber weiterhelfen. 

Man kann zweierlei beschreiben. Zunaehst konnte ich Ihnen das so 
beschreiben, dafi ich Ihnen gesagt habe: Die Erde hat einmal so aus- 
geschaut - da waren Ichthyosaurier, Plesiosaurier drinnen und so wei- 
ter. Jetzt konnte ich Ihnen aber ebensogut den Menschenkeim beschrei- 
ben. Es ist nur alles kleiner, aber ich miifite dasselbe reden. So dafi Sie 
heute sagen konnen: Die Erde war einmal der Keim eines Riesen- 
menschen. 

Da ist wiederum aufierordentlich interessant, dafi in friiheren Zeiten 
die Menschen auf eine merkwiirdige Weise - dariiber wollen wir noch 
reden - mehr gewufit haben als die spateren Menschen. Die spateren 
Menschen haben namlich zumeist aus der mifiverstandenen hebraischen 
Urkunde, aus dem mifiverstandenen Alten Testament gelernt, und die 
haben sich vorgestellt, nicht wahr: Da war die Erde und irgendwo das 
Paradies, und da ist der fertige Adam im Paradies als so ein kleiner 
Knirps darauf gestanden. Diese Vorstellung, die sich die Menschen aus 
dem mifiverstandenen Alten Testament gemacht haben, die ist ungef ahr 
gerade so, wie wenn sich heute einer vorstellen wiirde: Der Mensch 
kommt nicht von dem kleinen Ding, was da von den Allantois- und 
! Amniontaschen da ist, von dieser Haut und so weiter - davon kame 

j nicht der Mensch, sondern das alles, das ware eine Sache fur sich; aber 

im miitterlichen Leibe, da sitzt eben ein kleinwinziger Floh, und aus 
diesem kleinen Floh kommt der Mensch. So ungefahr ist es, wenn man 
sich vorstellt: Die Erde war da, der Adam und die Eva lebten gleich 
Flohen daraufsitzend, und nachher das Menschengeschlecht. Das ist 

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Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch:347 Seite:180 



eben aus einem Mifiverstandnis des Alten Testaments entstanden, 
wahrenddem diejenigen, die in alten Zeiten etwas gewufit haben, nicht 
von Adam geredet haben, sondern von Adam Kadmon. Und der Adam 
Kadmon, der ist etwas anderes als der Adam. Der ist dieser Riesenkopf , 
der die Erde einmal war. Und das ist eine natiirliche Vorstellung. Zum 
Erdenfloh ist dieser Adam Kadmon erst geworden, als sich die Men- 
schen nicht mehr vorstellen konnten, daft ein Menschenkopf so groft 
werden kann wie die Erde, als sie nicht mehr daran geglaubt haben, 
und da haben sie sich die abnorme Vorstellung gebildet, als wenn es 
zum Spaft da sei, daft die ganzen neun Monate im mutterlichen Leibe 
vor sich gehen, und aus dieser mutterlichen Kugel der Mensch geboren 
wird. 

In Wirklichkeit miissen wir uns vorstellen, daft der Mensch einmal 
die ganze Erde war - die ganze Erde. Und die Erde war viel lebendiger. 
Aber, meine Herren, das ist ja gar nicht anders; sehen Sie, wenn ich 
Ihnen die Erde heute zeichne, so ist sie ein abgestorbenes Wesen, wie 
der menschliche Kopf im Absterben begriffen ist, und wenn wir zu- 
riickgehen zu diesem menschlichen Kopfe, der da im mutterlichen Leibe 
ist, so ist der durch und durch lebendig. Der ist so, wie die Erde einmal 
war. Und die Erde ist heute gestorben. Aber sie war einmal durch und 
durch lebendig. 

Sehen Sie, wenn die Menschen alles zusammenhalten konnten, was 
die Wissenschaft gibt, so wiirden sie auf manches kommen. Die Wissen- 
schaft ist schon recht, nur die Menschen, die die heutige Wissenschaft 
verwalten, die konnen mit der Wissenschaft nicht viel anfangen. Wenn 
heute einer sich diese Erdenoberflache anschaut, so mufi er sagen: Das 
ist ja wie ein abgestorbener Menschenkopf. Wir gehen ja eigentlich auf 
Totem herum, das einmal gelebt haben muft. Das habe ich Ihnen gesagt; 
aber ich sage Ihnen auch alles dasjenige noch, was daraus folgt. 

Nun war in Wien noch zu meiner Jugendzeit einmal ein sehr be- 
ruhmter Geologe, das ist Erdenkundiger. Der hat ein groftes Buch ge- 
schrieben: «Das Antlitz der Erde.» Da steht das drinnen: Wir gehen 
heute, wenn wir iiber die Erdschollen von Bohmen oder Westfalen 
gehen, iiber abgestorbene Sachen. Das war einmal lebendig. - Die Ein- 
zelheiten ahnt die Wissenschaft schon, aber sie kann die Sachen nicht 



zusammenreimen. Das, was ich Ihnen sage, widerspricht nirgends der 
Wissenschaft. Sie konnen das iiberall, wenn Sie die Wissenschaft ver- 
folgen, bestatigt finden. Aber die Wissenschafter kommen selber nicht 
draus aus demjenigen, was da aus den Sachen folgt. 

Also kommen wir wirklich dazu, zu sagen: Die Erde war einmal ein 
Riesenmensch. Das war sie. Und sie ist gestorben, und heute wandeln 
wir auf der gestorbenen Erde herum. 

Nun, sehen Sie, da bleiben jetzt wichtige Fragen iibrig, zwei wich- 
tige Fragen durch die Frage des Herrn Burle. Die eine ist diese: Wenn 
wir zuriickgehen, so sieht man, daft die Erde ein Riesenmensch war. 
Woher kommen die Tiere? Und die zweite Frage ist: Die Erde war also 
ein Riesenmensch. Woher kommt es, daft der Mensch heute so ein klei- 
ner Floh auf der Erde ist? Woher kommt es, daft er so klein geworden 
ist? Diese zwei Fragen sind tatsachlich wichtige Fragen. 

Die erste ist eigentlich gar nicht so schwer zu beantworten; man 
mufi sie nur nicht aus allerlei phantastischen Spielereien heraus beant- 
worten wollen, sondern raufi sie aus den Tatsachen beantworten. 

Meine Herren, was glauben Sie, wenn nun ein Weib wahrend der 
Schwangerschaft stirbt, solange die Geschichte da drinnen noch so aus- 
schaut, wie ich sie Ihnen auf der Tafel hergezeichnet habe, und Sie 
sezieren diese Kugel heraus, in der dann diejenigen Dinge drinnen sind, 
die mit der Nachgeburt abfallen, und in der der Embryo drinnen ist, 
der spater der Mensch wiirde - nehmen Sie an, wir nehmen das alles 
heraus und geben das nicht in Spiritus, in dem es sich ja halten wiirde, 
sondern wir lassen das so irgendwo liegen, besonders wo es feucht ist, 
und wir gehen nach einiger Zeit wicderum hin -, was glauben Sie, was 
wir da sehen wiirden? Ja, meine Herren, wenn wir da nach einiger Zeit 
wiederum hingehen und dann anfangen wiirden das zu zerschneiden, 
da wiirde lauter Getier herauslaufen; lauter kleine Viecher laufen da 
heraus. Der ganze Menschenkopf, der im Mutterleibe lebendig war, 
stirbt ab. Und indem er abstirbt - wir brauchen ihn nur auseinander- 
zuschneiden, um es zu sehen -, da lauft alles mogliche Getier heraus. 

Ja, meine Herren, denken Sie sich, die Erde war einmal ein solcher 
Menschenkopf im Weltenraum und ist abgestorben. Brauchen Sie sich 
zu verwundern, daft da alles mogliche Getier herauslief? Das tut es ja 



heute noch. Wenn Sie das in Betracht Ziehen, da haben Sie die Ent- 
stehung der Tiere. Sie konnen das heute noch beobachten. 

Das ist die eine Frage. Wir werden dariiber noch weiter reden, wie 
die einzelnen Tierformen entstanden sind. Aber im Prinzip haben Sie 
da, daft ja die Tiere da sein miissen. Ich kann diese Frage heute nur an- 
deuten, spater werde ich sie noch ausfuhrlich beantworten. 

Jetzt bleibt die andere Frage: Warum ist der Mensch heute ein so 
kleiner Knirps? Nun, da miissen Sie wiederum alles zusammennehmen, 
was Sie wissen konnen. Erstens konnen Sie fragen: Ja, aber da hat ein- 
mal ein Mensch gelebt im Weltenraum, der heute Erde ist, abgestorben 
ist und heute Erde ist. Hat denn der nicht geboren? Hat sich denn der 
nicht vermehrt? - Auf diese Frage braucht man ja nicht weiter ein- 
zugehen; wenn er sich vermehrt hat, so sind dazumal die anderen im 
Weltenraum irgendwo zu anderem aufgerufen worden. Also wir brau- 
chen uns erst zu interessieren, als ein bestimmter Punkt der Vermehrung 
eintrat. 

Ja, meine Herren, wenn Sie heute noch verfolgen, wie eine kleine 
Zelle sich vermehrt, so ist sie zuerst so (siehe Zeichnung), dann ist sie so, 




Tafel9 



dann werden zwei daraus. Dann werden aus jeder wiederum zwei; das 
sind schon vier. Und so wird der ganze Menschenkorper aufgebaut, so 
daft er zuletzt aus lauter kleinen einzelnen, im Blut lebenden und im 
Kopf abgestorbenen kleinen Viechern besteht, die alle aus einer ein- 
zigen Zelle hervorkommen. So ist aus einem Teil der urspriinglichen 
Erde, geradeso wie heute der Mensch nicht nur aus einem ganzen Men- 
schen herausgeboren wird, sondern aus einem Teil des Menschen - die 
heutige Erde entstanden. Es fragt sich nur: Warum kommt er heute 
nicht mehr heraus? Weil die Erde nicht mehr so in Verbindung steht 
mit dem Weltall, seitdem die Sonne herausgegangen ist. Jetzt bleiben 
alle diese Wesen drinnen. Sie wurden von der Sonne aufien beschienen, 



als die Sonne herausgegangen war, wahrend sie friiher drinnen war. - 
Sie miissen alles zusammennehmen, was Sie wissen konnen. 

Meine Herren, wissen Sie aber vielleicht, dafi man die Hunde, die ja 
im allgemeinen eine bestimmte Grofie haben, unter die sie nicht her- 
untergehen, aber doch so klein ziichten kann, dafi sie manchmal fast 
nicht grolSer sind als grofie Ratten. Wenn man den Hunden zum Bei- 
spiel Alkohol zu saufen gibt, so bleiben sie klein - das hangt ja ab von 
dem, was da wirkt auf das Wesen, wie grofi es wird -; allerdings werden 
diese Hunde furchtbar nervos. 

Es waren wirklich — wenn auch nicht die ganze Welt voll Alkohol 
war — , aber es waren die Stof fwirkungen ganz andere geworden, als die 
Sonne von der Erde weggegangen war. Als sie noch in der Erde war, 
ist eben eine ganz andere Wirkung dagewesen als spater, als die Sonne 
draufSen war. Und wahrend der Mensch zuerst so grofi war wie die 
Erde selber, ist er durch diese Rieseneinwirkung eben klein geworden. 
Aber das war ein Gluck fur ihn, denn als er noch so grofi war wie die 
Erde, da mufiten alle anderen, die geboren wurden, in den Weltenraum 
hinausfliegen. Wir werden spater einmal horen, was mit denen ge- 
schehen ist. Jetzt konnten sie in der Erde drinnen bleiben, weil sie mit- 
einander auf der Erde herumwandeln konnen. Und jetzt entstand statt 
des einen Menschen das Menschengeschlecht, weil die Menschen klein 
blieben. 

Ja, meine Herren, wahr ist es: Wir stammen alle von einem Men- 
schen ab! Das ist ja auch schliefilich begreiflich, nicht wahr. Aber dieser 
eine Mensch war nicht so ein kleiner Erdenfloh, wie jetzt die Menschen 
sind, sondern er war die Erde selber. Nur, als die Sonne herausging, da 
ist auf der einen Seite die Erde abgestorben, und da krochen die Tiere 
heraus, wie jetzt auch noch die Tiere herauskriechen, wenn etwas ab- 
gestorben ist. Und auf der anderen Seite blieben noch die Krafte zu- 
riick. Nur wurden sie jetzt nicht von innen durch die Sonne angeregt, 
sondern von aufien, und der Mensch wurde klein und konnte zu vielen 
Menschen werden. 

Dadurch also, dafi die Sonne von aufien wirkt, lafk sie den Men- 
schen klein. Das kann Ihnen ja auch ganz gut begreiflich sein. Denn 
denken Sie nur einmal, wenn das die Erde ist - ich will die Erde jetzt 



ganz klein zeichnen - und friiher die Sonne das war, wo die Erde also 
drinnensteckte, da strahlten ja alle Krafte so heraus, und wenn sich die 
Erde bewegte, da ging ja immer die Sonne mit; es war ja eines und das- 
selbe (Zeichnung links). Jetzt, da die Sonne heraufien ist, ist die Ge- 




Tafel9 



schichte so: Da ist ja die Sonne und da die Erde, die geht um die Sonne 
herum. Wenn die Erde da ist, dann kriegt sie diese Strahlen; wenn sie 
dort ist, kriegt sie jene Strahlen (Zeichnung rechts). Sie sehen nur immer Tafel 9 
eine kleine Parzelle von Strahlen. Wenn die Sonne drauften ist, kriegt 
die Erde nur noch wenige Strahlen. Als die Sonne noch in der Erde war, 
kam noch immer von innen heraus die ganze Wirkung der Sonne. K.ein 
Wunder, dafi wenn die Sonne so herumkreist, sie auf jedem einzelnen 
Punkt der Erde einen Menschen beleuchten kann, wahrend sie friiher, 
als sie drinnen war und vom Mittelpunkt ausstrahlen mufite, nur einen 
Menschen bestrahlen konnte. Als die Sonne anfing, vom Umkreis her 
zu wirken, da verkleinerte sie den Menschen. 

Es ist schon interessant, wirklich interessant, daft nicht nur die asia- 
tischen Gelehrten, als schon langst das Alte Testament miftverstanden 
wurde und so ausgelegt wurde, wie es spater ausgelegt worden ist, noch 
von dem Adam Kadmon geredet haben, der eigentlich ein Mensch ist, 
der die ganze Erde ist, sondern die Vorfahren der jetzigen mitteleuro- 
paischen Menschen, die uberall sind, in der Schweiz, in Deutschland, 
die haben eine Sage gehabt, in der gesagt wurde: Die Erde war einmal 
ein Riesenmensch, der Riese Ymir. Und die Erde ist befruchtet worden. 

Also sie haben so geredet von der Erde, wie man heute von einem 
Menschen reden mufi. Und das ist natiirlich spater nicht mehr verstan- 
den worden, weil an die Stelle dieser ja allerdings bildhaften, richtigen 



Sagenbilder - sie sind ja furchtbar wahr -, weil an die Stelle dieser 
wahren Bilder die falsche lateinische Auslegung des Alten Testaments 
getreten ist. Also die alten Germanen hier in Europa - es war ja bild- 
lich, wie wenn sie getraumt hatten, aber der Traum war viel richtiger 
als spater, wo man das Alte Testament miftverstand und statt von der 
ganzen Erde, von dem Adam Kadmon zu reden, von dem kleinen Adam 
redete - hatten noch eine alte, allerdings bloft traumhafte bildliche 
Wissenschaft. 

Ja, sehen Sie, man bekommt schon einen Riesenrespekt vor dem, was 
einmal ausgerottet worden ist an alter, allerdings bloft traumhafter 
bildlicher Wissenschaft. Aber die war da, und die ist ausgerottet wor- 
den. Es braucht einen nicht zu wundern. In einer bestimmten Zeit kam 
eben diese allgemeine Ausrottung. Und wenn ich Ihnen erzahlen wiirde, 
was zum Beispiel in Kleinasien, in Vorderasien, in Nordafrika, in Sud- 
europa, in Griechenland, Italien einmal vorhanden war - ja, meine 
Herren, im 1., 2., 3. Jahrhundert, da es schon das Christentum gegeben 
hat, da konnten Sie iiberall, wenn Sie in Asien oder Afrika auf dem 
Acker gingen, merkwtirdige Statuen finden; die waren iiberall da. Und 
in diesen Statuen driickten die Menschen, die noch nicht lesen und 
schreiben konnten, aus, wie es einmal war auf der Erde. Aus diesen 
Statuen hatte man studieren konnen, wie das einmal war auf der Erde. 
Es war in der Form, in der Bildhauerei ausgedriickt, daft einmal die 
Erde ein lebendiges Wesen war. 

Und dann haben die Leute eben diese Rage, diese Wut gekriegt, und 
es ist in kurzer Zeit all das, was an solchen Statuen vorhanden war, 
einfach weggemacht worden. Es ist ja riesig viel zerstort worden, 
woraus man riesig viel hatte entnehmen konnen. Dasjenige, was heute 
noch gefunden wird von alten Denkmalern, das ist ja das wenigst wich- 
tige, denn in den ersten Jahrhunderten, da hat man gut gewuftt, welches 
das Wichtigere ist. Das hat man wegrasiert. 

Also das ist schon so, daft die Menschheit einmal ein wunderbares 
Wissen gehabt hat; aber sie haben das eben getraumt, diese Menschen. 
Und sehen Sie, das ist eine aufterordentlich interessante Tatsache, daft 
einmal die Menschen, statt daft sie nachgedacht haben - was sie heute 
miissen -, eigentlich getraumt haben auf der Erde. Sie haben es eigent- 



lich mehr in der Nacht gemacht als beim Tage. Denn alles das, was Sie 
von der alteren Menschenweisheit erfahren, ist durchsetzt davon, dafi 
man sieht: Diese Menschen haben in der Nacht viel beobachtet. Die 
Hirten auf dem Felde haben in der Nacht viel beobachtet. Und diese 
alte Weisheit war bei den Deutschen also vorhanden, bei den Ger- 
manen, indem sie von einem riesigen Menschen geredet haben. Und 
nachher gab es auch noch einen riesigen Menschen. Der Mensch ist 
wirklich nicht auf einmal kleiner geworden. Und zuletzt ist er eben so 
geworden, wie die Menschen jetzt sind. 

Von dem Punkte aus, meine Herren, wollen wir, wenn ich wieder 
einmal bei Ihnen sein kann, weiterreden. Sie sehen, solch eine Frage 
gibt immer die Anregung, tiber recht vieles zu reden. Ich muft jetzt 
wiederum nach Deutschland reisen, nach Stuttgart. Danach konnen 
wir ja weiterreden. Bereiten Sie inzwischen recht schone Fragen vor. 
Ich werde Ihnen dann sagen, wann die nachste Stunde ist. 



HINWEISE 
Zu dieser Ausgabe 

Textgrundlage: Die Vortrage wurden von der Stenographin Helene Finckh 
(1883-1960) mitstenographiert und von ihr in Reinschrift iibertragen. 

Der 1. Auflage von 1976 liegt eine vollstandige Neuubertragung des 
urspriinglichen Stenogramms zugrunde. Textabweichungen gegeniiber frii- 
heren Einzelausgaben sind hierauf zuriickzufuhren. 

Der Titel des Bandes wurde vom Herausgeber gewahlt aufgrund friiherer 
Teilausgaben (siehe unten). 

Die Titel der Vortrage gehen auf die von Marie Steiner besorgten Teilaus- 
gaben zuriick (siehe unten). 

Die Zeicbnungen im Text sind nach den Wandtafelzeichnungen Rudolf 
Steiners von Leonore Uhlig angefertigt worden. 

Zu den Tafelzeichnungen: Die Original-Wandtafelzeichnungen und -an- 
schriften Rudolf Steiners bei diesen Vortragen sind mit Ausnahme des ersten 
Vortrages erhalten geblieben, da die Tafeln damals mit schwarzem Papier 
bespannt wurden. Sie werden als Erganzung zu den Vortragen in einem 
separaten Band der Reihe «Rudolf Steiner, Wandtafelzeichnungen zum Vor- 
tragswerk» verkleinert wiedergegeben. Die in den friiheren Auflagen in den 
Text eingefiigten zeichnerischen Ubertragungen sind auch fur diese Auflage 
beibehalten worden. Auf die entsprechenden Originaltafeln wird jeweils an 
den betreffenden Textstellen durch Randvermerke aufmerksam gemacht. 

Friihere Ausgaben: Vortrage vom 2., 5. und 9. August, sowie vom 9., 13. und 
16. September in «Die Erkenntnis des Menschenwesens nach Leib, Seele und 
Geist», Dornach 1957. 

Vortrage vom 20., 23., 27. und 30. September 1922 in «Uber friihe 
Erdzustande » Dornach 1957. 

Zu Seite Hinweise zum Text 

11 Erster Vortrag: In der Reihe der seit dem 11. Oktober 1921 gehaltenen Arbeiter- 
vortrage 1st dieser der erste, von dem eine stenographische Nachschrift vorhan- 
den ist. Die Zeichnungen zu diesem Vortrag sind nicht erhalten. 

12 Paul Broca, 1824-1880, franzosischer Chirurg und Anthropologe, arbeitete auf 
dem Gebiet der Hirnforschung. 

13ff. kiinstlich: Hier im Sinne von kunstvoll gebraucht. 

14 Kunstliches: Im Sinne von Kunstvolles gebraucht. 

30 die allerkleinsten Tiere: Protozoen, Urtiere. 

81 in meinen «Kernpunkten»: Siehe Rudolf Steiner: «Die Kernpunkte der sozialen 
Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft» (1919), GA 23. 

96 gehen mit ihrem Baedeker: Weitverbreitete, urspriinglich durch Karl Baedeker 
(1801-1859) verfaflte Reisehandbucher. , 



109 Paracelsus: Humanistenname des Philippus Theophrastus von Hohenheim, 
1493-1541. Uber den Tod des Paracelsus siehe auch Rudolf Steiner: «Die Grund- 
impulse des weltgeschichtlichen Werdens der Menschheit», GA 216, 6. Vortrag, 
und «Menschengeschichte im Lichte der Geistesforschung», GA 61, 4. Vortrag. 

116 George Cuvier, 1769-1832, franzosischer Zoologe und Palaontologe. 

135 da oben auf dem Gempen: Gempenfluh oder Schartenfluh, Berg im Jura ostlich 
von Dornach, 721 m hoch. 

142 So hat es vor einiger Zeit in Paris einen Gelehrten gegeben: Ilja Iljitsch Metsch- 
nikow, 1845-1916, russischer Zoologe und Bakteriologe, der in Paris wirkte; 
siehe hierzu Metschnikows Essays «Goethe und Faust» in seiner Schrift «Beitra- 
ge zu einer optimistischen Weltauffassung», Miinchen 1908, sowie Rudolf Stei- 
ners Ausfiihrungen in dem Arbeitervortrag vom 2. Dezember 1922, GA 348, 4. 
Vortrag, 

145 dafi der Mond einmal herausgeflogen ist da, wo heute der Stille Ozean ist: Ver- 
gleiche hierzu den Arbeitervortrag vom 10. Oktober 1923, GA 351, 2. Vortrag, 
und den Aufsatz von W. Cloos «Die Spuren der Mondentrennung» in I. Th. 
Lorenzen, «Grundprobleme der Evolution*, Hamburg 1959, S. 79-83. 

152 Blattlaus: Blattlause, Aphidae, Gruppe pflanzensaftsaugender Insekten. 
Vorticellen: Vorticella, Glockentierchen, eine Gattung der Wimperinfusorien. 

153 Jean Racine, 1639-1699, franzosischer Buhnendichter; seine «Athalie» erschien 
1691. 

162 Gustav Theodor Fechner, 1801-1887, «Schleiden und der Mond», 1856, S. 170: 
«Kurz: es regnet am meisten, wenn der Mond bald voll werden will und wenn 
der Mond der Erde am nachsten ist; das Wetter ist hingegen am heitersten, der 
Himmel lacht am meisten, wenn der Mond bald neu werden will und der Mond 
von der Erde am fernsten ist » 

Matthias Jakob Schleiden, 1804-1881, deutscher Botaniker. 

167 So ungef'dhr sagt es der Pfarrer auch: Vergleiche hierzu Goethe, «Faust», 1. Teil, 
Marthens Garten. 

Man nimmt ein kleines Oltrdpfchen: Hier schildert Rudolf Steiner den sogenann- 
ten Plateauschen Versuch. Man vergleiche hierzu die Darstellung, die Vincenz 
Knauer in seinen Vorlesungen iiber «Die Hauptprobleme der Philosophie» 
(Wien und Leipzig 1892) gibt: «Eines der hiibschesten physikalischen Experi- 
mente ist der Plateausche Versuch. Es wird eine Mischung aus Wasser und Al- 
kohol bereitet, die genau das spezifische Gewicht des reinen Olivenols hat, und 
in diese Mischung dann ein ziemlich starker Tropfen Ol gegossen. Dieser 
schwimmt nicht auf der Fliissigkeit, sondern sinkt bis in die Mitte derselben, und 
zwar in Gestalt einer Kugel. Um diese nun in Bewegung zu setzen, wird ein 
Scheibchen aus Kartenpapier im Zentrum mit einer langen Nadel durchstochen 
und vorsichtig in die Mitte der Olkugel gesenkt, so dafi der aufierste Rand des 
Scheibchens den Aquator der Kugel bildet. Dieses Scheibchen nun wird in Dre- 
hung versetzt, anfangs langsam, dann immer schneller und schneller. Natiirlich 
teilt sich die Bewegung der Olkugel mit, und infolge der Fliehkraft losen von 
dieser sich Teile ab, welche nach ihrer Absonderung noch geraume Zeit die 
Drehung mitmachen, zuerst Kreise, dann Kiigelchen. Auf diese Weise entsteht 
ein unserem Planeten-System oft iiberraschend ahnliches Gebilde: in der Mitte 
namlich die grofite, unsere Sonne vorstellende Kugel, und um sie herum sich 



bewegend kleinere Kugeln und Ringe, welche uns die Planeten samt ihren 
Monden versinnlichen konnen.» (Vorlesungen wahrend des Sommersemesters, 
Neunte Vorlesung, S. 281 des oben angefuhrten Werkes.) 

172 Julius Robert Mayer, 1814-1878. 

173 Charles Darwin, 1809-1882. 

in einem gam kurzen Aufsatz: Die erste Abhandlung J. R. Mayers «Uber die 
quantitative und qualitative Bestimmung der Krafte» wurde von ihm am 16. Juni 
1841 an Poggendorff gesandt; dieser hat sie nie veroffentlicht und auch nie zu- 
riickgesandt; sie fand sich erst beim Tode Poggendorffs (1877) in den nachgelas- 
senen Papieren wieder vor und wurde zuerst von Friedrich Zollner im Faksimile, 
spater durch J. J. Weyrauch (in J. R. Mayer: « Kleinere Schriften und Briefe. 
Nebst Mitteilungen aus seinem Leben», hg. v. J. J. Weyrauch, Stuttgart 1893) 
veroffentlicht. Diese erste Abhandlung ist wenig bekannt. Bekannter und wis- 
senschaftlich bedeutender ist die zweite Abhandlung «Bemerkungen iiber die 
Krafte der unbelebten Natur», die im Jahre 1842 in den von Wohler und Liebig 
herausgegebenen «Annalen der Chemie und Pharmazie», Bd. XLII (Mai-Heft), 
Seite 233ff., veroffentlicht wurde. Allerdings geht J. R. Mayer erst 1845 in der 
Abhandlung «Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem 
Stoffwechsel» (Heilbronn 1845) direkt auf die friiher gemachten Beobachtungen 
am Menschenblut ein. 

Und diese naturwissenschaftlicbe Zeitschrift bat ihm den Aufsatz zuruckge- 
schickt: Diese Formulierung Rudolf Steiners scheint auf Mayers Freund Gustav 
Rumelin zuriickzugehen, der in seinem Aufsatz «Erinnerungen an Robert 
Mayer» (abgedruckt in G. Rumelin: «Reden und Aufsatze», Neue Folge, Frei- 
burg i. Br. o. J.) dariiber wie folgt schreibt: «Das Manuskript, an Poggendorffs 
Annalen fur Physik und Chemie geschickt, in welchen sein richtiger Platz gewe- 
sen ware, wurde als zur Aufnahme ungeeignet zuriickgesendet. Nun wanderte 
dasselbe nach Giefien, um in Wohlers und Liebigs Annalen der Chemie und 
Pharmazie unterzukommen. Liebig nahm es an, obgleich der Gegenstand weder 
Chemie noch die Pharmazie unmittelbar betraf.» Irrtumlicherweise verwechselt 
hier Rumelin die erste Abhandlung, welche Mayer an Poggendorffs Annalen 
einsandte, mit der zweiten, die er an Liebigs Annalen sandte. 

181 «Das Antlitz der Erde»: Verfasser Eduard Suess, 1831-1914. Er schreibt in die- 
sem Werk (1885-1909), 3 Bde.; Bd. 1: 2. Aufl 1892) I. Band, S. 778: «... Der 
Zusammenbruch des Erdballs ist es, dem wir beiwohnen ...» 



NAMENREGISTER 
(* - ohne Namensnennung) 



Baedeker, Karl 96 * 
Broca, Paul 12 
Darwin, Charles 173 
Fechner, Gustav Theodor 162 
Fechner, Frau Prof. 162f. 
Goethe, Johann Wolfgang von 

142, 167* 
Mayer, Julius Robert 172ff. 
Metschnikow, Ilja Iljitsch 142* 



Paracelsus 109 

Plateau, Josef Antoine Ferdinand 167* 

Racine, Jean 153 

Schleiden, Matthias Jakob 162 

Schleiden, Frau Prof. 162f. 

Steiner, Rudolf (Werke): 

Die Kernpunkte der sozialen Frage 
(GA 23) 81 
Suess, Eduard 181*